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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 4.1924

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Heft 4
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Wedderkop, Hermann von: Richard Götz: Ein Lebensbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.62257#0429

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RICHARD GOTZ
Ein Lei ensbild
Von
H. v. WEDDERKOP

Richard Götz ist nicht verrückt, nicht rappelig, kein Narr. Nicht,
wenn man diese Worte üblich schlechthin gebraucht; nur, wenn man sie
ehrenhalber gebraucht. In jedem Falle ist er erhaben. Ohne gerade etwas
von einem Adler zu haben, kreist er, hochgestimmt, in ungeheuren Höhen,
doch ohne sich weiter zu wundern, es ist seine Privatbelustigung,
die er genießt, ohne eine einzige Pause der Ekstase einzulegen. Er läßt
nicht einen Augenblick vorn Gegenstände ab, liebt sachlich Höhen,
Kälte und Härten und bleibt vergnügt. Er geht zu Nest (Romanisches
Cafe) mit Regelmäßigkeit; er liebt die Regelmäßigkeit, die Massen-
haftigkeit und besonders das Wiederkehrende. Doch ohne ein Serien-
mensch zu sein: seine Liebe ist, einmal gefaßt, unabänderlich. Er ist der
treueste Mensch, der existiert. Nicht viele können sich seiner Treue
rühmen.
Bei Götz kehrt alles wieder: gewisse Namen, Gericault, Beardsley, in
denen er badet, andere, Seurat, Pola Negri, Wilhelm Löwenstein, mit
denen er täglich mehr verschmilzt, die täglichen Gänge, nur noch ein
Wechsel zu nennen, von Wohnung nach Neukölln am Wasser und zurück
ins Romanische Cafe. Die Namen, sie mögen ihm bis ins Mark ver-
traut sein, lernt er mit nie erlahmendem Interesse jeden Tag von neuem
kennen, ist in sich überrascht, den Klang aus eigenem Munde zu hören,
stets in weiter Reserve dabei, als ob er abwesend wäre. Götz' Luft- und
irdisches Rayon weist festgelegte Bahnen auf, die er ausläuft. Er will
nichts weiter als seine Bahn, hält Linie, schweift nicht ab, läßt sich nicht
ein auf Fiorituren, ist männlich und nie unzufrieden. Höchstens, daß er
sich Neues, das er am Wege findet, für das nächste Mal merkt, um darauf
zurückzukommen; aber erst, nachdem bedacht, ob es konveniert.
Ohne Sinn für Besonderheiten. Sein Sinn für den Ozon der reinen
Luft will unbeschriebenes Dasein, um die Kleinheiten der täglichen
Aeußerungen noch deutlich wahrzunehmen; um wieder zu Gültigkeiten zu
kommen, Differenzierungen, die durch ein einmaliges Sichvergessen schon
an Deutlichkeit verlieren würden, bei lautem Stammeln ganz verschwin-
den. Damit würde er den Fehler der Zeit korrigieren, wenn die Zeit Ge-
duld hätte, auf ihn zu hören.

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