Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1924)
DOI Artikel:
Dettleff, Ernst: Norddeutsche Gedanken über Berlin
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0128

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ferner, gleichsam als Satyrspiel dazu, erlebt haben, wie leicht der Ber-
liner in solchen Fällen die Waffe seines immer wachen, immer gereizten
Kritizismus gegen sich selbst kehrt. Hat er sich doch längst an die Rolle des
Sündenbocks gewöhnt, der mit der Schuld andrer oder aller beladen in die
Wüste geschickt wird, tut er sich doch, fast ein wenig eitel, auf diesen natio-
nalen Dulder- und Märtyrerberuf wohl gar noch etwas zugute, in dem nicht
ganz unberechtigten Gefühl, daß es nicht der Schwächste sei, dem man
die schwersten Lasten auferlegt. Auch spürt er, «helle" wie er ist, aus allem
Groll, Zorn und Spott heraus, daß man sein Berlin als einen Staat im
Staate nimmt, der wiederum so viele Provinzen in sich hat, daß der
Einzelne oder auch eine ganze Schicht sich nie getroffen zu fühlen braucht,
da es daneben noch so und so viele nur lose mit ihm verbundene andre
gibt, die vor dem Riß stehen können. Das ist keine Feigheit, das ist nur
das natürliche Massengefühl, das sich eben durch die Masse und ihre unbe-
grenzte Vielteiligkeit gedeckt weiß. So viel ist gewiß: diese angriffs-
lustigste und verletzendste aller deutschen Stadtschaften ist zugleich, wenn es
die Verteidigung ihrer selbst gilt, die gelassenste und geduldigste — viel-
leicht aus einem Gefühl stiller Aberlegenheit, das neben dem eingewur-
zelten und ausgeprägten Selbstbewußtsein doch auch der Schamhaftigkeit
nicht ganz entbehrt. Vielleicht sagt sie sich auch, daß 'ihre Millionengemein-
schaft Maßstäbe braucht, die Weltgeltung haben müssen, die nicht aus-
schließlich und allein aus deutschem Holze geschnitzt sein dürfen.

Wo die Einheimischen selbst schweigen, wie sollte sich da ein Nord-
deutscher, der gleich tausend und tausend andern nur in Liese Stadt ver-
schlagen worden ist, wenn er den „Zufall" dann auch Mit Willen zu einem
„Sinn" zu machen gesucht hat, wie sollte der sich aufgerufen fühlen, für
Hektor zu zeugen? Gegen den SHatten des Skeptizismus, der breit und
mächtig über dieser Stadt lagert, kann auch er sich nicht wehren, und vieles,
das meiste von dem, was im Aprilheft A. K. Meißinger an „Süddeutschen
Gedanken über Berlin" vorgetragen hat, muß er sich zu eigen machen.
Wirklich — es ist etwas Tröstliches in dieser Abereinstimmung. Denn
der Widerspruch und Widerwille, der da laut wird, gilt doch, auf einen
geistigen Generalnenner gebracht, am Ende immer auch dem Nndeutschen,
das sich in Bsrlin sammelt, oder besser: das hier sichtbarer, drohender und
erschreckender als anderswo an die Oberfläche geschwemmt wird. So können
es nur Glossen zu jenem vorangegangenen Aufsatz sein, die hier beigebracht
werden, und nur abschwächende oder abfchattende Nüancen für das dort
entworfene Bild. Es auslöschen auf der Tafel und ein von Grund aus
andres dafür hinmalen, mag ein wirklicher, ein eingeborener Berliner, wenn
der sich findet.

Immer wird es zunächst das Kolossale, Massige und Protzige sein,
was dem Fremden an dem Berliner Stadtbild auffällt. Umsomehr, wenn
er, wie in der Umgebung des Schlosses, neben solchen herausfordernden
Manifestationen des wilhelminischen Zeitalters schlichte, maßvoll würdige,
ruhig und sicher in sich geschlossene Bau- und Bilddenkmäler der voran-
gegangenen „königlichen^ Zeit sieht. Ia, die Roheit, die sich da ausspricht,
liegt vornehmlich in diesem nahen Beieinander: keine Ehrfurcht vor dem
Äberlieferten und Bewährten, ein plumpes Auftrumpfen, ein Beschämen-
und Verkleinern-Wollen, ein Sich-in-die-Brust-werfen des Emporkömm-
lingtums. Aber haben nicht gerade öffentliche Bauten und Denkmäler
die heftigste Versuchung zu bestehen, dem Geist und Willen ihrer Zeit,
 
Annotationen