2. Konfliktfiihrung und ihre Mittel in der politischen Kultur Westfrankens
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verfügte, die durch Herausgabe und eventuelle Zerstörung zunichte gemacht
worden wäre.
Doch er unterlag und die Verfolgung durch seinen erzbischöflichen Onkel
trieb ihm Exil, führte zur Gefangenschaft und schließlich zu seiner Blendung,
obwohl auch er wie Rothad von Soissons an den apostolischen Stuhl appelliert
hatte. Er hatte jedoch keinen Erfolg mit dieser Strategie513.
Die karolingische Hoföffentlichkeit tritt hier in ihrer Bedeutung für Bi-
schofsabsetzungen klar hervor. Der mehrdimensionale Konflikt wurde am Hof
geführt, vor dem König und der Hoföffentlichkeit verhandelt. Der Hof als po-
litisches und kulturelles Zentrum514 ist der Ort, an dem die Personen zusam-
menkommen, die über ein gemeinsames Verständnis der politischen und
kirchlichen Ämter ringen, die jedoch nicht immer die gleichen Interessen ver-
folgen und nicht die gleichen Wissensbestände und Wertesysteme teilen. Syn-
oden und Reichsversammlungen können dabei nicht klar voneinander ge-
schieden werden515. Inszenierungen spielen eine große Rolle und im Fall Hink-
mars von Laon bekommen wir einen kleinen Einblick von den Absprachen, die
hinter den Kulissen zur Vorbereitung dieser Inszenierungen getroffen wurden.
2.8. Fazit
Die Ausdrucks- und Deutungskultur Westfrankens und die damit verbundene
Form der Konfliktführung werden bei diesem Fall schlaglichtartig sichtbar. Be-
sonders die Diskussion um den Eid zeigt die gegenseitige Verflechtung von
Performanz, Reflexion und kultureller Speicherung.
Die Eidesleistung und die damit verbundenen (uneinheitlichen) Erwartun-
gen der Beteiligten sind eine Facette des Ringens in einem politischen Ord-
nungssystem, das noch nicht verfestigt ist. Im Eid manifestiert sich nach der
Vorstellung des Königs die politische Ordnung, ein Eidbruch und sogar die
Flucht von dem Ort der Eidesleistung werden vor diesem Hintergrund als Verrat
gewertet. Hinkmar von Laon fordert als Rebell die königliche Autorität heraus.
Auf diese Vergehen wird in einem Teil der bischöflichen Voten zu seiner Ab-
setzung 871 auf der Versammlung von Douzy eingegangen. Ein anderer Teil der
Voten hingegen fokussiert auf dem Missbrauch seiner bischöflichen Amtsgewalt.
Die Vorwürfe spiegeln den hybriden Charakter des Bischofsamtes zwischen
weltlichen und geistlichen Machträumen.
Eine permanente Stabilisation des politischen Ordnungssystems war nötig
aufgrund seiner ihm im 9. Jahrhundert noch inhärenten Fluidität. Eine Art der
Stabilisation erfolgte durch Eidesleistung. Eine große Bedeutung kommt der
Verschriftlichung der Eide und der Archivierung zu. Die Schriftstücke können
ohne Zeugen als Stützte der Ordnung verwendet werden.
513 Zum Scheitern Hinkmars von Laon, obwohl er die gleiche Taktik wie Rothad von Soissons
verwendete auch Schrör, Metropolitangewalt, S. 70-72 und Fuhrmann, Einfluß III, S. 627.
514 Vgl. dazu West, Evaluating Conflict sowie Wickham, Inheritance.
515 S. Kapitel „Vom wem und wo werden Bischöfe abgesetzt".
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verfügte, die durch Herausgabe und eventuelle Zerstörung zunichte gemacht
worden wäre.
Doch er unterlag und die Verfolgung durch seinen erzbischöflichen Onkel
trieb ihm Exil, führte zur Gefangenschaft und schließlich zu seiner Blendung,
obwohl auch er wie Rothad von Soissons an den apostolischen Stuhl appelliert
hatte. Er hatte jedoch keinen Erfolg mit dieser Strategie513.
Die karolingische Hoföffentlichkeit tritt hier in ihrer Bedeutung für Bi-
schofsabsetzungen klar hervor. Der mehrdimensionale Konflikt wurde am Hof
geführt, vor dem König und der Hoföffentlichkeit verhandelt. Der Hof als po-
litisches und kulturelles Zentrum514 ist der Ort, an dem die Personen zusam-
menkommen, die über ein gemeinsames Verständnis der politischen und
kirchlichen Ämter ringen, die jedoch nicht immer die gleichen Interessen ver-
folgen und nicht die gleichen Wissensbestände und Wertesysteme teilen. Syn-
oden und Reichsversammlungen können dabei nicht klar voneinander ge-
schieden werden515. Inszenierungen spielen eine große Rolle und im Fall Hink-
mars von Laon bekommen wir einen kleinen Einblick von den Absprachen, die
hinter den Kulissen zur Vorbereitung dieser Inszenierungen getroffen wurden.
2.8. Fazit
Die Ausdrucks- und Deutungskultur Westfrankens und die damit verbundene
Form der Konfliktführung werden bei diesem Fall schlaglichtartig sichtbar. Be-
sonders die Diskussion um den Eid zeigt die gegenseitige Verflechtung von
Performanz, Reflexion und kultureller Speicherung.
Die Eidesleistung und die damit verbundenen (uneinheitlichen) Erwartun-
gen der Beteiligten sind eine Facette des Ringens in einem politischen Ord-
nungssystem, das noch nicht verfestigt ist. Im Eid manifestiert sich nach der
Vorstellung des Königs die politische Ordnung, ein Eidbruch und sogar die
Flucht von dem Ort der Eidesleistung werden vor diesem Hintergrund als Verrat
gewertet. Hinkmar von Laon fordert als Rebell die königliche Autorität heraus.
Auf diese Vergehen wird in einem Teil der bischöflichen Voten zu seiner Ab-
setzung 871 auf der Versammlung von Douzy eingegangen. Ein anderer Teil der
Voten hingegen fokussiert auf dem Missbrauch seiner bischöflichen Amtsgewalt.
Die Vorwürfe spiegeln den hybriden Charakter des Bischofsamtes zwischen
weltlichen und geistlichen Machträumen.
Eine permanente Stabilisation des politischen Ordnungssystems war nötig
aufgrund seiner ihm im 9. Jahrhundert noch inhärenten Fluidität. Eine Art der
Stabilisation erfolgte durch Eidesleistung. Eine große Bedeutung kommt der
Verschriftlichung der Eide und der Archivierung zu. Die Schriftstücke können
ohne Zeugen als Stützte der Ordnung verwendet werden.
513 Zum Scheitern Hinkmars von Laon, obwohl er die gleiche Taktik wie Rothad von Soissons
verwendete auch Schrör, Metropolitangewalt, S. 70-72 und Fuhrmann, Einfluß III, S. 627.
514 Vgl. dazu West, Evaluating Conflict sowie Wickham, Inheritance.
515 S. Kapitel „Vom wem und wo werden Bischöfe abgesetzt".