WINKE FÜR KATZENZUCHT
Von
HEINRICH ZIMMER
Ein Brief Berlin — Bombay braucht 16 Tage, trotzdem ist Indien
für uns immer das „Land der Märchen". Und gar „wenn einer
eine Reise tut" (nach Indien), „so kann er viel erzählen" — - uns
eigentlich so ziemlich alles. Beweis: der baltische Graf und seine
Nutzanwendung beim deutschen Lesetier: die Schule der Weisheit. —
Sie hat aber noch keinem wehgetan, und das ist verdächtig, denn Weis-
heit gehört zu den Explosivstoffen, — - „...erzähl' er nur weiter, Herr
Urian!" — Neobuddhisten, Verleger, Tagesheilande der verwüsteten
Zeitseele (Format Klein-Jesus) propagieren das Land der Märchen,
ein Tip, dessen Rentabilität noch auf lange jede Probe aushält. Denn
sie beruht auf dem zählebigen Phänomen des Gegenwartskaters, Wann
wird die deutsche Bildungsseele seiner Familie müde, deren stilles,
europäisches Zentenar mit der Geburt des Kulturkaters bereits vorüber
ist ? noch hat sie die Mobilität von Maikatern.
Rousseau führte den Kulturkater in die Literärgeschichte und geistes-
geschichtliche Zoologie ein. Noch ohne universalgeschichtlichen Ho-
rizont warf er das Bild des edlen unverbildeten Urmenschen an den
zivilisationsverwölkten Himmel seiner Sehnsucht. Chateaubriand er-
lebte dann seine erste erschütternde Begegnung mit der unentarteten
Bruderseele, die dem göttlich-natürlichen Ursprung menschlichen Seins
noch näher war.
Der Romantiker erlebte ein Symbol: Ehrgeiz trieb den Dreiund-
zwanzigjährigen 1791 nach Amerika. Er wollte die Nordwestpassage
finden und mit einer unsterblichen Tat seinem Selbstgefühl die Folie
geben, deren seine Unsicherheit und malaise bedurfte, um sich sieg-
haft vom Vulgus zu distanzieren und seinen Anspruch auf besondere
Geltung, der ihn zeitlebens bestimmte, aus dem großen Krach seiner
Heimat zu retten (— er hat es Napoleon nie verziehen, daß er ihn
als Zeitgenosse in den Hintergrund drängte). Von Baltimore kam er
über Albany ins innere Amerika zu Trappern und Fellhändlern, und
in der Wildnis sah er das Phänomen: den Bruder aus dem Busch.
Einige zwanzig Rothäute in voller Kriegsbemalung mit ihren Squaws
drehten sich im Menuett, wozu ein ausrangierter französischer maitre
de danse in apfelgrünem Frack und Spitzenjabot mit der Violine auf-
spielte. Er sprach mit Anerkennung von seinen Schülern „ces messi-
eurs sauvages et ces dames sauvagesses", schrie die Irokesen an: ä vos
places! „et toute la troupe sautait comme une bande de demons".
374
Von
HEINRICH ZIMMER
Ein Brief Berlin — Bombay braucht 16 Tage, trotzdem ist Indien
für uns immer das „Land der Märchen". Und gar „wenn einer
eine Reise tut" (nach Indien), „so kann er viel erzählen" — - uns
eigentlich so ziemlich alles. Beweis: der baltische Graf und seine
Nutzanwendung beim deutschen Lesetier: die Schule der Weisheit. —
Sie hat aber noch keinem wehgetan, und das ist verdächtig, denn Weis-
heit gehört zu den Explosivstoffen, — - „...erzähl' er nur weiter, Herr
Urian!" — Neobuddhisten, Verleger, Tagesheilande der verwüsteten
Zeitseele (Format Klein-Jesus) propagieren das Land der Märchen,
ein Tip, dessen Rentabilität noch auf lange jede Probe aushält. Denn
sie beruht auf dem zählebigen Phänomen des Gegenwartskaters, Wann
wird die deutsche Bildungsseele seiner Familie müde, deren stilles,
europäisches Zentenar mit der Geburt des Kulturkaters bereits vorüber
ist ? noch hat sie die Mobilität von Maikatern.
Rousseau führte den Kulturkater in die Literärgeschichte und geistes-
geschichtliche Zoologie ein. Noch ohne universalgeschichtlichen Ho-
rizont warf er das Bild des edlen unverbildeten Urmenschen an den
zivilisationsverwölkten Himmel seiner Sehnsucht. Chateaubriand er-
lebte dann seine erste erschütternde Begegnung mit der unentarteten
Bruderseele, die dem göttlich-natürlichen Ursprung menschlichen Seins
noch näher war.
Der Romantiker erlebte ein Symbol: Ehrgeiz trieb den Dreiund-
zwanzigjährigen 1791 nach Amerika. Er wollte die Nordwestpassage
finden und mit einer unsterblichen Tat seinem Selbstgefühl die Folie
geben, deren seine Unsicherheit und malaise bedurfte, um sich sieg-
haft vom Vulgus zu distanzieren und seinen Anspruch auf besondere
Geltung, der ihn zeitlebens bestimmte, aus dem großen Krach seiner
Heimat zu retten (— er hat es Napoleon nie verziehen, daß er ihn
als Zeitgenosse in den Hintergrund drängte). Von Baltimore kam er
über Albany ins innere Amerika zu Trappern und Fellhändlern, und
in der Wildnis sah er das Phänomen: den Bruder aus dem Busch.
Einige zwanzig Rothäute in voller Kriegsbemalung mit ihren Squaws
drehten sich im Menuett, wozu ein ausrangierter französischer maitre
de danse in apfelgrünem Frack und Spitzenjabot mit der Violine auf-
spielte. Er sprach mit Anerkennung von seinen Schülern „ces messi-
eurs sauvages et ces dames sauvagesses", schrie die Irokesen an: ä vos
places! „et toute la troupe sautait comme une bande de demons".
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