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Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1890

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Nr. 49 - Nr. 52 (7. Dezember - 28. Dezember)
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Pfälzer

yofen.











Nr. 50.




Dezember 1890.





Ein gut verzinstes Kapital.

Eine Weihnachts⸗Erzählung von B Sa get.
Nachdruck verboten.

Die Nacht war friedlich und ſtill ins Land gezogen,
und die Myriaden von Sternen, die in hehrer Pracht an
Himmelsdome ſtrahlten⸗ verliehen ihr einen königl. Schmuck,
jo daß ſie würdig erſchien, das Audenken an jene andere
Nacht zu erneuern, in der einſt die ewige Liebe vom Welten⸗
throne herabſtieg! um der Menſchheit Heil und Frieden 3
btingen. Und in die ſälle Feier der erhabenen Nacht
miſchte ſich das jubelnde Frohlocken des Feſtgeläutes, daz
von den zahlreichen Kirchthürmen einer mittelgroßen Stadt
Weſtdeutſchlands erklang und den Bewohnern derſelben
das Nahen des Geburtstages des Welterlöſers
perfündete. Auch erſchollen hie und da hiuter hellerleuch—
teten Feuſtern aus fröhlichem Kindermunde bereits jene
einfachen und doch 10 innigen Lieder, welche die göttliche
Liebe verherrlichen, denn das Chriſtkindlein hatte ſchon
seine Gaͤben ausgetheilt, und mit leuchtenden Augen uni⸗
ſtanden die Beſchenkten den Beſcheerungstiſch, in deſſen
Mitte der prächtig geſchmückte Tannenbaum, eine Darſtell⸗
ung der Geburt Jefu überſchattend, von liebender Hand
aufgerichtet war. Dieſer Tannenbaum, das Sinnbild der
ewig grünenden Hoffnung, machte einen tiefen Eindruck auf
einen jungen Mann, der durch die noch mienſchenbelebten
Straßen ſeiner Wohnung zuſchritt und von Zeit zu Zeit
hinaufſchaute zu den im Qichterglanz erſtrahlenden Weih-
nachtsbäumen.. Er erinnerte ſich der entſchwundenen Kinder⸗
zeit, wo eine liehende Ruͤtiel ihn auf ihren Arm nahm
und.ihm alle die bunten Herrlichkeiten zeigte, die anı grünen

Baume prangten. Reich waren ſeine Eliern nicht geweſen,
aber ſie hatten

den einzigen Sohn innig gelieht und ihm
aus frohem Herzen manche Freude bereitet. Jetzt ruhen ſie
ſchou ſeit manchem Jahre auf dem Friedhof und er mußte
das Weihnachtsfeſt allein feiern Niemand kümmerte ſich
um- ihn, niemand theilte Freud und Leid mit ihm, er ſtand
allein in der großen Welt, denn was Freunde erwirbt,
halte er nicht, er wax axm an Ddem glänzenden Metall, das
man Geld nennt und ein reiches Herz, ein Herz mit er⸗
habenen Schätzen hat wenig Werth bei den Menſchen.
Eine Thräne der Wehmuth ſtahl ſich aus ſeinen mildblicken—
den Augen, er trocknete ſie tief bewegt und ſchritt weiter.
Da gewahrte er, als er um eine Straßenecke bog, wie
yor einent prächtigen Hauſe ein Knabe von etwa zehn
Jahren ſtand und hinaͤufſchaute zu dem erſten Stockwerk,
au8 dem eine goldene Lichtfülle auf die Straße herabflutsete
Er hielt ſeine Schritte an und blickte gleichfalls auf das
ſchoͤne Schauſpiel, das ſich dort dem Auge darbot. Welch
eine Pracht hatte der Beſizer des Haufes zur Feier des
Keihlachtsfeſtes entfaltet! Sine Feenwelt that ſich vor dem
Beſchauer auf und er begriff, wie ſolche Herrlichleit den
Blick des Knaben feſſeln mußte, dem es allem Anſcheine
nach nicht vergönnt war,
auch noch ſo beſcheidenem
Der junge Mann ſenkte
Kleinen mit einem Gemiſch
Hätte ich doch Vermögen“,

Weihnaͤchtsbaume zu erfreuen.
ſeinen Blick und betrachtete den
von Wehmuth und Mitleid.
ſeufzte er, „wie gerne wollte




ich Gutes thun, wie gerne Zhränen tocknen! Thränen, die
am Weihnachtsfeſte reichlicher fließen, als ſonſt im Jahre.
Aber, gottlob, etmwas vermag ich doch; habe ich nicht ſoehen
auf der Poſt eine kleine Summe als Honorar für meine
jüuͤgſte litterariſche Arbeit erhalten! Wenig iſts freilich
und ich werde ſchön knapp haushalten müſſen, wenn i
bis zul Vollendung eines neuen Werkes auskommen will.
Doch, was thut’s wenn auch Freund Schmalhans mir etwas
haͤufiger noch als bisher ſeinen Beſuch macht, ich will die
Gelegeuheit nicht unbenützt vorübergehen lajjen.“ Und
damit trat er auf den Knaͤben zu, legte ihm die Hand auf
die Schulter und ſagte in freundlichem Tane:Der präch-
tige Weihnachisbaum gefällt Dir und Du möchteſt wohl
auͤch gerne einen ſolchen haben?“

‘ Der Knabe wurde bei dieſer unvermutheten Anxede,
die ganz gewiß einen ſchönen Traum zerſtört hatte, etwas
perwirrzt; indeſſen währte ſeine Verlegenheit nicht lange,
er nahın höflich ſein abgetragenes Pelzkäppchen ab, blictte
mit leuchtenden Augen zu dem ihm Unbekannten auf und
erwiderte treuherzig: „L, ja, ich möchte einen Weihnachts—
Daum und meine Geſchwiſter würden ſich mit ınir freuen,
aber wir ſind arın und bei armen Leuten erſcheint das
Chriſtkindchen nicht.“

Nicht? Weshalb denn nicht? Seid ihr nicht fromm
und brav?“ *

„D doch; wir lieben auch das Chriſtkindlein ſehr und
haben es oft gebeten, zu kommen, aber die Mutter fagte
uͤns, das Ehriſtkindlein ſei ſelbſt arm und wenn die reichen
Leute ihm kein Geld gäben, könnte es nichts einkaufen und
beſcheeren. Und das iſt auch richtig, nicht wahr?“

_ Der junge Mann nickte, dann hieß er den Knaben
jeine Mütze wieder aufſetzen und fuhr fort: „Wie viele
Geſchwiſter haſt Du denn mein Sohn und was machen
Deine Eltern?“ :

Der Kleine ſenkte traurig den Blick . „Mein Vater
iſt tot und meine Mutter ſchon feit zwei Jahren Fränklich,
ſie macht Cigarren und wir Kinder helfen ihr dabei, jviel
wir koͤnnen, aber wir ſind zu ſieben, ich bin der älteſte
meiner fünf Geſchwiſter! und die Arbeit bringt nicht viel
ein. ben habe ich die Cigarren, die wir dieſe Woche
gemacht, abgeliefext und zwei Thaler und einige Groſchen
dafuͤr erhalten. Ich muß drum eilen, daß ich nach Hauſe
fomme, der ſchöne Weihnachtsbaum hat mich etwas aufge—
Halten : wir müſſen noch Kohlen und Brod einkaufen, hente


„ Der Knabe ſtockte er wollte nicht ſagen, daß er und
ſeine Angehörigen den Tag ohne Fener und ohne Nahrung
zugebracht, aber der junge Mann errieth und bemerktẽ
daher kurz entſchloſſen: Komme, mein IJunge, ich will
Dich begleiten und nachher mit dem Chriſtkindlein reden,
* auch euch einen Weihnachtsbaum mit ſchönen Sachen
ringt. “ ;

Können Sie da3 ?“ fragte der Kleine freudig über⸗
rajcht. Za? D, dann thun ſie es doch und bitten Sie
auch das Chriſtkindlein, daß es an meine Mutter denken
möge, ich bin ſo glücklich, wenn ſie ſich freut.”

„Du biſt ein guter Junge“, ſagte ſein Begleiter, von


 
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