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Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1890

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Nr. 49 - Nr. 52 (7. Dezember - 28. Dezember)
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Fiaͤlſte Baten.











Yır 52.


_ 1890. -





Der weihnachts bend

im Schmekinger Keſervelazareth 1870.

oder
Die erſte Rugel
von
Otto Schwarz, *
Verfaffer des Der kunoıyne Fremoventuhrer durch Heidelberg.“

Z

Unter den verſchiedenen Pfleglingen, welche da herum—
fagen, el mir ein Soldat im Saal 1, deſſen Bett nahe
der hHinteren Eingangsthüre ſtand, beſondersin die Augen.
Nicht allein das rolhe, keck auf die Seite geſetzte Käppi,
fondern auch ſeine gaͤnze Phyſiggnomie verriethen mir den
Franzoſen; fein ſchwarzer Schnurr- und Knehelbart waren
forgfaͤltig gedreht und gepflegt, ſein blaſſes Geſicht trug den
Stempel eines inneren Leidens, ſeine dunklen Augen waxen
feurig aber feucht und ſeine Mundwinkel zuckten. Der
Mannn erregte meine Theilnahme und angenehm überraſcht.
ſchien er zu jein, als er ſich in ſeiner Mutterſprache ange—
ſproͤchen hHörte. Nach ſeinen Verhältniſſen befragt, erzählte
er mir folgendes:

Er jei der Sohn einer ‚armen Wittwe, aus einem
Dorfe, defien Name ich vergeſſen habe, aus der Gegend
von Lhon; er habe mehrere Brüder, die ſämmtlich als
Soldaien mit Erfolg und Auszeichnung die Feldzüge von
China, der Krim, Ftalien und Algier mitgemacht hätten
und wohlbehalten wieder zurückgekehrt jeien. Es wäre
ihm deßhalb, dem jüngſten fchon lange ein ſehnſüchtiger
Wunſch geweſen, auch einmal für ſein Vaterland, ſein ge—
liebtes Frankreich känipfen zu dürfen! Mittlerweile habe er
aber die nähere Bekanniſchaft yın Jeanette, der Tochter
einer benachbarten Wittfrau gemacht; vor einem Jahr hätten
ſie ſich das Jawort gegeben u. ım verfloſſenen Sommer hätte die
Hochzeit ſein ſollen. Vorigen Weitnadtsatend ſeien ſieglücklich
bei der Mutter zuſammengeweſen, hatten ſich bei Bäcker—
fuchen und warmem Wein gelabt und dabei die herrlichſten
Luftſchlöſſer gebaut. „Es war der glücklichſte Tag meines
Lebens! verſicherte er mich, „als Jeanette meine Braut
wurde! Nur zu raſch vergingen darauf Tage und Wochen,
waͤhrend welchen die Vorbereitungen zur Heirath getroffen
wurden Auf den Winter folgte der Frühling, der Kukuk
ließ ſich wieder hören und die Störche wie die Schwalben
bezogen ihre bekannten Neſter. Als wir glaubten, endlich
jg viel erſpart zu haben, um die zu einer Haushaltung
noͤthigen Geräthe anſchaffen zu können, wurde der Hoch—
zeitstaͤg feſtgeſetzt. Aber ſtatt des Hochzeitskleides wurde
mir des Kaiſers Rock beſchieden ; ohne mehr daran gedacht
zu haben, follte nun mein früherer Wunſch für mein
heures Vaterland kämpfen zu dürfen, in Erfüllung gehen.
Die Kriegstrompete wurde geblaſen, ich ward zu meinem
RKegimente gerufen. Unter zärtlicher Umarmung von Mutter
und Jeanetie nahm ich Abſchied, in der Hoffnung auf ein
glückliches Wiederſehen.“

Er hielt inne; für einen Augenblick verſagte ihm eine
innere Bewegung die Stimme.

Es mar vorbei“, hob er wieder an, „bei den Kame—



raden und beim Wein vergaß ich das Heimweh. Unſer
Regiment gehörte zu denen! welche zuerft in Deutſchland
eindringen ſollten, weßhalb wir in Eilmärſchen gegen die
Grenze rückten. Anı 4, Auguſt kam e& bei Weißenburg
zur Schlacht, in der wir die Feuertaufe erhalten ſollten.
Aber — gerade als das Signal geblaſen wurde, um in
Gefechtslinie aufzumarſchiren — am eine feindliche Kugel
in unjere Reihen, welche mır — beide Beine abſchlug!

Wieder trat eine Pauſe ein, während er die Spitzen
feines Schnurrbartes ergriff und mechaniſch drehte. Halb
nur hörte ich die aus gepreßter Bruſt hervorgebrachten
Worte: Ma pauvre Jeanette, ma bonne mere, tout est
fini!“ Erme Fohanna, arme Mutter, Alles iſt vorbei.)

Nach einem langen Athemholen fuhr er fort: „Ich
brach natürlich zujammen, 8 aber noch ſo viel Geiſtes⸗
gegeuwart, un?beurtheilen ztönnen, daß ich mich ſo raſch
wie möglich fortſchaffen mußte, um mich in Sicherheit zu
bringen. Und ſo froch ich deun auf allen Vieren mühe—
und ſchmerzvoll hinter die Gefechtslinie, was mir dadurch
ſehr erſchwert wurde, weil die beiden Beine, welche unter-
halb den Knieen ab waren, und nur noch an der Haut
hingen, häufigſt übereinander famen. Endlich erreichte ich
den Verbandplatz wo ſofort eine Amputation vorgenommen
wurde. Ich betam das Wundfieber, man brachte mich
bald darauf in ein Bauernhaus, von wo aus ich ſchon
nach einigen Tagen wieder abgeholt, per Bahn nach Mann⸗
heim gebracht und im dortigen Barackenlazareth aufgenommen
mwurde. Eine‘ zweite Amputation war nothwendig aber
der außerordentlich ſorgfältigen Pflege habe ich es zu ver—
danken, daß die Heilung in verhältnißmäßig kurzer Zeit
von Statten ging.“

Wie ich ınich ſelbſt überzeugte, war die Heilung eine
vollendete.

An 17. Oftober“, fuhr er fort, „als das Mann—
heimer Baracken⸗ Lazareih aufgehoben wurde, brachte man
ınich mit 90 anderen Veriv.mdeten, welche, wie ich, traus
portabel waren, hierher. — Die Meinen in der Heimath
wiſſen von alledem noch nichts. Im Anfange war e8 die
Verzweiflung und die Angſt um die Mutter und die Braut,
welche mich hinderten, ihnen das Geſchehene mitzutheilen ;
denn“ — hier unterbrach er ſich ſelbſt und mit tonlojer
Stimme ſagte er zögernd: „weun auch aus dem Heirathen
nichts mehr werden ſollte, bedenken Sie aber meine alte
Mutter, welche all ihre Hoffnungen darauf baute, in meinem
Familienkreiſe ihre alten Tage beſchließen zu können. Doch
hoffe ich, meine Mutter zu täͤuſchen,? und, während er ſo
weiter erzählte, ſchien ihn ein glücklicher Gedanke neu zu
beleben, denn ſeine Augen glänzten vor Freude, „bei ihHremı
letzten Hierſein ſprach die Frau Großherzogin von Baden
auch mit mir, ſie frug nach meinen Wunden, und erkundigte
ſich nach meiner Familie, wobei ſie mir verſprach, ein
Paar künſtliche Beine für mich anfertigen laſſen zu wollen.
Ich werde alsdann, wenn ich heimkomme, daher laufen wie
auf meinen eigenen Füßen.

Nun befand ſich unter den Photographien, welche ich
zu mir zum Verſchenken geſteckt hHatte, auch das Bild der
hohen Protektorin des Frauenvereins; wo wäre es jetzt
beſfer angelegt geweſen, als bei dieſem Franzoſen, der ſein


 
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