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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 4.1924

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Heft 1
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Je cherche après Titine
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Heft 2
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Alexander, E.: Der Deserteur
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https://doi.org/10.11588/diglit.62257#0164

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zollen das tragische Geschick eines solchen Unglücklichen: »Anlangend den Vorfall
bei dem Nettelbeckschen Regiment, betreffend den von solchem desertierten und
wiederumb eingebrachten Leutnant von Brand, so ist Euch darauf in Antwort, daß
demselben der Prozeß als einem meyneidigen Deserteur kurtz gemachet, und wenn
das Gericht ihm den Strang zuerkennen wird, solche Sentenz an ihm, ohne weitere
Umstände und Aufenthalt vollzogen werden soll, damit einentheils ein nöthiges
Exempel denen leichtsinnigen Leuthen zum Schrecken statuieret, andernteils aber
durch eine geschwinde Exekution dem Ueberlauff, so ich sonsten deshalb von der
Familie oder dessen Verwandten exponiert bin, vorgebeuget werde.«
Das österreichische Heer, in welchem die landfremden Elemente in der Minder-
zahl waren und wo, teils durch nationale Eigentümlichkeiten, teils durch das hier
herrschende System der Werbung und Ausbildung bedingt, die persönlichen Härten
des Drill- und Gamaschendienstes weniger drückend empfunden wurden, hatte durch
Desertionen weniger zu leiden als die Armeen seines Gegners, des großen Friedrich
von Preußen. Das frauenhaft weiche Gemüt der sonst mit so männlicher Festigkeit
regierenden Kaiserin Maria Theresia trug wohl auch zur milderen Auslegung der
überstrengen militärgesetzlichen Bestimmungen bei. Das Wiener Kriegsarchiv enthält
unter anderem auch ein solches, die Auffassung der Kaiserin bei Bestrafung von
Fahnenflüchtigen kennzeichnendes Dokument, dessen Entstehen wie folgt geschildert
wird: Im Kreise ihrer Familie weilend, erfuhr eines Abends Maria Theresia zufällig
von der bevorstehenden Hinrichtung eines Deserteurs. Sie zögerte keinen Augen-
blick, den Spieltisch zu verlassen, und sendete das folgende, in flüchtigen Zeilen ge-
schriebene Handbillett an den Hofkriegsrats-Vizepräsidenten Feldmarschall Grafen
Neipperg: »Es solle morgen ein Deserteur exekutiert werden; wann er nur desertiert
hat, so wäre es wider meinem Befehl, daß man ihme henkete; wenn er wem umge-
bracht, so will ihm keine Gnad geben, wohl aber, wenn kein Blut ist vergossen
worden.« Für bloßes Desertieren wollte also die Monarchin keinesfalls den Tod als
Sühne eintreten lassen. E. ALEXANDER.
(Aus dem »Neuen Wiener Tagblatt«)


Christa von Hatvany-Winsloe

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