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Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1890

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Nr. 9 - Nr. 13 (2. März - 30. März)
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E —

1890.















Gretchen auf dem Hönigserbe.

Gine hollaͤndiſche Dorfgefchichte von I, ð. Cremer.
Deutſch von &. v. Heemſtede.
Nachdruck verboten.

Fortſetzung.) ; ;

Aber plötzlich ſchreckt ſie zuſammen und zieht die
*** ** Bettes auf O Gott wo iſt
— —

Ja, ja, jetzt weiß ſie es ſchon; es tritt ihr Alles
auf einmal wieder ins Gedaͤchtniß. Nicht in Mutters
Hauſe iſt ſie, ſondern auf dem Hönigserbe in ihrem
alten Dachzimmercdhen . . .. und hente Morgen hat
ſie Peler gefehen .. .. dann war ſie hei ihm . + .
und er hat ihr gefagt, daß es nicht wahr ſei, was
das gelbe Weibsbild . ... Nein! Nein! es wird
nicht wahr ſein! Wenn es wahr wäre, dann müßte
fie in dieſer naͤmlichen Nacht noch ſterben. Nein, es
kann nicht ſein. Ein Menſch, der ſtirbt, wird kalt
an den Beinen, und die ihrigen brennen, ſie brennt
am ganzen Leibe. Sie ſoll — ſagte Peter — nur
guten Muthes ſein und auf Golt verkrauen, denn
nur er allein . .. Ja, ſeht nur, ſie iſt ſchon wieder
ruhig und gar nicht mehr bang . . . . ſie will ſich
noch ein wenig wieder hinlegen.

Phü! ſte wirft die oberſte Decke bei Seite, es
wird ihr ſo warm.

So — mit dem Kopfe zum Bette heraus, dann
kann ſte den matten Schimmer, der durch das Fenſter
ſcheint ſehen.
weit offen, denn der Tod kommk wie ein Dieh in der
Nacht. Hu! in der Nacht! — Wachet und betet!

Ja, beten, das will ſie.

Aber — v Gott! jetzt fühlt ſie plötzlich ſolch
eine ſonderbare Kälte an den Beinen. Raſch zieht
ſie die Decke wieder über ſich, aber die Kälte will
nicht weichen, beſonders die Kniee ſind ihr ſo kalt.
Mutter, Peter! ruft ſie, wenn es aber doch wahr
würde! Sterben! „Hilfe, Hilfe!“ es wird ihr ſo
übel, ſo ſchwindelig, ſo ſonderbar! Wie dunkel, wie
ſchrecklich dunkel iſt es im Bett! Nein! nein!! ſte
will noch nicht ſterben, ſie iſt noch ſo jung, noch ſo
ſehr jung! „Mutter, Peter! — Peter, Multer!“ ruft
ſie noch lauter und fliegt aus dem Bette heraus und
will das Fenſter aufmaden . .. . „Quft!“ muß ſie
haben, „Luft! Luft!“

Aber, armes Kind!“ ihre Kräfte ſind erſchöpft;
dort, mit dem Kopfe auf dem Stuhle, liegt ſie am
Fenſter zu Boden — da liegt ſie, das arme Gretchen!
beinahe wie eine Todte.

Und — wie lang ſie da liegt, daß weiß ſie
Von dem Geräuſch, das die heimkehrenden Männer
machen, hört ſie nichts; ebenſo wenig wie der Regen,
7 das Fenſter Maticht, Sie ſteht nicht, wie der

vnd noch eben durch die Wolken in ihr Zimmerchen
guckt, bevor er ganz fortgeht. Der erſte Hahnenſchrei
von Hof zu Hof trifft nicht ihr Ohr. Siẽ kann nicht

nicht




ſehen, wie der Morgen langſam hereinbricht, denn ſte
liegt noch immer da, ſo ftill wie eine Todte.

Und das Flöten der Vögelein auf dem Dache
und das Girren der Täubchen vor'm Fenſter, Gret-
chen hört es nicht! Doch ſeht, ein flüchtiges
Laͤcheln ſpielt um ihre Mundwinkel. Die ſchwarzen
Wimpern ſchlägt ſie eben auf, läßt ſie wieder ſinken
und öffnet ſie von Neuem. Das Flöten und Girren
ja/ jetzt hört fie’S, ganz gewiß hört fie’3 ; aber
doch, ſie weiß Anfangs nicht recht, was es iſt und
woher es koiimt. Jedoch.. jetzt, ja jetzt
weiß {ie’8, ſeht nur: ihre dunkelen Augen ſchauen
ſchanen léuchlend umher, gar ängſtlich und faſt wild
vor Entzücen ... . ein lauter Seufzer entſteigt hrer
Bruſt, ein faſt unheimlicher Freudenſeufzer. Sie fühlt.
ſie weiß es: die letzte Nacht ihres achtzehnten Jahres
iſt voruͤber gegangen. © du lieber, guter Himmel !
ſie lebt noch — ihr Kopf iſt wirr und ihre Glieder
ſind zerſchlagen, aber doch — doch ſie lebt!! — Yenes
Weib hal gelogen! — So, mit der Hand auf der
Bruſt, ſo fühlt ſie das Klopfen ihres Herzenz. O Du
lieber, guter, großer, barmherziger Goͤlt! ſieben lange
Monate mit der Angſt im Herzen! Aber nun . ..

Seht, da ſpringt ſie auf 1und öffnet das Fen—


ihr kräftigend entgegen und läßt das tolle Herz ruhiger
klopfen. Ihr achtzehnter Geburtstag iſt da.
ſie hat ihn begrüßt — und den Duft der Blumen
athmet ſie ein — gerade wie das Jahr vorher, und
ſie ſieht die Täubchen und die Bäume mit ihren
grünen Blättern, und die blaue, graue Luft, Alles,
Alles .vingsumher . .. und ihre Zähne klappern
aneinander und ihre Augen füllen ſich mit Thränen,
mit Dankesthränen — Gott wußte es allein und


*
*

Aber ſtill! mochte auch die liebe Sonne an dem
erſten Tage von Gretchens neunzehntem Jahre fröh—
4 — ein luſtiger Geburtstag iſt es trotzdem
nicht
Wenn ein wilder und lange auhaltender Sturm
den Stamm des jungen Bäunichens zur Erde gebeugt
hHat, meint ihr, das alsdann ein einziger Straͤhl der
lieblichen Maiſonne ihm ſeine Kraft gleich zurückgibt?
Nein und doch, nicht wahr? — die Sonne durfte
wohl fröhlich ſcheien, denn das Dorf und die ganze
Gegend ward von einem Lichtſtrahle erhellt, der der
Sonne Leuchten übertraf.

Hier und überall im Felde, in der Scheune, ain
Heerde, bei der Arbeit, überall ſpricht man von Gret⸗
chen und Peter und von Möhrchen, dem armen Wehr⸗
wolf; dann von Johann, der ſich davon gemaͤcht
hatte und ſo lang wie er iſt, in einen Graben geſtürzt
war! Ferner von Gert, dem Feldwächter, der bom
Bürgermeifter keinen kleinen Rüffel bekommen hat,
und dem befohlen ward, aus ſeiner eigenen Taͤicht
den Vieharzt, den er auf der Stelle zu den armen
Möhrchen herbeiholen mußte, zu bezahlen — oder
ſonſt — rechtsum, kehrt, Marſch!

Das war ein Gerede und Gelächter. Selbſt
Sander, der Knecht der des Nachts voͤm Schrecken


 
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