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Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1890

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Nr. 44 - Nr. 48 (2. November - 30. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44275#0172
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Ein herrliches Kleid vun weigem, ſilberdurchwirkten
Moire, mit foftbarem, reichen Beſatz von wunderbar ſchönen
Brüſſeler Spitzen, aus der Diamanten gleich Thautropfen
hervorblitzten entquoll dem Carton.

Dein Brautkleid“, flüſterte Arthur.

Dolores bebte leije, faſt unmerklich, ſie ſchwankte und
mußte ſich an der Lehne eines Seſſels halten.

Doch das war nur ein Augenblick, Arthur ſah nichts
davon in der Freude ſeines Herzens.

„Mein Brautkleid !“ ſtammelte ſie,
erſchüttert

Und hier,! rief Arthur froh bewegt, ein Etui öffnend
— „ift ein Schmuck. Doch wenn Du ihn trägſt, ſo ſchlage
den Blick zu Boden, um Deine Brillanten nicht durch die
Edelſteine Deines Augeſichts zu heſchämen!!

Dolores ſah weder die funkelnden Diamanten, noch
hörte ſie die ſchmeichelnden Worte des Mannes, an dem
ihre gaͤnze Seele hing

Das ſonſt ſo ſtärke Mädchen rang einen Moment ver—
geblich nach jener Faſſung die ſie bis jetzt in Gegenwart
ihres Geliebten ſo energiſch ſich bewahrt hatte.

Mein Brautkleid !“ ſtammelte ſie von Neuem und ſank
ſchluchzend auf Arthurs Schulter

Irmer Arthur! Er nahm den letzten Ausbruch eines
qualerfüllten Herzens für Freudenthränen. Er küßte die
Hände, die Lippen ſeiner Braut, er ſchwelgte in Wonne.
Und Dolores?

Auch dieſer letzte Kampf ging voriüber. Sie ward
ruhig, nicht einmal die Wimper ihres ſchönen Auges zuckte
mehr ſie lächelte wieder.

„Du thuſt ſo viel für nich Arthur, zu viel!“ begann
fie. „©D trübe mein Glück nicht durch ſolche Worte!“ flüſterte
er. — „Dolores, ich bin unendlich glücklich! Doch fort von
Varis! Wir wollen nach der Trauung ung in der Ein—
Jamfeit unſeres Glückes freuen Die Atmoſphäre der Sa—
ſons das kaltherzige Treiben einer ungläubigen gleich—
giltigen Menge umftarrıt die tiefe Gluth einer reinen Liebe.
Hier berechnel man die Empfindungen nach Effekten und
£reibt mit den heiligſten Gefühlen ein frevelhaftes Spiel.
Fort von hier! Unſere Liebe ſoll unter Blumen tändeln.
in die geheimnißvollen Schatten des Waldes tauchen, guf
Bergeshöhen im Glanze der Abendröthe ſich ſonnen! Ich
habe eine Villa am Commerſee gemiethet, aus Lorbeer unDd
Srangenbüſchen blickt ſie nieder auf die ſanfte Fluth und
ein Himmel lächelt darüber hin wie ſtille blaue Verklärung.“

Welcher Sterbliche litt nicht Qualen des Tantalus in
der Lage der armen Dolores?

Doch auch dem Schmerze ſind ſeine Grenzen geſteckt,
und Dolores hatte mit ſich abgeſchloſſen. Jegliche Em-
pfindung in ihr trug nur noch die Farbe eines verzweifelten
Entſchluͤſſes, doch auf den Lippen hatte ſie ein Lächeln für
alles Arthur hätte ihr ein BParadies zu Füßen legen
können, ſie würde mechaniſch gelächelt haben.

Und Arthur ahnte nichts — er war zu lebhaft mit
ſeinem Glücke beſchäftigt.

Auch der erfahrenſte Beobachter täuſcht ſich leicht da,
wo ſein Herz mit im Spiele iſt das Herz iſt nichts
weniger als die Mutter objektiver Ruhe.

Ein ſchöner Traum,“ ſagte Dolores lächelnd — „
ſchön für dieſe Erde!“

„Er verwirklicht ſich morgen, und dieſe Wirklichkeit
wird ſchöner ſein als der Traum! Doch ich vergefje,“ fügte
Arthur hinzu, faſt unmuthig und gewaltſam eine Fülle der
lieblichſten Enipfindungen unterbrechend — „Ddaß Du heute
noch die Sklavin des vielköpfigen Ungeheuers Paris biſt —
Paris erwartet Dich!“




„Du haſt Recht,“ fagte Dolores — „wir hHaben N
Zeit mehr zu verlieren !“ D
Du hHaft noch keine Anſtalten zur Abreiſe getrofl!
bemerke ich!“ fagte Arthur, während fie die breile SM H
des Hauſes hinuntergingen. 5 A
Ich werde nur mit leichtem Gepäck reiſen, mein 22
und das iſt in einem Augenblicke zuſammengeleſen?
Und Deine Meubles Deine vielen Sachen?“
„Ein Agent, an den ich alles verkaufen werde, iſt
reits beftellt.“
Die Equipage des Barons, mit herrlichen Schinin
beſpannt, hielt im Portale. Ein kleiner Neger in reidl ei;
Livree grinſte an Schlage.
Raͤnfah ſtieg ein, Dolores mit ihrer Zofe folgte iM iv;
das kleinẽ ſchwarze Ungethüm kletterte mit der Gewandt
eines Affen auf den Dienerſitz, und fort ging es im Salg
über die Boulevards des Capueins und Madelaine. ve

HIL

Auf dem Platze de Ia Concorde, in den Champs IC
ſees, bis hinauf zur Barriere de LEtoile wogte eine ul F5
unabſehbare Menge.

Selbſt der Triumphbogen war mit Menſchen iüberfäfde;
und bis zum Boulogner Wäldchen ſogar flutheten die Wol
des Volksgedränges. i

Man hatte drei Tage lang an allen Straßenecken MI
Paris die koloſſalen Anſchlagezettel geleſen, welche verkiſſte
deten, daß Sennora Dolores zum letzten Male mit 8
Rieſenballon Merico auffteigen werde; Veranlaſſung genlſiick
halb Paris in Bewegung zu ſetzen.

Das Wetter war einer Luftfahrt nicht allzu günſtte
die Sonne lachte wohl hernieder doch erſchien der HimmXo
nicht völlig klar, und eine ſtarke Luftſtrömung in den hHöheMMa
Regionen trieb lange Wolkenſtreifen mit raſender Eile Man
Oſten uach Weſten. fin

Der Eingang zum Hippodrom ward beſtürmt — Allde
drängte, zerrte, tobte — noch nie hatte ein größexes ©
Dränge ſtattgefunden. Korpulente Herren, angfterfiilldo:;
Damen ſchwankten händeringend in dieſen toſenden Menſch!
wellen, ohne mit ihren Füßen den Boden berühren ä
können Hunde wurden zertreten, Kinder faſt buchſtäblſe
erdrückt, kreiſchende Mütter übertönten die Donnerrufe n
Billets Mantillen und Kleiderfäume wurden zerknittext uldin
zerfetzt, von Fracks verſchwanden die Schöße, von Köpl
die Hüte, Wehklagen, Gelächter, Schreien Zanken, IubellSe
durchbrauſte die Stickluft, die wie Nebelqualm das tollan
Gewirre umkreiſte. An

Im Hippodrom fand eine Feſtvorſtellung ftatt; MOM
reißender Schnelligkeit überwogte der Menſchenſtrom Logel
Sperrſitze, Umphitheater, kein fußbreit Raumes blieb und
ſetzt, der Zirkus glich einem mächtigen unbedeckten Trel
hauſe.
Inmitten des Rundtheiles, um den ſich die Rennbal
zieht, ſchwankt gleich einem Trunkenen der Ballon, dur
ſtarke Stricke an den Boden gehalten Um das Uugethit
waren Diener des Hippodrom beſchäftigt und ordneten dieſſe?
und jenes. lof

Endlich ward das Zeichen zum Beginn der Vorſtellu
gegeben, nachdem Dolores angefahren war—

Die ſchöne Spanierin ſchritt raſch zum Ballon, 14
erkannte ſie, ein Murmeln, gleich der Brandung des Meereſt
lief rings umher und ward zu lautem Beifallsjubel. *

D
Dolores achtete deſſen nicht.

Sie prüfte ernſt den Ballon, das Ventil, die Gondche
die Stricke, den Füllapparat, und ertheilte ihre Befehle and
die geſchäftigen Diener. ei


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+ 383 4& 977

Sandlull

Wwe⸗
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