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ganzes Lebensglück von Der Großherzigkeit dieſer edlen
Fürſtin abhängig machte, Er nahm es Ddanfbar an, be—
trachtete ‚e$ uuit Rührung und gab mir die Hand,
Mein Herr“, ſagte er noch zu mir, 8 ich mich an—
jchiclte mich zu entfernen, „wenn ich auch nicht ſo glücklich.
vin, irgend etwas von dem großen Kriege erzählen zu
Fönnen, fo kennen Sie doch jetzt meine Geſchichte, meine
Sorgen und meine Erlebniſſe durch die erſte RKugel“.

Der harte Winter 1870-—71 war für die Schwetzinger
Beyölferung ein beſonders ereignißreicher. Zum erſten
Taͤfen bei dᷣohem Schnee 110 großer Kälte in verſchiedenen
Lbiheilungen grözere und fleinere Transporte von Ver⸗
Apundeten und Erfrorenen, größtentheils Badener, die den
Strapazen in den Vogeſen erlagen, hier ein, welche als⸗
Ddann in großen und kleinen Schlitten nach dem Lazaxeth
verbracht wurden; die Schuliugend hatte dabei yollauf zu
thuͤn Gewehre, Heline, Torniſter oder anderes Gepäck hinter⸗
her zu tragen. Ver erinnert ſich nich der Freudenfeier
zu Ehren der Kaiſerproklamation In Verſailles, oder der
Feier bei der Uebergabe von Paris, oder der ebenſo uNn-
dergeßlichen als großartigen Friedensfeier, 0Der wer hätte
den feietlichen, friedpollen und. herzlichen Einzug unſerer
Dragoner am 6, April vergeſſen? Nachdem der Friede
wieber in’S Land eingekehrt war, war es auch das erſte,
die Frauzoſen wieder in ihre Heimath zu verbringen.

Noch eine kirchliche Dankesfeier, — und dem Krieg
ward der letzte Tribut gezollt.

Sa hieſigen Lazareth wurden verpflegt: 925 Badenſer,
Norddeutfche, 105 Bayern, 20 Württemberger und
Franzoſen. A

Hiervon ſtarben 35 Katholiken, 32 Proteſtanten,
Zude und 2 Mohamedaner; ihrer MNationalität nadh: 36
Norddeutfjche, 11 Badenſer, 3 Bayern und 20 Franzoſen

Die Grabſtätle der Deutſchen iſt durch ein prachtvolles,
von Bildhauer Gg. Haßler perfextigtes Denkmal gegziert.
Sr von „Compatrioten“ ecrichtetes Kreuz, zeigt die Stelle,
wo 20 Franzoſen, die ihr junges Leben für ıhr Vaterland
ausgehaucht, fern von den Ihrigen gebettet Liegen. *)

* *
*

Für Kriegszwecke Hatte die hieſige neuerbaute Eiſen—
bahn dem Reiche große Dienſte während den 8 KriegS-
nonaten geleiſtet. * ; ; /

Hier ſpielten ganz beſondere Zufälle mit. Bei Aus-
bruch des Krieges würde gerade der neue, jebige Friedhof
fertiggeftellt; für die Schwetzinger Einwahnerſchat blieb er
uber vorerit verſchloſſen, bis man die Zeitperiode glaubte
annähernd beſtimmen zu fönnen, wo die Sterblichleit im
Lazareth aufhören wird. Und ganz zur gleichen Zeit ſollte
auch unſere langerſehnte Eiſenbahn dem Verlehr übergehen
werden; ſie wurde aber gleich von der Eröffnung an, für
einige Zeit ausſchließlich nur für Kriegsowecke in Anſpruch
genommen. Das ungeduldige Publikum mußte warten.
Ilſo dort bei den Fahrten nach der letzten Ruhe, hier
dei den Fahrten in die Welt, trat der Kriegsgott Mars
hindernd in den Weg. *

&3 uahte aber das für die Schwetzinger ſo wichtige
Pfingſt⸗ und Roſenfeſt heran, und dieſe erwarteten und
zwar mit allem Grund daß eine Eiſenbahn ihnen diesmal
ganz beſanders viele Fremde zuführen ſollte, was denn
auch wirklich der Fall war. &E3 war ein herrliches Früh⸗
lingswetter; mit der Nacht ſchien auch der Menſch neues
Leben zu athmen. Zum erſten Mal an einem Pfingſt⸗ u.

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* * Schwarz, der Bezirk Schwetzingen und die Kriegs—
jahre 1870 — 71.



Roſenfeſte brachte uns das Dampfroß die willkommenen
Beſucher unſeres Schloßgartens

Vollbeſetzte Exrtrazüge trafen nach einander ein; auf
den Straßen, im Schloßgarten, in den Gaſt und Bierwirth⸗
ſchaften mar ein noch nie geſehener Menſchenverkehr. Aus
den entfernteſten Orten Badens, Heſſens und der Rhein—
pfalz hatte man den öffentlichen Zeitungs Einladungen
Folge geleiſtet; die hier eingetroffenen Fremden wurden
auf viele taufende geſchätzt und die Gaſtwirthe machten
die brillanteſten Geſchäfte. Man ſah viele Offiziere und
Militärperſonen der verſchiedenſten Waffengattungen in
ſtattlichen Uniformen, die Bruſt geſchmückt mit dem „eiſernen
Kreuz“ oder anderen Orden und Ehrenauszeichnungen, die
einen waren geſund und wettergebräunt, andere dagegen
ſahen noch angegriffen und leidend aus.

Als auch niich die Neugier zum Bahnhof trieb kamen
zufälligerweiſe mehrere bayeriſche Artillerieoffiziere auf mich
zu, welche mich nach dem Weg zum Park befragten Mein
Anerbieten, ihr Begleiter ſein zu wollen, nahmen ſie dank—
bar an. Den Tumult und das Gedränge einer unabſeh—
baren Menſchenmaſſe aus allen Klaſſen der Geſellſchaft,
welche den Schloßgarten bevölkerten, zu beſchreiben, iſt
kaunt möglich! meinẽ Begleiter hatten deßhalb kein großes

Verlangen, unſeren KRundgang beſonders auszudehnen.
Nachdem wir alsdann in einem Biergarten Erfriſchung

und Stärkung zu uns genommen nahte für die Offiziere
die Stunde der Abfahrt. Doch reichte die Zeit noch hin,
in der proviſoriſchen Gartenwirthſchaft in dem damals noch
unvollendeten, Hotel Haßler einen ſogenannten Trollſchoppen
mitzunehmen.

Obwohl dieſe Herren mir ſo manches Selbſterlebte
aus dem Feldzug erzaͤhlten, wofür ich mich ſehr intereſſirte,
ſo wünſchle ich doch ſchließlich zu erfahren, durch welche
Waffenthat der eine dieſer Herren, der ein ſchmucker, kräftig
gebauter Mann mit prächtigem Bart und von liebens—
würdigen Umgangsformen war, wohl ſein eilernes Kreuz
verdient haben mag? „Ja,“ gab er mir auf Befragen mit
freudeſtrahlendem Geſicht zur Antwort, „damit. habe ich auch
mein Glück beſiegelt; bei dem Aufmarſch in der Schlacht
bei Weißenburg kam unſere Batterie zuerſt zum Schuß, —
das „eijerne Kreuz? das Avancementh ſowie das Jawort
meines Schwiegervaters verdanke ich der erſten X ugel. —“

Nun war es aber die höchſte Zeit zum Aufbruch. Mit
geflügelten Schritten gings zum Stkationsgebäude, wo der
Zuͤg zur Abfahrt bereit ſtand Die Herren ſtiegen ein,
der Wagenſchlag wurde geſchloſſen, ein Pfiff — und der
Zug ſetzie ſich in Bewegung; in einigen Sekunden war er
verſchwunden.

Gedankenvoll über das ſoeben Erlebte kehrte ich zur
Stadt zurück, als mir plötzlich, o ſeltſames Zuſammentreffen,
wie aus einem Traume die Erzählung in der Erinnerung
auftauchte von jenem Franzoſen am letzten Weihnachtsabend

Zwanzig Jahre ſind ſeitdem ins Meer der Ewigkeit
dahin gerollt. Wer jene große ereignißreiche Zeit miterlebt
hat/ wird ſie nie vergeſſen.

Allerlei.

Bisniarck in Paris. Ein heiterer Vorfall hat dieſer
Tage die Polizei und in gewiſſem Grade auch das Mini-
ſterium des Aeußern in Paris in Bewegung geſetzt Im
Grand Hotel war ein Herr von ziemlich hoher Geſtalt, ge-
wölbter Stirne, ſtarken Augenbrauen, vielen Falten, kurzer
Naſe und weißem abwärts gerichteten Schnurrbart abge-

ſtiegen Der Herr ging nachdenklich mit vorgebeugtem
Kopfe fdazieren. Ein Mitarbeiten des Radieal glaubte in

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