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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

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Heft 9 (Juniheft 1924)
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Dettleff, Ernst: Norddeutsche Gedanken über Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0129

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den sie nicht gemacht haben, von dem sie vielmehr getragen und geschwellt
werden, Ausdruck zu verleihen? Und mußte sich Berlin in seiner ihm
nun mal aufgebürdeten Repräsentationsstellung nicht ganz besonders auf-
gefordert fühlen, diesem Zeitgeist Genüge zu schaffen? Alle Winde blasen
hier am stärksten, so mußten auch die Segel am vollsten sich blähen. And
wo es nun vollends galt, den von dem neuen, über Nacht emporgeschossenen
Verkehrsbedürfnis geschaffenen Straßenzügen und Plätzen den Schmuck
zu geben, durste man sich da mit Statuen und Denkmälern begnügen, die
ben bescheidenen Bürgerhäusern eines vergangenen Iahrhunderts taugten,
da noch die Stellwagen und die Pferdedroschken durch die Straßen schlichen?
Das wäre stilwidrig gewesen und hätte der Kritik auf der andern Seite
genau so viel Angriffsflächen geboten. Zudem sollte man nicht übersehen,
daß auch Berlin an stilleren Plätzen und in ruhigeren Straßen seinen
feineren und bescheideneren Denkmal- oder Bildschmuck hat. Nur daß man
ihn eben übersieht, weil die Verteilung in dem weitschichtigen Stadt-
bilde zu spärlich ist, und weil man, durch die Entfernungen immer zur
Eile gespornt, zu schnell daran vorüber gejagt wird. In München, in
Dresden, in Stuttgart verweilt man vor solchen Erquicklichkeiten, in Berlin
verflüchtigen sie sich im Nu unter dem Eindruck des Nachdrängenden und
Anstürmenden. Auch muß man nun mal, um gehört zu werden, in einer
Massenversammlung lauter sprechen als in einem Gesellschaftsraum. Man
dränge nicht durch, wollte man seine Stimme dämpfen und seine Gebärden
verhalten. Das gilt selbst von der Natur und ihren Anlagen. Man kann
in einer Mittel-, auch noch einer Großstadt geläufigen Maßes mit ein
paar fein abgestimmten Blumenbeeten die Belebung und Erfrischung er-
zielen, für die in Berlin weite Blumenteppiche nötig sind. Nnd was ist hier
ein Gebüsch mit einer Bank darunterl Die Staubwolken des Verkehrs
würden sie alsbald mit einem grauen Mantel bedecken, und das Gedränge
der vorüberflutenden Menschenmassen würde sie jeder Ruhe und Sammlung
berauben. Kleinen artigen und beschaulichen Denkmals- und Bildwerk-
anlagen, wie München ihrer so viele hat, würde es nicht besser gehen.
Schon der tzoffmannsche Märchenbrunnen mit den reizenden Bildwerken
von Ignatius Taschner, dessen Aufbau doch gewiß weit ausgreift, gerät
in Gefahr, mehr als Nippsache denn als Monumentalwerk zu wirken.

Bei all diesen Dingen sollten wir uns gegenwärtig halten, daß Deutsch-
land, das ganze nach 1870 so jäh und mächtig emporgeschnellte Deutschland
es war, das mit seiner Entwicklung Berlin gewollt hat, und daß es deshalb
schon die Anstandspflicht haben müßte, seine Inflationen zu begreifen und
zu ertragen. Dazu gehören von Rechts wegen selbst die Prunkstraßen, die
Berlin sich vor dem Kriege zulegte, in der Voraussicht des Kommenden,
ähnlich einem fürsorglichen Hausvater, der seinem Iüngsten, den kein
Nachkömmling mehr einholen wird, den Rock auf Zuwachs anfertigen läßt.
Wäre nicht die zehnjährige Nnterbrechung gekommen, all diese Heerstraßen,
Hohenzollern- und Kaiserdämme wären heute sicherlich schon von einem,Ver-
kehr erfüllt, der ihrer Weite und Breite die stilgerechte Bestätigung erteilt.

Ins Geile und Krautige schießen in Berlin aber auch die nach innen
gekehrten Veranstaltungen: Kunstausstellungen, Theater- und Musikauf-
führungen. Das macht: dies Berlin ist in erster Linie Markt, auf dem
die Ware zur Schau gestellt, ausgebreitet und vertrieben wird, erst in
zweiter und weit dahinter Feld und Acker, aus dessen Boden Früchte
gezogen werden.
 
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