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Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1890

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Nr. 2 - Nr. 4 (12. Januar - 26. Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44275#0006
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ihres Armes bemächtigt hatte? Wenn Gretchen viele
Umſtände gemacht und dem Peter ſeinen Willen nicht
gethan hätte, ſo wäre es leicht möglich geweſen, daß
Taute Sanne e& gemerkt hätte, und — ach Herrje!
dann wäre möglicherweiſe Alles aus geweſen, Alles,
warum ihre neun Geſchwiſter ſie beneidet hätten,
wenn ſie ihnen nicht immer gut geblieben wäre
und von der Tante Manches für ſie erlangt hätte.
Denn ſie war ganz wie ein angenommenes Kind da
im Hauſe.

Jedoch Jungfer Guſtermann hatte Nichts ge—
merkt, weder das Kirchmeßhalten, noch das artige
Stückchen vom Mitfahren — aber den Stoß als Pe—
ter heruntexſprang — jenen kleinen Stoß haͤtte ſie
gefühlt, und nach dem Schrei, den ſie ausgeſtoßen,
ſaß ſie ſteif und ſtumm und ohne eine Wort zu reden
da. Daß es ein Wehrwolf ſein müſſe der hinten auf
die Karre geſpkungen war, das ſtänd bei ihr feſt.
Was ſie wollte? Sie wollte, daß ſie mit dem
Kopfe unter die Decken kriechen könnte, tief ganz tief
drunter.

Eine halbe Stunde ſpäter hätte man — wenn's
nicht jo Ddunkel gemeſen wäre — ’ne ganze Strecke
vont Thurme entfernt, grad wo ein Weg zum Deiche
Hinanführt, Jungfer Sanne in einer ganz andern
Poſitur erblicken können. Sie hing ſich feſt in den


fönne, denn einen ihrer Stoffſchuhe war in dem Lehm—
boden ſtecken geblieben. *
Schließlih . ... Mein, ſie konnte wahrhaftig
nicht mehr; ihr Strumpf blieb jedesmal feſtkleben.
Peter frug, oh fie ſich nicht lieber wieder auf die
Karre ſetzen wolle? Nein, nein, ſie war bang,
daß Johann ſie in der Dunkelheit umwerfe und dann
— war der Weg aug nicht gehener Sie konnte nicht
hegreifen, daß Gretchen ſitzen geblieben war. O,
Veter, ſei ſehr freundlich. Sie danke Gott für den
Zufall, daß er ihnen gerade habe nachkanmen müf-
fen Sie ſolle ſich ihm auf den Rücken ſetzen? Das
wäre doch eigentlich gar zu freundlich. Bet Tage
würde es närriſch ausfehen, aber jetzt! Peter ſolle
nur nicht glauben, daß Bruder Johann in früherer
Beit irgend CimaS gegen ihn gehabt hHüften, —
„Wart’ ein Bischen.“ Sie wolle nır ihr Kleid noch
ein wenig aufgiehen und die ſeidene Mantille zufjam-
mennehmen. So, einz, zwei, Drei, da ſaß ſie. — Ob
ſie nicht zu ſchwer ſei? O ganz und gar nicht, ſie
ſei ſchön dußergewöhnlich leicht!
Das muß man ihr lafjen — Iungfer Sanne
war doch gar ſo dunnn nicht! Als Johann mit dem
Wagen ebenfalls oben auf dem Deiche ſtand, wohin
auch Peter die Jungfer getragen hatte, da wußte fie’S
— bevor man ſich wieder zurechtſetzte ſo einzurich⸗
ten, daß Peter hinten auf zu ſiten fanı. Warum?
Das Jagte ſie nicht, aber ſchlau war ſie Doch, denn,
wenn Beter iich hinten aufſetzte, ſo mußte der Andere
— der Wehrwolf nämlich, wenn er noch da wäre —
Geu werden; Ddanız war ſie im Rücken gedeckt und
Peter konnte es abhaͤlten, wenn irgend Etwas paſſiren
ollte.
Und Zohann fand Alles gut, was ſeine Schweſter
wollte, und ſeßte ſich — Da er nun oben auf dem
harten Deich beſſer ſehen und fahren konnte — wieder
vorne in den Wagen; Petex ſetzt ſich alfo hinter⸗
drauf; Jungfer Sanne ließ Gretchen zuerſt einſteigen




links neben ihr, mit naffen und lehmigen Füßen
und ſchreckhaften Nerven Ihr Herz klopfte piel
heftiger als gewöhnlich und ihre Hände. glühten ſehr.
Woher das Letzte kam, das ſollt Ihr ſchön gar bald
vernehmen. ;

Als die Thurmuhr mit unheimlichem Tone Eins
geſchlagen hatte, war die Bäuerin des Höntgserben
noch aͤuf und befand ſich allein in ihrer Schlafzelle.
Es war ſhät/ ſchauerlich ſpat geworden, und ſie nahm
ſich vor, ihre Schweſter nie wieder zur Kirmeßzeit
zu beſuchen, wenigſtens nicht, wennſte dann des Abends
ſpät noch wieder nach Hauſe müſſe.

Wenn es Euch jetzt gefällig iſt, ſo können wir
uns Tante Sanne mal etwas genauer anſehen. Ihr
Aeußeres iſt nicht ſehr anſprechend. Aus dein knocht⸗
gen und faltigen Angeſicht ſehen die farbloſen Augen
immer arg ſcheu und furchtſain hervor; ihre Naſe —
ſo hatte ein Unterlehrer einmal in der Schule geſagt
— {ft grad wie ein Fragezeichen, das nicht an feinem
Platze ſteht, und der Koßf hängt ihr inuner ein klein
wenig nach der rechten Seite, grad als wenn ſie auf
dem linken Ohr taub mwär’. Das Schiefe, ſagt
Jungfer Sanne, das hat ſie vom Schrecken behalten,
als ſie zwanzig Jahre alt war. Von dieſem Schrecken
hat Bruder Johann nie etwas gemerkt und auch hat
er nie gehört, daß Sanne, ſo wie ſie ſagt, in ihren
jungen Jahren /das Röschen des Dorfes“ genannt
wurde, weil ſie ſo ſchön war; aber — wenn Sanne
es ſagte, dann müſſe es ja wohl ſo ſein.

Wenn ich mir nun noch eben die Freiheit nehme,
Euch zu zeigen, wie Sanne, ſtatt der ſchönen Sonn—
tagsmütze, eine flatterige Nachthaube auf den kahlen
Kopf ſetzt, und wie fie in der bunten Nachtjacke
mit anderthalb Röckchen um die dürren Beine auf
auSgeiretenen Pautoffeln zur Thüre {chlottert, {o bin
ich 4 daß Niemand von Euch ſich in ſie verlieben
wird.

Aber, Jungfer Sanne iſt deſſen noch nicht ganz
gewiß — wenn ſie auch nicht ſo toll iſt zu glauben,
daß ſie noch das „Röschen des Dorfes“ genannut
wird.

Die Thüre ihres Kämmerleins — die doch ſehr
gut ſchloß, wird mo mit einem Riegel verfehen,
gegen die Fenſterſcheihen, obſchon ſie mit feſten ä
den verſehen ſind, ſtellt Jungfer Saune die Bibel,
die auf dem Tiſchchen vor dem Fenſter lag, mit den
aufgeſchlagenen Blättern nach außen. Mit einem
langen Stocke, der in der Ecke ſtand, fährt ſie unter
das Beit das thut ſie jeden Abend, denn ſte
fürchtet ſich ſehr vor dieben ... 1 GSte faͤhrt nach
links und rechts Herum, und nachdem ſie ſich über⸗
zeugt/ daß Alles richtig iſt, guckt ſie in’S Bett und
fühlt mit dem Stock in die Ccfen, .. Alles zur
größeren Vorſtcht!

Alles iſt in Orduung. Aber die Bäuerin des
Hönigserben kann, obſchon es ſo ſpät iſt, noch in—
mer nicht zu Bette gehen. Es iſt ihr gar ſo ſon—
derbar um’S Herz ; ;

Wie kann das Loos eines Menſchen ſich doch im
einer einzigen Stunde ſo ſehr ändern! Daß ſie
früher nicht große Stücke auf Peter gehalten hat,
das iſt freilich waͤhr.

(Fortſetzung folgt.)

Lermiſchtes.

— Die Rache der Choriſten Der Theater⸗
Dirvektor Schmierig in Blitzeburg war als gewaltiger
Chikaneux überall bekannt. Einumal machte er auch
ohne triftigen Grund zwei armen Chöriſten einen
Gage⸗Abzug. Die beiden Künſtler ſchwuren ihm ob
dieſer Ungerechtigkeit Rache und in einer Vorſtellung
der „Küuber“ gelangt ihr teufliſcher Plan zur Aus?
führung.

Direktor Schmierig giebt natürlich den Franz.
un hat die Regie folgendes Arrangenient getroffen:
Wenn ſich in der erſten Scene des fünften Aktes
Franz erdroſſelt hat, ſo treten zwei Räuber auf und
tragen die Leiche fort. Der Schauplatz aber ver—
wandelt ſich bei offener Scene in den Wald mit dem
Räuberlager. Unglücklicher Weiſe werden zu den
Leichentraͤgern die verſchworenen Choriſten Lehmann
und Schulze beftimmt.

Die Vorſtellung nimmt auch einen recht befriedi—
genden Verlauf und als Schmierig-Franz ſich endlich
erdroſſelt, überläuft das geehrte Publikum eine ge⸗
linde Ganſehaut. Franz liegt mit ſchrecklich verzerr—
tem Geſicht leblos am Boden. Da tritt von rechts
feierlich ein Räuher auf, hebt den Kopf der Leiche
und blickt wartend in die Kouliſſe links! Aber Räus
ber Schulze erſcheint nicht; Räuber Lehmann hält
den Kopf noch eine Weile in den Händen und läßt
ihn dann fallen. Kaum iſt Lehmann nach rechts ab-
gegangen, da erſcheint Schulze von links/ faßt den
Todten bei den Beinen und waͤrtet auf den zweiten
Träger. Da derſelbe jedoch nicht erſcheint, ſo läßt
er die Beine fallen und zieht ſich nach links zuruͤck.
Das Publikum, das die Situatiön erräth, lacht laut.
Da ſtürzen plötzlich beide Träger von rechts und links
herbei, backen den Todten bei dem Kopf und den
Beinen und heben ihn in die Höhe. Dann ſehen ſich
die Spitzbuben lächelnd an und laſſen den Leichnaͤni
ihres Direktors mit aller Wucht fallen. Das iſt aber
ſelbſt für einen Todten zu viel! Wüthend ſpringt der
todte Franz vom Boden auf und läuft fluchend den
beiden Verſchwörern nach. Das Publikum aber brüllt
vor Vergnügen, lachen kann es nicht mehr. So
haben ſich die Blitzeburger bet Schiller's „Käuber“
noch nie amüſtrt!

Direktor Schmierig aber war von nun an als
Schauſpieler in Blitzeburg unmöglich. Die beiden
Räuber hat er nie wieder geſehen, er hat aber auch
nie wieder gewagt ſeine armen Mitglieder unnöthiger⸗
weiſe zu chikaniren. Cuſt. Bly

— Kaiſex Friedrich war, wie bekannt, ein
Feind jeder Beeinfluſſungs-Politik. Wenn er in Pots—
dam wohnte, erklärte der Hofmarſchall der Diener—
ſchaft: „Morgen iſt Wahl. Wer in Berlin wohnt
und wählen will, iſt morgen dienftfrei.“ Damit war
die Sache erledigt. Wie der Kaiſer aber als Kron—
prinz bei aller Zurückhaltung dachte, konnte ſeine Um⸗
gebung doch aus einzelnen Aeußerungen . entnehmen.
Bei einex der heißen Wahlen der letzten Jahre fragte
er {o gelegentlich einen Lacdien: „Morgen iſt Wahl.
Wer iſt hier aufgeftellt 2“ „Liebermann von Sonnen—
berg.“ Kenne ich nicht. Wer noch?“, Ludwig Loewe.“
„Der Mann hat viel Verdienſte um die Berliner In—
duſtrie.! Als Ludwig Loewe gewählt war, ſchlug






11



— Thee ftatt Wein beim Abendmahl.
Eine franzöſiſche Nonne meldet aus China, daß der
xroteſtantiſche „Biſchof! in Hong Kon ein amtliches
Rundſchreiben erlaſſen habe, worin es heißt, daß unſer
göttlicher Heiland beim letzten Abendniahl die in Pa—
läftina gewöhnlichen Nahrungsmittel — Brod und
Wein — zu ſeinem Andenken gewählt habe. Der
ſogenannte Biſchof fügt dann bei: „Hütte unſer Hei—
land in China gelebt, würde er ſtait Wein Thee ge-
wählt haben. Darum werden wir fortan bei der
Communion das chineſiſche Getränk, alſo Thee, be⸗
nußen und iſt zu dieſem Zweck der Wein abgeſchafft.“
Die Nonne fügt bei: Nach dieſem Grundſatze müßten
fortan die franzöſiſchen Bretonen Aepfelwein, die Ir—
länder Whiskeh und die Deutſchen Bier in den
Kirchen gebrauchen, da dieſes die Nationalgetränke
ſind. Der Hans Ronge hat ſeiner Zeit Bier mit
ſeinen Zuhörern getrunken, bis ſie zuſammen unter
den Tiſchen und Bänken lagen. ;

— Bon der Infel der Ausſätzigen! Or
Paul Apfelſtedt in Frankfurt theilt der Frankf. Ztg.
den Wortlaut eines intereſſanten Schreibens mit,
welches der Gefährte des P. Damien, L, L, Conrardh,
Vn der Inſel der Ausſätzigen an ihn gerichtet hat.
Der Brief iſt von Kalamab-⸗Molokai, 21. November
1889, datirt und lautet in deutſcher Ueberſetzung wie
folgt. Werther Herr! Sicherlich werden Sie glaͤuben,
von der Niederlaſſung der Ausſätzigen keine Antwort
auf Ihren gütigen Brief zu erhalten. Ihr Brief
erreichte mich im Hoſpital in Hondlulu, wo ich an
der rothen Ruhr ſchwer erkrantt daniederlag. Bis
Ende Juli war es zweifelhaft, ob ich genefen oder
ſterben würde. Jetzt bin ich wieder ziemlich wohl.
Gleich nach oder vielmehr kürz vor meines Gefährten,
des armen Vater Damien/s, Tode wurde ich von der
Ruhr befallen, nur wenige Schritte von meinem Hauſe
entfernt, als ich eben vom Friedhof kant! Nachdem
ich zwei Wochen gelegen, brachte man nich nach Hono⸗
lulu, da nur dann Hoffnung zur Geneſung vorhanden
war, wenn ich die Colonie verließ. Im Hoſpital
lag ich zwei Monate lang und kam dann zurück,
wenn auch noch immer jehr - frank, Zetzk bin
ich, Gott ſei Dank, wieder im Stande, alle meine
Pflichten zu erfüllen. Die Colonie der Ausſätzigen
beſteht aus Kalawao, wo Vater Damien ſo lange
wirkte und ſtarb, und wo ich ſelbſt noch bin, und
aus Kalaupapa, drei Meilen von hier, wo ebenfalls
ein Prieſter ſich befindet ıund mehrere Barmherzige
Schweſtern, welche der Maͤdchen und Frauen fich
annehmen. In einem Orte ſind bis jetzt keine Barm?
herzigen Schweſtern; aber ich erwarte deren drei,
welche die Sorge für Knaben Gebt etwa hunderh
übernehmen wollen. Nır Ausſätzige ſieht man hier
Werde ich ſelbſt ein ſolcher werden? Wahrſcheinlich,
da ich fortwährend in ihrer Mitte bin; die armen
Waiſen betrachte ich als meine eigenen Kinder und
bin gern bei ihnen. Die hawauſche Regierung thut
viel für die Kraͤnken, in dieſem Jahre bewillißte fie
für deren Unterhalt 90,000 Dollars; wie ich höre,
koſtet ein Kranker dem Staat 66 Dollars. Ein Jeder
hat Anſpruch auf eine Wohnung; die Meiſten (etwa
1000) wohnen in kleinen, zerſtreut liegenden Huͤtten.
Jeder empfängt täglich * Pfund Fleiſch, wöchentlich
21 Pfund Poi (eine Art Kartoffel) und jährlich eine
Anweiſung auf 10 Dollars für Kleider, außerdem
Seife, Oel und Zündhölzer. Wir haben jetzt 1200




 
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