DIE SPANISCHE HOFREITSCHULE IN WIEN)
Von
ALFRED FLECHTHEIM
»Natürlich darf man einen Reitmeister, welcher ein Pferd
aufs feinste dressiert, nicht mit einem Reitknecht verwech-
seln, der ihm das Gröbste vorarbeitet; aber ich wage zu
sagen, daß man nur ein Meister ist, wenn man sein Pferd
dressieren kann. Die Dressur ist der Stein des Anstoßes für
den Reiter. Das dressierte Pferd ist es, welches Zeugnis
ablegt für den Dresseur. James Pillis.
Das Kaiserlich russische Ballett mit Nijnski, Bolm und Fokin, mit der Kar-
savina und, Pawlowa im Mirjinski-Theater zu Petersburg, der junge
Carpentier in einem Kampfe mit einem ebenbürtigen Gegner vor zehn, zwölf Jahren
in Paris, Manuel Granero in einer Corrida mit Stieren der Witwe Miura Ostersonn-
tag in der Plaza in Sevilla, wenn die Giralda in Sonne gebadet ist, die Spanische
Hofreitschule in Wien sind Kunstwerke, ebenbürtig den herrlichsten Gemälden, der
vollendetsten Plastik, der schönsten Architektur.
Das Kaiserlich russische Ballett ist tot. Carpentier ist nicht mehr der Jüngste,
Manuel Granero ist ein Opfer seines Berufes geworden, in Wien aber wird noch
kunstgerecht geritten.
An einem regnerischen Oktobermorgen saß ich mit der Tierbildhauerin Christa
von Hatväny auf der Galerie des weißen Saales, den Josef Ferdinand Fischer von
Erlach, der Sohn des Johannes Bernhard und seiner Gattin, der Sophie Constanzia,
geb. Morgner, einer Ahnmutter vielleicht des zu jung gefallenen Soester Malers
Wilhelm Morgner, von 1729—1735 erbaut hatte.
Die Galerien und Logen sind angefüllt mit Fremden, die der sich nun ent-
wickelnden »Production« ebenso fremd gegenüberstehen, wie sie am Tage vorher
die Brueghels, das Barockmuseum und die Gobelins betrachtet haben; denn die
Hohe Schule, wie sie in Wien geritten wird, ist, wie jedes große Kunstwerk, von
Laien schwer zu begreifen.
Unter den Klängen altertümlicher Jagdfanfaren reiten der Oberbereiter Mauricius
Herold und seine Kameraden, die Bereiter Zrust, Lindenbauer, Neumayer und
Polak, auf ihren majestätisch würdevollen Lippizaner-Hengsten in die Manege. Die
Mähnen der Schimmel sind mit Gold durchwirkt; auf purpurnen Schabraken sitzen
die schlanken Reiter, in hirschledernen, weißen, stramm anliegenden Hosen, hohen
schwarzen Stiefeln, dunkelbraunen Fracks und schwarzen Dreimastern. Die Reiter
grüßen mit peinlicher althabsburger Etikette die Hofloge, in der jetzt irgendwelche
reiche Ausländer sitzen, hinter denen das Bild des Gründers der Reitschule, des
Kaisers Karl VII., aufgehängt ist. Sie grüßen nicht das applaudierende Publikum,
sie grüßen die Manen des Gründers und der großen Meister, die vordem hier ge-
ritten haben.
Sie reiten — die Musik spielt jetzt Wiener Walzer — alle Gänge und Touren
der Hohen Schule, deren Grundlagen von dem Reitlehrer Ludwigs XIII., Antoine
de Pluvinel (»Le Manege Royal«, Paris 1623) aufgestellt sind und dessen Lehren der
Wolfenbütteler Bergrat und Stallmeister Engelhard von Löhneisen in seinem mit
Kupfern von Nunzer geschmückten Werke »Hof-Kriegs- und Reitschul« (Nürn-
') Vergleiche Kurt Frieberger: »Die Spanische Hofreitschule« (Wien, Österreichische Kunst-
bücher, 28. Band; Verlag Hölzel & Co) und Leopold von Heydebrand und der Lasa: »Geschichte
der Reiterei« (Wien, Verlag A. Hartleben).
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ALFRED FLECHTHEIM
»Natürlich darf man einen Reitmeister, welcher ein Pferd
aufs feinste dressiert, nicht mit einem Reitknecht verwech-
seln, der ihm das Gröbste vorarbeitet; aber ich wage zu
sagen, daß man nur ein Meister ist, wenn man sein Pferd
dressieren kann. Die Dressur ist der Stein des Anstoßes für
den Reiter. Das dressierte Pferd ist es, welches Zeugnis
ablegt für den Dresseur. James Pillis.
Das Kaiserlich russische Ballett mit Nijnski, Bolm und Fokin, mit der Kar-
savina und, Pawlowa im Mirjinski-Theater zu Petersburg, der junge
Carpentier in einem Kampfe mit einem ebenbürtigen Gegner vor zehn, zwölf Jahren
in Paris, Manuel Granero in einer Corrida mit Stieren der Witwe Miura Ostersonn-
tag in der Plaza in Sevilla, wenn die Giralda in Sonne gebadet ist, die Spanische
Hofreitschule in Wien sind Kunstwerke, ebenbürtig den herrlichsten Gemälden, der
vollendetsten Plastik, der schönsten Architektur.
Das Kaiserlich russische Ballett ist tot. Carpentier ist nicht mehr der Jüngste,
Manuel Granero ist ein Opfer seines Berufes geworden, in Wien aber wird noch
kunstgerecht geritten.
An einem regnerischen Oktobermorgen saß ich mit der Tierbildhauerin Christa
von Hatväny auf der Galerie des weißen Saales, den Josef Ferdinand Fischer von
Erlach, der Sohn des Johannes Bernhard und seiner Gattin, der Sophie Constanzia,
geb. Morgner, einer Ahnmutter vielleicht des zu jung gefallenen Soester Malers
Wilhelm Morgner, von 1729—1735 erbaut hatte.
Die Galerien und Logen sind angefüllt mit Fremden, die der sich nun ent-
wickelnden »Production« ebenso fremd gegenüberstehen, wie sie am Tage vorher
die Brueghels, das Barockmuseum und die Gobelins betrachtet haben; denn die
Hohe Schule, wie sie in Wien geritten wird, ist, wie jedes große Kunstwerk, von
Laien schwer zu begreifen.
Unter den Klängen altertümlicher Jagdfanfaren reiten der Oberbereiter Mauricius
Herold und seine Kameraden, die Bereiter Zrust, Lindenbauer, Neumayer und
Polak, auf ihren majestätisch würdevollen Lippizaner-Hengsten in die Manege. Die
Mähnen der Schimmel sind mit Gold durchwirkt; auf purpurnen Schabraken sitzen
die schlanken Reiter, in hirschledernen, weißen, stramm anliegenden Hosen, hohen
schwarzen Stiefeln, dunkelbraunen Fracks und schwarzen Dreimastern. Die Reiter
grüßen mit peinlicher althabsburger Etikette die Hofloge, in der jetzt irgendwelche
reiche Ausländer sitzen, hinter denen das Bild des Gründers der Reitschule, des
Kaisers Karl VII., aufgehängt ist. Sie grüßen nicht das applaudierende Publikum,
sie grüßen die Manen des Gründers und der großen Meister, die vordem hier ge-
ritten haben.
Sie reiten — die Musik spielt jetzt Wiener Walzer — alle Gänge und Touren
der Hohen Schule, deren Grundlagen von dem Reitlehrer Ludwigs XIII., Antoine
de Pluvinel (»Le Manege Royal«, Paris 1623) aufgestellt sind und dessen Lehren der
Wolfenbütteler Bergrat und Stallmeister Engelhard von Löhneisen in seinem mit
Kupfern von Nunzer geschmückten Werke »Hof-Kriegs- und Reitschul« (Nürn-
') Vergleiche Kurt Frieberger: »Die Spanische Hofreitschule« (Wien, Österreichische Kunst-
bücher, 28. Band; Verlag Hölzel & Co) und Leopold von Heydebrand und der Lasa: »Geschichte
der Reiterei« (Wien, Verlag A. Hartleben).
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