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Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1890

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Nr. 22 - Nr. 26 (1. Juni - 29. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44275#0079
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krioſto ) und die griganten von Harfagnana.

Eine Epiſode aus der Geſchichte Ferraras
im 16. Jahrhundert.
Dem Sialienifhen nacherzählt von PHilipp Freidank.

Nachdruck verboten.

„Fürchten Sie ſich nicht edles Fräulein; ich glaube
Nicht, daß der Schurke im Standẽ ſein wird, unS zu
rerfolgen; denn er wird zur Heilung ſeiner Wunden
ganz beftimmt einige Wochen gebrauchen.“

Ich verdauke Ihnen ſo Vieles, wein Herr, ſo
daß i fürdten muß, Ihre ewige Schuldnexin zU
Öeiben. Heilige Zungfrau! Ste find ja verwundet . . .“

Daͤs Hedeutet Richts, mein Fraͤulein, es iſt ja
Mlr eine einfache Schramme am Halfe.” .

Die junge Dame hatte aber bereits ihr feines
dattifllaſchenluch zerriſſen und verwendete dasſelbe,
DB des Widerſpluches ihres Befreters zu einer Com-
Leſſe, welche ihre zarten Hände auf die Wunde Legten.
Cine lebhaͤfte Nöthe verbreitete ſich bei dieſem Ge-
Bafte über das Antlik des Verwundeten. Ob dies
fine Folge des Schmerzes war, welchen das Ver—
inden verurfachte, oder ob es anderen Urſachen ent⸗
braug, mögen erfaͤhrene Beobachter entſcheiden. That—


der jungen Chirurgin von einem gleichen Purpurroth
Übergofjen wurden, und daß Darauf zwijchen der
eden jungen Leuten ein längeres Stillſchweigen
enſtand.
Int Uebrigen waren Tages- und Jahreszeiten,
msbefondere aber die Stelle, wo ſie ſich befanden,
ganz beſonders geeignet zur Sammlung und Betrach—
Umg. Von dem mit ſtarren Felſenklißpen geſpickten
Ploleau auf welchein die heiden jungen Leule ſaßen,
berbreitete ſich der Blick über ſtell abfallende Schluchten,
elche nach einer kurzen Unterbrechung durch gruͤnende
Thaͤter ſich abwechſelnd erhoben, um dann wieder
erabzufteigen, und endlich nach den Felſendomen der
Lebioelle emporzuſtreben. Die dunklen Pinien
Ftalieus, grüne Sichen, Piftaztien= und Kaftanten-
aunie, welche die Natur in dieſe wechſelnde Seenerte
Lerfchibenderiſch vertheilt hatte, hoben ſich wirkungs⸗
Doll von der düſteren Nacktheit der felſigen Gebirge⸗
lette ab und gereichten der Laͤndſchaft gerade deshalb
zum beſonderen Retze.

Zwiſchen zwei benachharten Berggipfeln ſeh man
m Strahle der Sonne die Fluthen des Serchio
linfen. Weiter entfernt zeiglen die Spigen Dder
hürnie von Caftel-Nuowv und am äußeyſten Ende
des Hortzonte8 thHiürmten ſich die fteilen Spigen der
Lettẽ der Mpenninen auf.
\‘___.___
__ *) Mriofto, Ludovico, geb. zu Neggio 8. Sept, 1474, {t. 6, Juni
wird mit Dante, Betrarka, Torquato Taſſo genannt, ſomit
en erfien ilalienifchen Didtern beigezählt, . Sein Hauptwerk iſt
08 romantifjde Epos Orlando furriojfo, der vaſende Roland, von
°°H_enbeter Form, aber großer Lascivität (am beſten überſetzt von
t;e_ß). MNußerdem fchrieb er Satiren, Sonette und lateiniſche
Dichte






1890.





Man befand ſich im Monat Februar und dieſer
Monat, ſo traurig in den beinahe nördlichen Breiten
Ferraras bedeckte das Blau des Himmels und das
derſchiedenartige Grün der Bäume mit einem leichten
Nebel. Die Sonne neigte ſich, um das Landſchafts⸗
bild zu vervollſtändigen bereits gegen das Meer von
Toscana und bevor ſie im weſtlichen Horizonte in
die Fluthen des Meeres niedertauchte, beleuchtete ſie
mit ihren letzten Strahlen die Scene, welche wir ſo—
eben geſchildert haben.

Die beiden Helden unſerer Erzählung paßten
vollſtändig zu der prächtigen Gegend, welche ſie un—
gab. Der junge Mann trug unter einem Mantel
don höſiſchem Schnitt und dunkler Farbe das glän⸗
zende Eoſtüm der Edelleute am Hofe von Ferara,
wie es in den erſten zehn Jahren des ſechszehnten
Jahrhunderts Mode war. Er ſtrotzte von Geſundheit
und ſein Auftreten war dabei doch ernſt und ſicher,
ſo daß er einen gewinnenden und zugleich imponi—
renden Eindruck machte. Auch ſein Antlitz war ernſt
und zeigte die Spuren tiefer Gedankenarbeit.

Waͤs die Kleidung des jungen Mädchens betraf,
ſo war ſolche äußerſt einfach und erinnerte beinahe
an das ſchmuckloſe Gewand einer Religioſen; doch
gehörte es allem Anſcheine nach keinem Orden an,
dafür ſprach das ganze Gebahren der jungen Dame.
Sie mochte etwa aͤchtzehn Jahre alt ſein. Ihre Züge
deuteten an, daß ſie kühnen Herzens und entſchloſſenen
Charakters war. Doch beſaß ſie eine äußerſt zarte
Geſtalt und die Kleinheit ihrer Hände und Füße ver—
rieth ihre vornehme Herkunft.

„Geſtatten Sie mir die Frage, edles Fräulein!,
ſo unterbrach ihr Retter das Stillſchweigen „welche
Urſache Sie bewogen hat, das gefährliche Wagniß zu


in dieſe Berge zu begehen, eines Mannes, der meiner
Anſicht nach mit dem Banditen, von welchem ich Sie
befreit habe, im Einverſtänduiß war?“

„Ich kam aus dem Kloſter der Kamaldulen⸗
ſerinnen und wollte mich nach Lucca zu unſerer
theueren Mutter Agathe begeben, welche ernſthaft
krank geworden iſt.“

„Sind Sie Novize?“ frug der junge Mann.

Nein, mein Herr, aber ich ſtehe ganz allein in
der Welt und deshalb bietet mir der Aufenthalt in
einem Kloſter die größte Sicherheit. Ob ich den
Schleier nehmen werde, das ſteht in Gottes Hand.

Sie ſtehen alſo ganz allein auf der Welt?“
frug der junge Edelmann mit theilnehmenden Herzen.

„Ich habe keine Eltern mehr, jedenfalls kenne
ich ſte nicht, und befinde mich ſeit meinem früheften
Alter zur Erziehung im Kloſter der Kamaldulen—
ſerinnen.“

„Und Sie wiſſen gar Nichts von Ihrer Familie?“
forſchte der junge Mann weiter.

„Nichts nur das glaube ich, daß ſie reich ſein
muß, denn ſowohl mir als auch dem Kloſter gingen
regelmäßtg die reichſten Geſchenke zu.“

„Wie konnte man unter dieſen Umftänden die
Unklugheit begehen, Sie einem ſolchen Führer anzu⸗
vertrauen?“


 
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