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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1924)
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Trentini, Albert von: Berg
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0152

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Plötzlich — nichts kann diese Wonne beschreiben! — erkannten wir: d ie
Welt!

Ansinn, zn meinen, daß man da schildern könnte! In der Tat ging es
schon lange gegen Älbend, als wir immer noch glaubten, eben erst erwacht zu
sein. Dabei waren wir gar nicht veranlagt, zu übertreiben. Ansere Augen
konnten gar nicht schönfärben. Es lag uns völlig ferne, den nächstbesten
Grashalm anzubeten. Im Gegenteil! Es schien uns ganz selbstverständlich,
daß dieser Himmel sich endlos hinauf in die Höhe und endlos über alle diese
Helme und Iöcher hinab in die Säume der Horizonte spannte; daß diese
Sonne als grandioses Gelb hinter grandiosem Purpurblau unterging, und
daß, wohin wir nur schauen mochten, überall die traumhaftesten Blumen
standen! Aber die Bestätigung war das Glück! Die glasklare und leib--
haftige Bekräftigung dessen, was wir in diesem zerarbeiteten Stubenwinter
mit eiserner Hartnäckigkeit in uns selber ertastet hatten! Denn ein einziger
Blick da genügte, um festzustellen: es ist wahr! Diese Weltistder Leib Gottes.
In ihr, angefangen vom niedrigsten Element bis herauf zum höchsten
Menschen, verwirklicht Sein Selbst sich! Antrennbar gehört sie zu Ihm!
Ie voller also jedes ihrer Wesen sich auswirkt, um so gelungener auch Gott
sich; in ihm! „Am der Menschheit willen", lachte Ivossa unverschämt, nichts
als Leben, lag sie im Leben der Blumen, „denke nur jetzt nicht! Es ist
vollkommen!" — „Fällt mir nicht ein, du sarmatische Arerde! Aber — was
soll geschehen, wenn die Nacht kommt?" Denn die Sonne sank schon.
Zersprengt von ihrem Feuer dehnten sich die Räume aus. Die Luft zog
an und surrte. Die Erde ward kühl und brach die Essenz des verlebten
Tags aus. Die Wasser in den Schächten erhöhten sich und sogen ihre
Stunde ein. Die Blumen heroben wurden klein und dunkel und von unge--
heurem Dufte; die Wälder und Völker der Gräser unten Chöre des Atems.
Die Tiere verschlichen in unbekanntes Irgendwohin. Und wir zwei Menschen
lagen wieder im Paradiese. Gott sprach unüberhörbar zu uns; in unserer Brust
drin, und draußen vor unseren Sinnen. Nichts anderes sprach er, als: „Ich
bin! And ihr seid auch!" Aber wir glaubten es ohne den geringsten Zweifel;
denn es war offenbar! „Ivossa", wiederholte ich, ich loderte im Triumph
des Bewußtseins, sein zu dürfen, und neben und mit all diesen ungezähl--
ten 'andern Ichs ich sein zu sollen, soviel ich nur vermochte, „sage, Ivossa,
was soll geschehen, wenn es Nacht wird?"

Aber Ivossa schwelgte in ihrem Blumenbett und gab auch jetzt keine Ant-
wort. Äbrigens aber war die Nacht auch schon da! Bis hinüber nach Frank-
reich entblätterte der Westen die Erde in verklingendem Golde. Während der
Osten, umarmt vom üppigen Süden und vom seraphischsn Norden, die Bläue
aller Tiefen und Steppen entblößte. Smaragdene Meere brandeten in Stö-
ßen um uns über die Matten. Felsriffe in diesem unirdischen Grün flamm-
ten empor wie Mohnschwerter. Gleißende Flüsse blitzten auf in unmeßbarer
Ferne. Iedes Berghaupt bekam sein Gesicht und erstrahlte. Plötzlich: der Stern!
Einen Atemzug später überschwemmte Dämmerung Alles. „Auf, Ivossa!«
rief ich. „Nachtquartier!" Meine Stimme klang wie Zufall. Ivossas Lächeln
schimmerte ganz von weitem. Wir begannen nach einem passenden Platze zu
suchen. Aber vor der Magie dieses Mosaiks brechender Töne versagten die
Augen. Wir tappten nur. Endlich fanden wir eine Mulde am Fuß eines
Blocks. Wir richteten sie ein. Als wir uns enge nebeneinander, denn es
war kalt, in die Mäntel hüllten, waren alle Sterne schon oben. And um so
schneller, je gewisser sie in ihr Licht wuchsen, ward die Erde, auf der wir
 
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