DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:Fels, Florent: Montparnasse
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.62257#0315
MONTPARNASSE
Von
FLORENT FELS
Noble Paris, seule raison qui vis encore.
' Apollinaire.
Auf dem Tisch eine Pfeife, ein Glas, eine Zeitschrift.
Der Tag beginnt. Die Avenuen leer. In den öffentlichen Anlagen Stille. In
einem Torwinkel hockt neben einem Kehrichtkasten ein Mann am Boden. Der
Morgen läßt die Dächer der Häuser
frösteln. Stimmen kündigen Menschen
an. Ein Pferd entfernt sich. Der Maler
Kisling kommt zum Schlafen nach
Hause.
Montparnasse. Rangierbahnhof der
Talente des ganzen Erdballs seit der
Epoche der Sprachenverwirrung. Ein
Babel, gegen das weder Götter noch
Polizisten ankonnten.
Die Grenze im Norden: das Cafe
des Deux Magots. Im Süden: La Belle
Polonaise und Les Iles Marquises,
bekränzt mit Sauerkraut und getränkt
mit Zwiebelsuppen von höchster Voll-
endung. Im Osten wacht noch Le
Cocher fidele. Im Westen ist die Was-
serscheide im Weinkeller von Bullier,
ein Lokal, in dem sich die Studenten
des Quartier latin mit den Malern von
Montparnasse treffen. Zweierlei Geister,
von so großer Verschiedenheit! Nur
die Frauen haben sie gemeinsam. c A c,
burvage Andre Salmon (Zeichn.)
Die Alten des »quartier«: unser (Gliche Lux)
guter Meister Adolphe Basler, inter-
nationaler Kunstkritiker, ist der Doyen des Quartiers. Erinnerungen an die mere
Charlotte, die Wirtin Gauguins, der jedes Genre zu finden wußte, O'Connor, Diriks,
der Maler-Millionär Auguste Jones, Henry de Groux, Cremnitz, Galanis, der
Musiker Albeniz, Ortiz de Zarate, Manolo, der alte Gefährte Picassos, und Picasso.
Und Rudolf Levy, der ehemalige Massier der Academie Matisse, wo Brummer als
Modell und Bildhauer figurierte, er, der später Großantiquar in New York wurde.
Zu jener Zeit frischte er wöchentlich seinen Hut auf, indem er den Rand beschnitt
und ihn dann mit China-Tinte anstrich. Er gehörte mit Vlaminck und Apollinaire zu
den Ersten, die Negerfetische und Rousseaus erwarben.
Die Brüder Stein, die ersten Matisse- und Picasso-Sammler.
Dann: Survage, die Wassilieff, Per Krogh, Isaac Grünewald, Chagall, der
talentierte Besessene Max Jacob, Archipenko, Lipschitz, Chaudois, Othon Frieß,
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Von
FLORENT FELS
Noble Paris, seule raison qui vis encore.
' Apollinaire.
Auf dem Tisch eine Pfeife, ein Glas, eine Zeitschrift.
Der Tag beginnt. Die Avenuen leer. In den öffentlichen Anlagen Stille. In
einem Torwinkel hockt neben einem Kehrichtkasten ein Mann am Boden. Der
Morgen läßt die Dächer der Häuser
frösteln. Stimmen kündigen Menschen
an. Ein Pferd entfernt sich. Der Maler
Kisling kommt zum Schlafen nach
Hause.
Montparnasse. Rangierbahnhof der
Talente des ganzen Erdballs seit der
Epoche der Sprachenverwirrung. Ein
Babel, gegen das weder Götter noch
Polizisten ankonnten.
Die Grenze im Norden: das Cafe
des Deux Magots. Im Süden: La Belle
Polonaise und Les Iles Marquises,
bekränzt mit Sauerkraut und getränkt
mit Zwiebelsuppen von höchster Voll-
endung. Im Osten wacht noch Le
Cocher fidele. Im Westen ist die Was-
serscheide im Weinkeller von Bullier,
ein Lokal, in dem sich die Studenten
des Quartier latin mit den Malern von
Montparnasse treffen. Zweierlei Geister,
von so großer Verschiedenheit! Nur
die Frauen haben sie gemeinsam. c A c,
burvage Andre Salmon (Zeichn.)
Die Alten des »quartier«: unser (Gliche Lux)
guter Meister Adolphe Basler, inter-
nationaler Kunstkritiker, ist der Doyen des Quartiers. Erinnerungen an die mere
Charlotte, die Wirtin Gauguins, der jedes Genre zu finden wußte, O'Connor, Diriks,
der Maler-Millionär Auguste Jones, Henry de Groux, Cremnitz, Galanis, der
Musiker Albeniz, Ortiz de Zarate, Manolo, der alte Gefährte Picassos, und Picasso.
Und Rudolf Levy, der ehemalige Massier der Academie Matisse, wo Brummer als
Modell und Bildhauer figurierte, er, der später Großantiquar in New York wurde.
Zu jener Zeit frischte er wöchentlich seinen Hut auf, indem er den Rand beschnitt
und ihn dann mit China-Tinte anstrich. Er gehörte mit Vlaminck und Apollinaire zu
den Ersten, die Negerfetische und Rousseaus erwarben.
Die Brüder Stein, die ersten Matisse- und Picasso-Sammler.
Dann: Survage, die Wassilieff, Per Krogh, Isaac Grünewald, Chagall, der
talentierte Besessene Max Jacob, Archipenko, Lipschitz, Chaudois, Othon Frieß,
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