Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1890

DOI Heft:
Nr. 31 - Nr. 34 (3. August - 24. August)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44275#0120
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


Der Statthalter blickt den Arreſtanten halb mittleidig halb
verächtlich an. Wieder einmal ein Opfer jüdiſcher Volks—
juſtiz! Der Mann kommt ihm höchſt haruilos vor und
ſieht ſchlechterdings nicht aus wie ein Thronprätendent.
„Was haſt Du gethan?“

Die Antwort des Gefaugenen ſteht Johannes 18, 36.
Pilatus hört ſie befreudet und neugierig gemacht zugleich.
„So biſt dır dennoch ein König?“ Und der Mann im
Bettlerkleide, angeſpieen und mißhandelt, elend und arm
von Geſtalt, thut noch einmal ſeinen Mund auf und
ſagt majeſtätiſch und ernft: Du ſageſt es; ich bin ein
Koͤnig!

Einige Stunden ſpäter hängt er am Schandpfahl des
Kreuzes, nackt und einen Dornenkranz auf dem Haupt, und
über dem Haupt ſteht zum Spott geſchrieben: „Zeſus von
Nazareth, der Juden-König!“

Drei Jahrhunderte ſpäter ſucht die römiſche Kaiſerin
Helena nach den Spänen ebendieſes Kreuzes und ihr Sohn,
der Kaiſer, nimmt auf dem Sterbebett das Zeichen dieſes
Kreuzes an in der Taufe. Schon vorher hatte er das Kreuz
in ſein Purpurbanner ſetzen laſſen.

Wieder 700 Jahre ſpäter weigert ſich ein franzöſiſcher.
Fürſt, Gottfried von Boullion, die goldene Krone und den
Königstitel in dem Lande anzunehmen, in dem der gekreuzigte
Nazarener den Dornenkranz getragen habe.

Und nach einem Jahrtauſend an einem Freitagmorgen
des Jahres 1888 legte der mächtige Herrſcher der Welt, der
erſte Kaiſer des neuen Deutſchen Reichs, ſein todtmüdes
Haupt zum Sterben nieder, eingeſegnet in dem Namen eben
dieſes Gekreuzigten: „Wenn ich einmal ſoll ſcheiden, ſo
ſcheide nicht von mir!“

So iſt dennoch ein König? O nein! ſagt der Un—
glaube auf der Neige des 19. Fahrhunderts, wie er es
ſchon in der Mitte des erſten Jahrhunderts ſagte. Nein!
ſagte er auf hohem Katheder, nein, in den Redaklionslokalen
der geleſenſten Tagesblättern, nein, im Salon der Gebilde—
ten und in den Wirthshäuſern der Ungebildeten. Dieſer
Jeſus aus dem galiläiſchen Dorf Nazareth ein König? Nein
und abermals nein.

Sagſt Du auch nein, lieber Leſer?
Dich im Lärm der Zeit im Gewoge der Parteien, in der
Mühſal Deines Berufs ganz ſtill unter den Thron ſeines
Kreuzes und ſchauſt andächtig auf zu dem dorngekrönten
Mann, der auch an Dich gedacht, als er ſprach! &€ iſt
vollbracht?

Derſelbe Mann hat geſagt, er
fommen! als König wiederkommen! Wohl Dir, wenn
es ſich dann herausſtellt, daß er Dein König, der
Herrſcher Deines Lebens während Deiner Erdenzeit geweſen
iſt! In ſeinem Königthum liegt das Deine. In ſeinem
Kreuz liegt Deine Krone. Aber dann — um einen ewigen
Kranz dies arme Leben ganz. (olk)

werde einſt wieder⸗

— —

Kaufleute in Arbeiterkolonien.

Schon oft genug iſt von uns auf die Nothwendigkeit
des Anſchluſſes der Gehülfen des Kaufmannsſtandes an
eine freie Hülfskaſſe, wie ſie in erſter Reihe auch im „Verein
der deutſchen Kaufleute! beſteht, hingewieſen; insbeſondere
haben wir es nicht an der Anführung von Beiſpielen fehlen
laſſen, die für dieſe Nothwendigkeit eine beredte Sprache
führten. Auch die „Kaufm. Preſſe“ ſpricht ſich in ihrer
Nr. 8 in unſerem Sinne aus, indem ſie ſchreibt: *

Angeſichts der geringen Neigung zur Betheiligung
an kaufmänniſchen Hülfskaſſen, welche die jungen Leute
noch immer entwickeln, wird öfters geſagt: „Die Verhält—





.. D ?‘
bin, SEA



niſſe müſſen eben noch ſchlechter werden, 2
hülfen die Noth noch mehr fühlen und ſich 14
Verſicherung und zum Auſchluß an Vereine 4
Ehe viele von ihnen nicht vom Unglück tüchtig 4
worden ſind, glauben ſie nicht an die Foihie *
der Krankenverſicherung und wiegen ſich weiter 44
Stolz und falſcher Sicherheit.“ Nun meinen pı
braucht wahrlich auf eine Verſchlechterung DEl
nicht mehr zu warten, um den Beweis für die
der Verſicherung in die Hand zu bekömmen
haben will der fjehe ſich nur einmal die Zahlen f
wir im nachfolgenden mittheilen.
Man hat befanntlich in Deutjchland TÜr d
armen Reiſenden, welche keine Arbeit finden f
deshalb auf das Fechten! angewieſen find, 199 Ml
folonien“, jetzt über 20 an der Zahl, eingef‘d} W
finden diejenigen ftellenlofen Arbeiter Mufnaht4 M
nichts mehr ihr Eigen nennen, und zwar un
für Wochen und Monate. Um den armen eil 4
Aufenthalt aber nicht gar zu angenehm zu MO
in ihnen den Trieb wachzuhalten, wieder fOLIH Ar
zu ſuchen, iſt die ZU HN
Arbeitskolonien eine ſehr ſtrenge und fromme, 4
hart und wenig lohnend und die Verpflegung zieml!” fl
ſodaß die meiſten Arbeiter froh find, entwed
Kolonien herum oder bald wieder aus ihneh
kommen Wenn unter ſolchen Umſtänden 2
als Beſucher dieſer Kolonien auftreten und zwar
vereinzelt, ſondern als regelmäßige Gäſte und
Zahlen, 10 iſt doch wohl der Beweis geliefelM
Verſicherungszwang für Handlungsgehülfen allt
Nothwendigkeit iſt Nun veröffentlichen die KL
jährlich, allerdings immer etwas ſpät! ſodaß ü ;
noch gar keine Nachweiſe vorliegen, Berichte
Beſuch. Wir haben dieſelben nachgeſehen uyll R
daß in demjenigen für 1885/86 auch die Kaufleut® 4}
aufgeführt ſind. Später iſt dies leider unterlAll N
unſeren Auszügen waren nun unter den armel











2— —
— — —




koloniſten 8 *
in der Kolonie Kaufleute Proz d. Beſucher unier
— N 552 15 %
2. Wilhelmsdorf . 52 6 7
3. Rickling i. Weftf. 45 6 R
4. Friedrichswille 41 5 14
5. Syda i. Sachjen 41 6 18
6 älr - M 6 18
7. Meierei t. Bonım., 28 6 Ü
8. Wunidha i. Schl. 23 7 M
9. Neuukrichftein IT i
i Denen . 16 5 HA
10. Dauelsbergi.Did. 12 - 5 i
11. Rarl8hof i Oitp. 9 2 a
12. Schnedengrün . 7 7 1
13. Dornahofi. Württ 5 f J5
14. Qülerheim . Rhl. 5 4 8
15. Ankenbucki Baden 1 18 S

Das ſind im Ganzen nicht weniger als 4

und zwar, wie aus der letzten Rubrik unſerer **
ſichtlich, meift junge und arbeitsfräftige KRaufleute y (
zu den Arbeiterfolanien hexabſanken Hätten ! 1
ſtändigen Nachweiſe für alle Kolonien, ſtatt bloßt
jünfzehn, {o würde waͤhrfcheinlich die Zaͤhl 50 *
werden. So ſteht es bexeits um die Gehülfen 4

für Nothfälle ſorgen! Man beachte auch, wie 4*
die Erſcheinung wiederkehrt, daß die Kaufleuthl
Prozent aller Beſucher ſtellen; daraus kann 4
Lerden, daß es ſich nicht um Aüsnahmefaͤlle an Ya
Orten handelt, ſondern um ein allgemein ail 4
Symptom. Fn




— —
 
Annotationen