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Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1890

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Nr. 5 - Nr. 8 (2. Februar - 23. Februar)
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M S,








1890.









Gretchen auf dem Hönigserbe.

GCine hollandiſche Dorfgeſchichte von I, &. Cremer.
Deutſch von &. v, Heemſtede.
Nachdruck verboten.

Fortſetzung)

Aber ſchau — da kommt etwas Anderes an.
In einiger Entfernung ſieht man ein Staubwölkchen
dom Deiche heraulwirbeln. Ein junges Frauenzimmer
richtet eilig ihre Schritte hierher. Ihre Kleider und
Schuͤhe find arg beſtaubt, hin und wiedex wiſcht ſie
ihr Geſicht mik ihrem Taſchextuche ab, denn die
Schweißtropfen rinnen ihr ins Halstuch hinein. Sie
muß wohl ſchon einen Weg abgelegt häben und raſch
— gegangen ſein, daß ſie jetzt ſchön ſo warm iſt.

Woher mag ſie wohl kommen und wer mag es
wohl fein? Naum, kennt Ihr denn unſex Gretchen
nicht ehr? Sie weiß ſelber wohl, daß ſie blaß und
mager geworden iſt — Die Aermſte! Sie fühlt wohl,
daß ſie faſt keine Kraft und keinen Athem mehr hat,
um raſch ihres Weges zu gehen, aber doch — ſie
will und ſie muß vorwaͤrts Wo ſie ſein muß, da
will ſie ſein, bebor die Kirchgänger ihr begegnen.
Der Arzt in B. der neben ihrer Mutter Hauſe wohnte,
der würde wohl nicht geglaubt haben, daß Jemand,
der faſt die Schwinoͤſucht hat, noch ſo weit laufen
fönne. Sie begreift es ja ſelber kaum, ſchon um
drei Uhr iſt ſie heimlich aufgeſtanden, ganz heimlich
und leiſe, denn ſie wollte den Peter noch einmal
ſehen, und die Blumen, die er ihr gab, und die Tauben
auf dem Schlage, bevor ſie ſterhen müffe .. .. D,
Du lieber Gott! Wie fällt ihr dieſes Wort ſo ſchwer
auf das Herz: Sterben!

Und vorwärts geht's bis zum Wirthshauſe, und
dann raſch den Weg hinunter. Von den Blumen,
die über des Pfarrers Hecke hängen, ſieht ſie Nichts,
aber ſie „riecht“ ſie Dod . . welch' ſüßer Duft!
Ja,„den Duft der Blumen des Lenzes würde
fie wieder einathmen, aber ehe daß eine neue Ernte


burtstages.. Sie wiſcht ſich den kallen Schweiß
von der Stirne.

Zetzt bleibt ſie ſtehen und ſieht vorfichtig nach
den Fenſtern des Pfarrhauſes hin, die Gardinen ſind
noch niedergelaſſen und lautlos gleitet fie in den
Gaͤlten hinein. Hinter der Hecke birgt ſie ſich in den
Schatten der Syringen und lauert durch die Blätter
hindurch, wo ſie den Pfad beohachten kann, wo einſtens
der hlonde Lockenkopf beim Dahltenbette zum aller⸗
erſten Male mit ihr ſprach und ſie ſo oft um Ia
oder Nein gequält hat . . .

Zeßt . . jebt zittert ſie an allen Sliedern.
Dort auz dem kleinen Thürchen des ſteinernen Treib-
hauoͤchens tritt ein Mann heraus — und ſtellt die
ſchwelen Fenfter auf — er ſchaut nach lints und
nach rechis und in die Luft und zum, Dahlienbeet,
wo nocdh ganz kleine Pfläuzchen neben hohen Stöcken
{tehen — ein muntereS ſchwaͤrzes Hündchen leckt ihm
die Hand, und er ſtreichelt ihm den Kopf.



— — —

— S—— —



Und — er betritt den ſich ſchlängelnden Pfad
und geht grad auf ſie zu — und an den Blumen-
{träuchern vorbei — und es raſchelt in den Strauchern
und er Hört einen klagenden Zon: „Beter, Peter!“

Und Peter erſchrickt und bleibt ſtehen; aber Du
guter Gott! iſt das Gretchen, die da mit den blaſſen
Waugen und den hohlen Augen, kann das das lieh⸗
Iiche Maͤdchen ſein? SHa, ja, ſie ift c& — €& iſt das
felbe Gretchen, die ihn verſtoßen hat, und ſte ſtreckt
die zitfernde Haud nach Hın aus und flüſtert noch
einnial: „Ach Peter, mein Peter!“

Und Beter — wenn er auch ſchou ihr Peter
nicht mehr ift, und ob auch ein kaltex Winter ſein
Helz hHeimgefucht hat — nitt doch näher, und
indem er dem bellenden Möhrchen „Kuſcht!“ zuruft
fragt er ganz kühl und ruhig: „Z00 fommft den
Du hHer, Gretchen? Du biſt Frank, i ſehe es Dir
an. MWas thuſt Du ſo früh hier im Gaͤrten?“

Grelchen blickt ſcheu zu ihnı auf, aber ſie findet
kein Woxt, fie athınet mühſelig, das Herz ſchlägt ihr
bis an die Kehle hinan! Sie war doch gekommen,
aun ihm Alles zu ſagen, Alles, was ſie ſruͤher nicht
zu fagen wagte! daß fie ihm fein Wort zurückgah in
dem .trüben Vorgefuͤhl, nie fein werden zu dürfen;
fie wollte ihm erzählen von dem Weibe, das ihr den
Tag ihres Todes vorhergeſagt hatte und von der
Mngft, die ſie gleich gehabt hatte, obſchon ſie c3 An—
fangS nicht glauhen wollte; ſie wollte ihu mittheilen,
wie {ie täglich fliller und ſchwaͤcher geworden jet umD
wie fie fajt keine Nacht habe ſchlafen fönnen Ales⸗
MAles wollte ſie ihm fagen — und nicht wahr? Nım
wuͤrde Peter ſie nicht auslachen wegen ihres; Aber—
glaubens, nun würde er es ſchon glanben, Wenn er
jie fo faͤhe und Grelchen nicht böfe fein, das in der
Blüthe ihrer Jugend ſterben müſſe.

Mber nun — er ſpricht ſo lurz angebunden und
die Woͤrle bleiben ihr in der Kehle ſtecken. Nur ein
banges feufzendes Schluchzen ſtößt ſie aus, ein Thränen—
{trom entſpringt ihren dünklen Augen und Peter er⸗
greift ihre Hand, denn ſie taumelt, als wenn ſie
niederfallen würde.

Peter iſt ſterk; mit jeder Hand hundert.
Pfund zugleich auf den Tiſch zu heben daraus macht
er fich nicht8, — aber jetzt, was ſollte und kannte
er anfangen. Zwiſchen ihnen Beiden war ja Alles
aus; dafür hat das dumnie Schaf, die Sanne, ge—
jorgt, die gewiß „nein“ meinte, als ſie zu Gretchen
und zu ihm „ja“ ſagte, die immer dumines Lügen—
gerede über in und ſeinen Bater aufgewärmt hatte
das verfluchte, abergläubiſche Weiboͤbild! Muhig,
Peter! Du darfſt nicht fluchen. Ja, du guter, barm—
herziger Gott, das iſt wohl wahr — aber wenn man
all das Gerede im Dorfe hatte anhören müſſen und
ein Herz im Leibe ſchlagen fühlte und wenn er an
Alles daͤchte, was er des Gretchens halber dieſen
Winter haͤlte fühlen müſſen — dann, dann möchte
man es ſchon verzeihlich finden und auch begreifen,
daß es jetzt ganz aus war zwiſchen ihm und Gretchen.
Wo ſoll er mit ihr hin?

Indeni er überlegt und dann ganz ruhig ſagt:



 
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