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Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1890

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Nr. 44 - Nr. 48 (2. November - 30. November)
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als fie noch glaubte mich nur zu achten, bevor ſie noch
ihrer tiefen Empfindungen ſich voͤllig bewußt ward. Kurz,
e8 Fam zu einem Bekeuntniß unſerer gegenfeittgen Gefühle
und — Du wirſt errathen haben — zur endlichen Ent-
hüllung eines Geheimniſſes, dem ich |o lange vergeblich
nachgeforfcht — denn Dolores iſt die Tochter des vor zehn
Jahren vor meinen Augen perunglückten Spaniers. “

Und wie nahm fie die Nachricht von dem Tode
ihres Vaters auf! Sagteſt Du ihr mehr, als er Dich
ſchreiben hieß? .

„Nein. Bevor ſich die gewiſſenloſe Koſtgeberin der
Kleinen entaußerte, hatte ſie ihr den Tod des Vaters vor—
geſpiegelt, ohne z wiſfen! daß fie nur allza ſicher die
Waͤhrheit vede. Dolores war alſo gewöhnt, ſich ihren
Vater als tot zu Ddenken. Sollte ich dieſer trüben Er—
innerung ein uuͤvergeßliches Bild des Schreckens hinzu—
fügen?! ; ‘

„Und jener Brief?! *

Ich übergab ihn ihr an Tage unſerer Verlobung,
und entfernte niich aus Delikateſſe, noch bevor ſie ihn öff—
nete — ich wollte ſie jenen, traurigen Verhältniſſen gegen—
über, nur den Erinnerungen ihrer Kindheit überlaffen. D
wie tief iſt Dolores zu empfinden fähig! Ich kehrte am,
folgenden Tage zu ihr zurück, ſie konnte mich nicht ſehen
— fie war kraͤnk, der Brief mußte ſie tief erſchüttert haben!
Erſt drei Tage ſpäter war es ihr möglich, mich zu ſehen.
Sie trat mir lächelnd entgegen, doch war ſie blaß, haͤtte
verweinte Augen, und ihre Haͤnd zitterte, als ich ſie drückte.“

Und ſeit jener Zeit — ?* \

Seit jener Zeit find acht Tage verflojjen. Sie iſt
ruhiger und Lächelt, kein Wort, das ihren Vater betrifft,
kommt über ihre Lippen, ihr Gemüth ſcheint noch von
einer ſtillen Schwermuth erfüllt zu ſein die ſelbſt der Ge—
danke an unſere nahe Vermaͤhlung nicht völlig zu bannen
vermag! Ich ehre die Gefühle einer Tochter! O Freund
wüßteft Du, was ich dieſe zehn Jahre hindurch gelitten!
Dieſe Ehe iſt meine einzige Hoffnung, ich betrachte ſie als
die Sühne einer düſteren Vergangenheit, als eine Noth—
wendigkeit, vor der alle Einſprüche der Geſellſchaft ver—
ſtummen müſſen! Eugen, wirſt Du noch mich ſchonungslos
verdammen?“ } ;

Eugen reichte ſeinem Freunde bewegt die Hand.

Laß mich ſchweigen, Freund, und — dich beklagen!“
ſagte er — „Du biſt in einer Lage, der gegenüber die
Meinung eines Andern, ſelbſt die des redlichen Frundes,
nur leicht in die Wage fällt! Gott gebe, daß dieſe Ehe
Deine Hoffnungen erfuͤlle!“

Arthur erhob ſich raſch von ſeinem Sitze

Es iſt vier Uhr!“ rief er — „Dolores erwartet mich
mit ihrer Geſellſchaftsdame. Kann ich mich morgen auf
Dich verlaſſen?! —

Du kannſt eS!“ verſetzte Eugen aufftehend.

Die jungen Leute verließen das Kabinet; Arthur zahlte.
Sie gingen ſchweigend neben einander.

In der Rue Vivienne blieb Eugen ſtehen. ;

„Leb' wohl!“ ſagte er — „ich muß in dieſes Haus,
zzu meinem Bankier.“

Leb wohl, Freund, auf morgen alſo!“

Auf morgen! — Noch eins! Ich habe etwas au
dem Herzen, das mich beunruhigt.“
UE ; ,

Die Luftfahrt —“

Es iſt die letzte, die Dolores unternehmen wird.“
„Muß es fein?“ ; }

„Sie iſt kontraktlich dazu verpflichtet.“
„Du kannſt dem Unternehmer Schadenerſatz geben.“
Sie wollte nicht.“ 4



„Und du mußt ſie begleiten?“ .

Es iſt dies der erſte Wunſch, den ſie gegen mich ge—
äußert hat. Und dann — welchen köſtlichen Anblick werde
ich haben! Paris wird zu unſern Füßen liegen.“ }

„Arthur, ich bitte Dich inſtändig, unterlaſſe die Fahrt!“

„Du biſt thöricht, mein Freund! Dolores iſt geſchickt.“

Das iſt es nicht, — ich weiß nicht, was mich um
Dich beſorgt macht — !“

„Soll ſie an meiner Entſchloſſenheit zweifeln?“

„Nun gut. Leb wohl! Auf morgen, um ein Uhr!“

Leb wohl!“

Die Feunde trennten ſich.

I

Im erſten Stock eines Hauſes der Straße Chauſſee
d Antin ſaß Dolores in ihrem Boudoir.

Ein reizender, erleſener Luxus umgab die ſchöne Be—
wohnerin dieſes kleinen Gemaches.

Die weiß und ſilberlackierten Meubles waͤren mit
himmelblauem Sammt und weißer Seide mit zarten Ara—
besken überkleidet, rings an den Wänden herum lief ſtatt
der Tapete eine phantaſtiſche, zeltartige Draperie aus blau
und weißer Satin-Chine mit Silberſtickereien, und um die
Fenſter erhob ſich, ſtatt der üblichen Gardinen, eine reiche
Compoſition Valencienner Spitzen Die neuere franzöſiſche
Schule blickte in farbenſprühenden Gemälden von den
Wänden herab, aus verſchlungenem Laubwerk ſich empor—
windend, erhoh ſich auf vergoldeten Sathrfüßen ein Tiſch—
chen, deſſen Moſaik Vögel, Blumen und Früchte bildete,
und welches koſtbare, ſeltſam geformte Flacons in Gold,
Silber und bunten Kryſtallen trug. Den Kamin von carrar—
iſchem Marmor zierten als Raͤndausſchmückung liebliche,
kleine Engel, mit goldig angehauchten graziöſen Guirlanden
ſpielend, und auf der glänzenden Platte desſelben prangten
Vaſen von Sevres, China und Indien, denen eine Fülle
der herrlichſt duftenden Blumen entquoll.

Hätten Leute aus der Provinz ſich dem aumuthigen
Zauber dieſes kleinen Boudoirs gegenüber befunden, ſſie
würden darauf geſchworen haben, hier müſſe wenigſtens eine
Herzogin wohnen. *

Und doch thronte hier nur eines jener jedenfalls ſtets
eigenthümlichen Weſen, deren Exiſtenz ſich auf die Laune
jener Maſſe gründet, die morgen vergeſſen hat, wem ſie
heute zujubeln *

Dolores ſaß an einem mit Seideſtickerei verzirten
Schreibtiſche von rothſtreifiger Jacaranda.

Sie trug ein Kleid aus perlgrauem Atlas mit breiten
Volants Ihr ſchwarzes reiches Haar haͤtte jenen bläulichen
Schein der nır den Südländerinnen eigen iſt, und fiel in
kunſtloſer, anmuthiger Wellenform um ihre Schläfe. Das
ſchöne ebenmäßige Antlitz umgab eine zarte Bläſſe, welche
alle Kinder des Südens charakteriſiert.

Dorlores hatte den Kopf geſtützt ein offener vergilbter
Brief und ein Medaillon lagen vor ihr. 4

Das Medaillon trug die Züge Ranſays.

Das ſchöne Antlitz der Donna war über jene beiden
Dinge geneigt, eine tiefe Schwermuth verlieh den Zügen
dieſes kaſſiſch vollendeten Kopfes einen unbeſchreiblich wei⸗
* Ausdruck und dämpfte die Gluth der großen blauen

ugen.

Faſt unbemerklich zuckten die Lippen. A
6 Dann perlte eine Thräne um die andere auf das Bild
nieder

Doch nur wenige Augenblicke währte dieſe Aeußerung
einer ſchmerzerfüllten Seele.

Fortſetzung folgt)
 
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