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Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1890

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Nr. 2 - Nr. 4 (12. Januar - 26. Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44275#0007
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— Etne Bewegung gegen das Grüßen
durgg Hutabnehmen iſt in Peſth angeregt worden.
Lachdem von dem Peſther Lloyd von aͤrztlicher Seite
eine diesbezügliche Zuſchrift veröffentlicht worden iſt,
ergreift zu dieſer Frage in demſelben Blatte nun
auch Saͤnitätsrath Dr. E Hertzka wie folgt das
Wort: Herr Profeſſor Dr. Stiller hat einem glüc-
lichen Gedanken Ausdruck gegeben, einem Gedanken,
den ich ſchan feit Jahren praktijdh ausgeführt. Or.
Profeſſor Dr. Stiller hat es jedoch unterlaſſen, uns
zu fagen, was an die Stelle des Grußes durch Hut-
abnehmen zu treten hHätte; denn man kann ja nicht
an Bekannken — von den Damen ſeiner Bekannt-
ſchaft ganz abgeſehen — wie ein Fremder vorüber—
gehen. Da erinnere ich mich, daß mein Weimarer
College Dr. Pfeiffex, ſobald Allerheiligen in's Land
gezugen, in die dortige Localpreſſe zwei Zeilen ein—
rücken ließ: Vom 1, November ab grüße ich mili—
fatrijdh.“ Und Jedermann iſt zufrieden; iſt ja der
militairiſche Gruß einer der ſchoͤnſten und, ſo paradox
e& klingt, einer der demokratifchſten, ein Gruß, der
für den Corporal gerade ſo gleich iſt wie fuͤr die
Loͤchſtſtehenden in der Armee! Ergänzen wir alfo die
Idee des Hrn Profeſſors Stiller, indem wir allen
unſern Bekannten zurufen: „Grüßet militairiſch!“ In
einem andern Schreiben an den P. L. heißt e8: „Mit
großem Beifall begrüße ich die Zuſchrift des Hen.
Profeſſors Dr. Stiller in Betreff der widerſinnigen
Gewohnheit des Grüßens durch Hutabnehnien zur
Winterszeit. Der Gruß mit Hutabnehmen f{tammt
aus der Zeit der Franken. Bel dieſem Volksſtamme
durften nur die vornehmen Perſonen und Väͤtricter
langes Haupthaar, die Plebejer und Diener mußten
kurzgeſchorenes Haupthaar tragen. Wenn nun ſolch'
ein Plebejer einem Patricier begegnete, war -er bei
großer Strafe verpflichtet, ſeine Kopfbedeckung abzu⸗
nehmen/ damit der Patricter ſich überzeugen konnte,
daß ſein (des Plebejers) Kopfhaar kurz geſchoren ſei.
In Amerika fennt man dieſe Art des GrußeS gar
nicht; dort grüßt man Winter und Sommer mir
durch eine einfache Handhewegung. Es iſt wirklich
kaum faßbar, wie dieſe dumme, ſchädliche Sitte in
unſerer aufgeklärten Zeit bei uns ſo lange ſich er—
halten fonnte,

— Ein Schnetder als Eilgut. Ein ſonder⸗
harer Vorfall hat ſich am jüngſten Donnerſtag im
Oſtbahnhof zu Paris zugetragen: Um 5 Uhr Morgens
fangte mit dem Schnellzuge eine Kiſte an, die 1,50
Meter hoch, 90 Kilbgramm ſchwer, auf beiden Seiten
mit Griffen und auf der Vorderſeite mit der In-
ſchrift: „Oben Unten Zerbrechlich? verſehen war.
Sorgfältig trugen die Paͤckträger des Bahnhofes die
Kiſte nach der Zoͤllſtätte und ftellten ſie in einer Ecke
ab Gegen 9 Uhr bemerkte ein Bedienſteter der
Waarenhalle, daß die Kiſte aus Wien wackelte; er
machte die Kameraden aufmerkſam, und als ſie hin—
zutraten, ſahen ſie ein kleines behäbiges, blondes
Maännchen dem Behälter entſteigen. Es ſchüttelte das
Stroh, mit dem e& noch ganz überhangen war, ab
— und mußte ſich dann nach dem Zollbureau führen
laſſen, wo es ſich zunächſt herausſtellte, daß der
Fremde kein Franzöſiſch verſtand. Einem Elfäſſer,
der als Dolmetſch herbeigerufen wurde, erklärte er,
dieſes Mittel hätte ihm als das billigfte, um nach





und



de⸗

ſiich 4
An⸗
und!

Zeitung, ſei Damenſchneider, aus Warſchau gebürtig
habe in Wien ſchlechte Geſchäfte gemacht und hoffẽ
mit einer Erfindung durchzudriigen. Da er die
Mittel nicht beſaß/ als Paffagiex zu reiſen, gab er
ſich ſelbſt mit allerlet Liſten als Eilgut guf, verſehen
mit Wurſt, Brod, Waſſer und Wein Er haͤtte (bei
einem Geſammtaufenthalt von 50 Stunden in der
Kiſte) die 36ſtündige Reiſe gluͤcklich beſtanden und
hoffte unbemerkt aus der Kiſte, deren Decke er voͤn
innen losſchrauben konnte, zu kriechen. Die Eiſen⸗
bahngeſellſchaft ließ ihn wegen Betrug verhaften, doch
wurde er aus der Haft entlaſſen, nachdem Ddie Re⸗
daktion des /Petit Journal? den Fahrpreis für ihn
erlegt hatte,

zaͤchnrches zufluenza Lied.

Ich weeß nich/ wie mir’3 heide is,
Mir is Sie ganz gurjofe,

Es frierd mich Sie im Baledo
Ich ſchwidze in der Hoſe.

Im Halſe gradzd’3 mich ferchderlich,
Die Naſe wird nie reene,.

Und mache verdzehn Schritte ich,
Dann ziddern niir die Beene,

Herrjemerfch, hädde ich ſe ſchon,

De beeſe Jufluenze,

Die werrſchdendehls von Rußland Her
Goninit ibber unfre Grenze?



Fen Anderer an meiner Schdell⸗
Lächd ſich aufs Ohr, ich wedde,
Zoch was een ächder Sachfe is,
Der geht nich' gleich in's Bedde.

Der greifd voch in der hechsden Nodh
Gelchivind zum Schälchen Gaffe

Een Schligaͤchen nur, ſchnell is miris wohl,
Fiehl mich wie een Schlaraffe.

Der Gaffe iſt vor alles gud⸗

Da gibd es geene Fachfen,

Doch muß er Sie ſo ſchdarg ſein, wie
Bei uns derheem in Sachfen,

Humoriſtiſches.
— Selbftverftändlich.) Haben Sie des Nachts oft
kalte Füße. — OD ja, wenn ich — die Beene raus ſtecke.

— (Stiilblüthe.) Da e8 — daß Mann⸗
ſchaften beim Baden im Fluſſe ertrunken ſind, hat dies nun—
mehr nur an der vom Regiment befohlenen Stelle zu geſchehen.

— (Gebildet.) SErzieherin: Wählen Sie lieber gekoch⸗
ten Schinken, Gretchen, roher ſchickt ſich nicht für eine gebildete
Dame.

— (Solimm.). Mein Fräulein, ich liebe Sie, Sie
müſſen die Meine werden; ich baue auf Ihr Jawort! — Und
wenn ich Ihnen nun doch die Bau⸗Erlaubniß verweigere?!

Räthſel.
Ihr nehmt mich vor die Augen,
Doch ſelten vor den Mund.
Was irgendwo paſſiret,
Ich thu es ſchnell Euch kund.

Im Sommer oft erfreue
Ich Euch durch friſches Grün,
Doch wenn ich geſtorben,
Der Sommer iſt dahin

Auflöſung in der nächſten Nummer,)





Paris zu gelangen, eingeleuchtet. Er heiße Hermann



Verantwortlicher Redakteur: Jul. Jecker in 5 eidelberg. —

Drud und Verlag von J. Schw * in Heidelberg.





otllenhei






Ler

ſi



M 4, DHeidelberg,



1890.



Gretchen auf dem Hönigserbe,

Eine hollaͤndiſche Dorfgeſchichte von S, X Cremer.
Deutſch von L v. Heem ſtede.
Nachdruck verboten.

®

(Fortſetzung)

Es war immer erzählt worden, daß Peters Vater
den Wehrwolf machte, mit den Teufel /krispendirte“9,
immer Alles wußte, und daß ihm Alles, was er an-
fing, glückte. Aber wie ſich das damit auch verhalten
mochte, zum erſten Male in ihrem Leben hat Jungfer
Sanne den Peter geſprochen und — wenn Femaͤnd
Einem auf ſolch' einem Wege ſicher forthilft, ja
Einen ſogar auf den Rücken nimmt, ſo kann ein
ſolcher Jemand doch unmöglich Etwas mit dem väter⸗
ſichen Teufelsbund zu ſchaffen haben. Und dann —
Peter arbeitete ja oft bet dem katholiſchen ſowohl bei
den evangeliſchen Geiſtlichen, und bei dem Bürger—
meiſter im Blumen= und Gemüſegarten, und von ihm
hatte ſie nie gehört, daß er von ſchlechten Wegen
heimgekommen ſei.

Von ſchlechten Wegen!“ Der Gedanke an den
Weg, den ſie heute hatte zurücklegen müſſen, wirkte
o auf die alte Jungfer, daß ſie ansfah, als wenn
ſie ein, Fläſchchen Salmiak unter der Naſe hätte,
ſo glotzten ihre Augen; raſch geht ſie zu ihrer Kom-
mode — doch bevar ſie dazu kommt, eine Lade auf—
zuziehen und ein Doͤchen heraus zu nehmen, ſchetuͤt
ein Guſeln ſie zu überlaufen, denn raſch ergreift fie
den Stock, ſtoͤßt drei⸗ bis vier· bis fünfmal gegen
die Zimmerdede, his endlich Bruder Johann, der
über ihr ſchläft, ein Lebzeichen gibt und halb im
Schlafe, niit tiefer Brummftimme einen Vers vom
64. Pſalm anftimmt; das haͤtte ſie ihm ſo beigebracht.

Jungfer Sanne nimmt, nachdem ſie ſich ſo be—
ruhigt, Platz und hat einen Haufen ſchmutziger Papiere
in der Hand. Es ſind die Blätter eines Büchletus
mit Qrakeiſprüchen, mit Plaueten und anderen Figuren
grell bemalt. Sie hat ſchon viele Planeten in ihrem
Leben gezogen, aber nur dieſex Eine, den ſie gezogen
hatte, als ſie kaum ſechszehn Jahre zählte, nır der
_ fonnte der richtige ſein. Immer und allezeit war er
ihr zugefallen, nie war er ihr aus dem Sinne ge—
fommen, aber jetzt, nun ſie ihn auch heute wieder zoͤg,
nun war fie ganz wie betäubt Ddavon, ſo bezüglich
war es. Hört nur! „In dem Steinbocke“ war die
Ueherſchrift und darunter ſtand: „Von einer ſchlechten
Aeiſe wirſt Du heimkehren und lange wirſt Du bei
Deinem Feinde weileu, und er wird Dich ganz in
Flauimen ſetzen/ und Du wirſt in dem ehelichen Staͤnde
über die Maaßen glücklich ſein!“

„Nein! Neutlicher konnte ein Plaͤnet doch wohl
nicht reden! Aber ſtill! obwohl es ſchon ſpät in dẽr
Nacht iſt/ ſo kann ſie es doch nicht laffen, das Büch—
lein, das ſie nach Mitters Tod hinten un Kabinetie
gefunden hat, noch einmal aufzuſchlagen. Das Orakel⸗
büchlein! Ein wenig ängſtlich ſchaut ſie um ſich und








nach oben — Johann ſang nicht mehr aber dann
ſieht ſie wieder eifrig in das alte ſchmierige Buͤchlein
mit dem gelbpergamentenen Deckel, im Jahre 1657
zum dreinndzwanzigſten Male gedruckt. Bet der drei⸗
undfünfzigſten Frage des Frageregiſters hält ſie ein
und lieſt! „Ob der Serviteur feiner Erkorenen Gutes
thun wird?“

Sie legt ihre Hand auf das erſte Blatt, berührt
mit dem Finger auf’3 Gerathewohl die Zahl ſechs
und zählt, wie ſie es im Orakelunterrichle gelernt,
bis achtundfünfzig im Regiſter. Auf dieſem Blatte
des Bſichleins muß ſie fein, und dort ſteht: „Olympias!
— Olympias!‘“ Mit zitternder Hand zählt {ie wieder
ſechs nach unten und lieſt fie: „Wenn Dır Dich vor—
ſichtig und weiſe betragen wirſt, ſo wirſt Du von
Deinem Serviteure Alles erlangen, was Du uur
willſt, denn er liebt Dich im höchſten Grade.“

Das Herz ſchlug der Jungfer Sanne bis an
die Kehle hinan, ſie war voll, ganz überboll! Die
Prophezeiung der jungen Jahre würde alſo noch in
Erfüllung gehen und — war es ein Wunder, daß
ſie noch einmal ihre Hand betrachtete, die Hand, die
— nun Ihr wißt ſchon.

Wenn Ihr lachen müſſet über eine fünfzigfährige,
aberglaͤubiſche Berfon, die noch verliebt iſt, {o ift mir
das ſchon recht aber — ich habe ſie perſönlich ge—
fannt — nicht recht wäre e& mir, wenn Shr. immer
über ſie lachen wolltet. Wenn ſie allein nur häßlich
geweſen wäre, ſo würde das wohl Keiner lächerlich
finden — aber ich möchte ſogar, daß Ihr Mitleid
mit ihr hättet, denn — was meint Jr“ , ...
würde ein Kind am Tage ſeinen Weg finden, wenn
man ihm denſelben des Abends im Bunkeln zeigte?



*

Es iſt ein ſchöner Septembermorgen, dem die
dunkle Nacht Platz gemacht hat.

Der große Blumen⸗ und Gemüſegarten des
Hönigzerbes, der hinter dem Hauſe liegt, läßt ſeine
tauſend und abertauſend Thauperlen dermaßen in den
lachenden Sonnenſtrahlen hlitzen, daß man die Augen
fajt zukneifen muß; der Apfelbaumgarten, ganz am
Ende iſt ganz in ſchöne blaue Düftwolken gehüllt.
Und wenn man dann oben die rothen Vogelbeeren
J0 glänzend aus dem Blau des Baunigartens hervor⸗
leuchten ſieht, dann begreift man gar wohl, daß der
arme Krametsvogel einer ſolchen Lockſpeiſe nicht
widerſtehen kann. Armes Thierchen! glaubſt du, daß
die Menſchen für dich allein ſo ſchöne leckere Beeren
zu finden wiſſen, um das häßliche Ding damit zu
verbergen, das dir den Tod bringen ſöll? Armes
Thierchen! glaube das nicht; die Menſchen thun das
auch oft für einander, und — daß ſie ſich, ach, nur
zu oft, von einander anführen laſſen und um nichts
klüger ſind als du, das iſt betrübend, ſehr betrübend.
Doch wir wollen jetzt keine finſtere Miene machen.
In dem Garten iſt es ſo nett. Allerliebſt iſt es




orrefpondirte.






 
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