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Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1890

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Nr. 49 - Nr. 52 (7. Dezember - 28. Dezember)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44275#0188
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dieſem Beweiſe kindlicher Liehe gerührt, „ih werde ſehen,
was ſich thun läßt. Mit 44 Worten faßte er den
Kuaͤben bei der Hand und beide eilten der Wohnung des
erſtern zu.

Naͤch einer längeren Wanderung wurde dieſe erreicht;
ſie befand ſich im oberften Stockwerke eines von vielen
Lebeiterfamilien bewohnten Hauſes und beſtand aus zwei
Feinen niedrigen Manſardenzimmern. Bei dem Eintritt
in dieſelbe, eilte der Knabe auf ſeine höchſt dürftig geklei—
dete Mutter zu, welche eben damit beſchaͤftigt war die
Feinen, mit aͤriiſeligen Möbeln Tausgeſtatteten Räume für
das Feſt herzurichten, während die fünf Kinder, vor Kälte
zitternd, ım einen alten Tiſch ſaßen, auf dem eine fußloſe
Qampe, die in ein Gefäß geſtellt mwar, Dbrannte und eine
mäßige Helle verbreitete. „Liebe Mutter“, rief der Kleine,
hier Eommt ein guter GHerr, Der mit dem Ehriſtkindlein
yeden will, Ddamit e& auch uns etwas zu Weihnachten
bringt.“

Die Frau ſchaute erröthend zu dem jungen Mann auf,
der ſich ihr näherte und ihr die Hand entgegenftreckte. Er
erzählte ihr mit wenigen Worten, wie er ihr Söhnden ge-
Loͤffen/ z0g dann ſeine Geldbörſe und reichte den Knaben
ein Silberitüce. „Sebh’,“ ſagte er, und hHole ſchnell Holz
und Kohlen, damit Feuer gemacht werden kann, und Du,
mein Sohn,“ wandle er ſich an das älteſte der übrigen
Kinder, tHnı gleichfalls ein Geldſtück gebend, „Du kaufſt
unterdeſſen Brod, Butter und Kaffee ein.“ v

Die beiden kamen dieſer Aufforderung ſofort nach und als
ſie fich entfernt hatten begann Dder junge Mann zu der
Frau, die ſich helle Thränen aus den Augen wiſchte, ge-
wendet: Mein Name iſt Paul Steinhorſt, ich bin Schrift-
fleller und wohne hier in der Stadt, mein Einkommen iſt
zwar ein ſehr geringes, aber ſoviel habe ich doch um es
zu ermöglichen/ das Sie und die Ihrigen ſich auch in etwa
des Weihnachtsfeſtes erfreuen können. Nehmen Sie daher⸗
was ich Ihuen geben kann. Die Frau war don dieſen
Voͤrten tief gerührt, ſie dankte mit bewegter Stimme und
berichtete dann eiugehend über ihre Lage. Ihr verſtorbener
Manı war Buchdrucker geweſen. Er verdiente ſoviel, um
feine Familie anſtäudig ernähren zu können, aber da kam
das tolle Jahr 1848, Franz Graͤuburg, 10 hies er, ließ
fich von der Bewegung Hinveißen, betheiligte ſich an den
Lufſtande und würde als Repolutionzr zu langjähriger
Zuchthausſtrafe verurtheilt. Indeſſen beugten ihn Gram
und Kummer ſo tief, daß er erkrankte und bald nach ſeiner
Unterbringung in der Strafanſtalt ſtarb/ eine Wittwe und
jech3, zum Theil noch ganz kleine Kinder voͤllig mittellos
Hinterlaffend. Die arme Frau bemühte ſich nun um Arbeit,
als ſie aber nichts Paſſendes fand, erlernte ſie das Cigarren⸗
maͤchen und erwarb damit einen Lohn, der nicht einmal
zur Beſtreitung der allernothwendigſten LebenZmittel aus⸗
reichte. Unterſtutzung fand ſie faſt keine! Da alle ſich von
der Wittwe Ddes Revolutionärz abwandten Steinhorſt
Hatte dieſen Erklärungen mit gemiſchten Gefühlen zugehört
und al8 die Frau mit einent tiefen Seufzer geendet, ergriff
er ihre Hand, drückte fie warm und ſagte: Liebe Frau
Srauburg! Wie ich ſchon angedeutet, bin ich ſelbſt nicht
auf Roͤfen gebettet, aber ich ſtehe allein in der Welt, habe
für niemanden zu ſorgen und will daher für Sie und die
Ihrigen thum, waz ich eben vermag.“ Aoermals griff er
in die Taſche und entnahm ſeinem Geldbeutel fünf Thaler
die er der Wittwe übergaͤb mit dem Bemerken, daß er für
den Augeublick nicht mehr geben könne Frau Grauburg
wollte das Gejchent nicht annehmen, aber Sleinhorſt meinte
lächelnd: „Lafjen Sie es nur gut fein, wenn Ihre Kinder
einmal groß und vielleicht vermögend ſind, können ſie mir
ja den —— zuruͤckerſtatten Boch jetzt noch eins! Ich






zu reden und ich muß alſo Wort halten. Sorgen Sie für


ich eile indeſſen einen Weihuachtsbaum und die dazu nöthi-


ſieben Kiuder ekwachen, werden ſie jehen, was das Chriſt—
kindlein gebracht. Frau Grauburg verſuchte dagegen zu
reden, aber der Schriftſteller ließ ſich von ſeinem Plane


Nummer er ſich merkte


mann beauftragt hatte, dieſe nebſt einen zierlichen Tannen—
baum zur Witiwe Grauburg zu bringen. „Wie ſchön Yt’S“,
murmelte er vor ſich hin, „wohlzuthun ! Könnte ich doch
allen Bedürftigen helfen, allen lindernden Balſam ins Her’z
gießen, aber ach! —“ In Gedanken verſunken, ſchritt er
wiedexum dem Hauſe der Armen zu, um es erft, nachdem
der kleine Tannenbaum geſchmückt und die Geſchenke für
die Kinder hübſch georduet waren, gegen Mitternacht, von
den heißeſten Segenswünſchen der Wittwe begleitet zu ver—
laſſen. Als er die Straße wieder betrat, ſchlug e& eben
zwölf Uhr und in demſelben Augenblicke ertönte von der
Gallerie eines nahen Kirchthurms feierliche Choralmuſik,
in welche gleich darauf das harmoniſche Geläute der Glocken
einjtimmte. Die heilige Gnadenzeit war angebrochen und
Steinhorſt eilte als froͤmmgläubiger Chriſt zur nahen Kirche,
um daſelbſt der erſten heiligen Weihnachtsmeſſe, die dort
ſeit alter Zeit um Mitternacht gefeiert wurde, beizuwohnen.
*

*


Jahre waren ſeit jenem Weihnachtsfeſte verfloſſen und aus
dem jungen Schriftſteller von damals war ein alter Mann
geworden, deſſen Haupt ſtatt dunkler Lackenfülle ſpärliches
zraues Haax bedeckte. Wie hatte der Sturm des Lebens
ihn im Laufe der Jahre umtoſt, wie viele trübe Erinnex—
ungen bildeien gleichſam die Leichenſteine, die ſo manche
unerfüllten, zu Grabe getragenen Hoffnungen bezeichneten
Ruͤn ſtaud er am Abende ſeines Lebeus. Die untergehende
Sonne beleuchtete und verklärte ihn nicht mit lieblichem
Scheine, rauh und düſter lag der Reſt des Weges vor ihm,
den er noch bis zum Endziele zu wandern hatte. Frohen
Muthes hatte er damals in die Zukunft geblickt, aber ſeine
Wünſche waren unerfüllt geblieben; der Familie Grauburg
hatte er bei dem beſten Willen nichts mehr thun können.
Von der Stadt, in welcher ſie lebte, war er hinausgewan—
dert in die Welt, um ſein Glück zu verſuchen, aber alle
Bemithungen waren erfolglos geblieben und nun friſtete er
fern von der geliebten Heimath ein kümmerliches Daſein.
Sein Talent hHatte ihn zu keinem Namen verholfen, nur
wenige kauften ihm zu einem geringen Preiſe ſeine ſchrift—
ſtelleriſchen Arbeiten ab und meiſtens war er gezwungen,
ſich ſein karges Brod durch Verfaſſen von Gelegenheitoͤge—
dichten und Reden zu erwerben. Unter ſolchen Verhaͤlt—
niffen bewohnte er ein kleines möbliertes Zimmer bei einer
alten Beamienwitiwe und oft genug war die Noth die Ge—
faͤhrtin ſeiner Einſamkeit. In der letzten Zeit war ſie
häufiger denn je bei ihm erſchienen und feit der Winter
mit aller Macht ins Land gezogen, geſellte ſich auch noch
Krautheit dazu. Iuzwiſchen nahte die hl. Weihnachtszeit
und Steinhorſt ſehute ſich ſehr darnach, das Chriſtfeſt noch
einmal unter einem ſtrahienden Tannenbaum inmitten {röh-
licher Menſchen feiern zu fönnen. Aber für die Erfühuns
diefes Wunſches war wenig Ausficht vorhanden; wer ſollte
ihn, den einfamen Mann auch zu Theilnahme an einem
ſolchen Familienfeſte einladen?
 
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