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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

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Heft 9 (Juniheft 1924)
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Reise nach Italien
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0126

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Tauben und Regen, stehen sinnlos durcheinander, ohne Verhältnis und
Beziehung zu einander oder zum Platze, an dem sie stehen. Und man läßt
betrübt den Kopf hängen und versteht nichts. Iedoch hinter dem David steht
der Palazzo vecchio, und den Persens umgibt die Loggia dei lanzi: Siehe,
Florenz, die Geliebte, streckt eine Hand aus dem grauen Mantel und eine
zweite, und im Boboli-Garten, im Silbergeschäume seiner Oliven, bei seinen
blühenden, glänzenden Lorbeeren, die beschnitten sind und dennoch übervoll,
bei seinen Brunnen und Gebüschen im Schutze des mächtigen Schlosses der
Pitti, enthüllt sis plötzlich ihren Mund, der verwirrend lächelt. — Ihr meint,
in den Galerien HLtte sie geredet? Nein, da schwieg sie fast. Mich vertrieb
aus den reichen Sälen sehr bald die Äbersülle: Wo eine Madonna sich an
die andre reiht, wo eine Venus die andre überblendet, ein Bildnis das
andre überredet, ein Meister den andern verdrängt, wie soll man da das
eine Bild sinden, nach dem Auge und Sehnsucht suchen? Nnd fände man
es auch, wie kann man es anbeten, wenn in einer Minute sieben verknit-
terte, geschminkte, geblähte, verarmte Leervisagen sich schnatternd oder stumpf
glotzend dazwischen schieben? Aus diesen SLlen entfloh ich, und sie mag
mir spöttisch nachgelacht haben, Florenz, die Geliebte. Aber in San Marco
sah sie mich von neusm an, aus Fra Angelicos Madonnen, alle kinderhafte
Reinheit und Frömmigkeit und den Frieden der Blumen, die den schönen,
stillen, kreuzgangumgrenzten Klosterhof beblühen, im blauen Blick. Aber
plötzlich slammt es im jäh verwandelten Auge der Geliebten verzerrt auf.*'
Sie sieht mich mit Savonarolas fanatischem Glutblick an und treibt mich
Erschrockene herrisch aus vorigem Frieden. — Ach, wie oft sie mich noch
entzückte, wie oft noch blendete, wie ost erschreckte! In der Mediceergruft,
in der Akademie, im Bargello ging ihr großer und grausamer Atem. Ihr
Mund triumphierte, als sie sich hochher niederbeugte über den gefesselten
Sklaven, der qualvoll aus dem Stein sich ringen will. Groß und böse glitt
ihr Blick über den Nackten. „Es ist er", lachte sie, „Michelangelo. Nnd
die ihn so gefesselt hielt, bin ich, die Mediceerin. Ohne mich, was wäre
er!?" Und sie strich lässig über die Gewalt des aufstrebenden Schenkels.
„Ohne michl" — und fester lehnte sis ihre Hand auf den unvollendeten
Nacken. — Ilnd doch lag sie am Abend unsäglich demütig süß umspielt von
blauenden Hügeln, innig hingegeben unter San Miniato und lächelte.

Ich weiß es, sie ist nicht „die" Geliebte, die einzige, die Heimat der
Seele, so beglückend sie auch je und je zu lächeln vermag. Roms uralte
Stimme klingt voll herüber, Neapel lacht, Sizilien strahlt und lockt. Aber
für diesmal locken sie mich vergebens. Florenz bleibt die Einzige: Ich
muß nach Deutschland zurück.

Auf der Rückreise bemühen sich fünf Italiener, mich sprechen zu lehren.
Sie sind von unsäglicher Liebenswürdigkeit. Und die ist nicht anerzogenes
tzöflichtun, sondern echtes, angeborenes Temperament. Keiner von ihnen
würde sich ernsthaft „opfern", aber Koffer heben, nach „Gelato" laufen,
Fragen beantworten, Plätze belegen ist ihnen eine wirkliche Freude, die
sie mit der strahlendsten Gebärde von natürlicher Eleganz bekunden. Wer
lernte dieses Volk — im ersten Begegnen — nicht lieben!? Es muß ge-
standen werden, daß ich damit weniger die Frauen meine. Es gibt auch
scheinbar weniger Frauen. Ich weiß nicht, wo die sich aufhalten. Die man
auf den Straßen sieht, haben zu dicke Beine und zu dünne hohe Absätze
und infolgedessen einen verdorbenen Gang. Ich finde sie auch fast zu bunt,
obgleich mir gut gefällt, daß sie so viel wagen, daß sie nicht vortäuschen
 
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