VOM BALLETT ZUR REVUE
von
ALFRED FLECHTHEIAL
II n'y pas d'exc^s sans passion.
Pascal.
/ ährend des Krieges machte das Deutsche Reich allerhand Kultur-
Y V propaganda; es sandte deutsche Dichter und Denker in die neutralen
Länder und stellte deutsche Bilder in Zürich und Holland aus. Zum
Schluß griff man zum Ballett. Erik Charell stellte ein solches zusammen
und tanzte Mozart in Stockholm und
Christiania, in Kopenhagen und
Amsterdam, in Zürich und Warschau,
in Brüssel und Bukarest, und hier
mit soviel Erfolg, daß ein hoher
deutscher, für einen solchen selten
kunstverständiger Staatsbeamter sei-
nen Abschied nehmen mußte, so daß
der Frieden von Versailles vielleicht
ganz anders ausgefallen wäre, wenn
statt Charell Celly de Rheidt aufge-
treten wäre, oder wenn Charell weni-
ger schöne Mädchen nach weniger
guter Musik oder weniger künstle-
rischen Gesichtspunkten hätte tanzen
lassen. Sein Ballett tat mehr für
Deutschland, als Liebermann und
der Expressionismus, als Herbert
Eulenberg und Albert oder Carl
Einstein. Deutschland zeigte, daß es Erik Chareir
auch die leichtbeschwingte Muse
schützte, und machte sich durch Charell beliebter, als durch alle deutschen
Bilder und durch die Werkbund-Modeschau in Bern, die mit Worth,
Poiret und Paquin konkurrieren sollte, oder durch die deutschen Kunst-
historiker, die sich überall herumtrieben und sich durch Photographieren
von Gegenständen, die bereits auf Ansichtskarten reproduziert waren,
lächerlich machten.
Der Krieg ging zu Ende und Charell zog sich vom Ballett zurück.
In Berlin und in München, an allen Ecken und Enden, tauchten Balletts
und Tänzer und Tänzerinnen auf: rhythmische Gymnastik, Turnverein-
Freiübungen nach Beethoven und Strauß, aufgebaut auf dem Geschmack
199
von
ALFRED FLECHTHEIAL
II n'y pas d'exc^s sans passion.
Pascal.
/ ährend des Krieges machte das Deutsche Reich allerhand Kultur-
Y V propaganda; es sandte deutsche Dichter und Denker in die neutralen
Länder und stellte deutsche Bilder in Zürich und Holland aus. Zum
Schluß griff man zum Ballett. Erik Charell stellte ein solches zusammen
und tanzte Mozart in Stockholm und
Christiania, in Kopenhagen und
Amsterdam, in Zürich und Warschau,
in Brüssel und Bukarest, und hier
mit soviel Erfolg, daß ein hoher
deutscher, für einen solchen selten
kunstverständiger Staatsbeamter sei-
nen Abschied nehmen mußte, so daß
der Frieden von Versailles vielleicht
ganz anders ausgefallen wäre, wenn
statt Charell Celly de Rheidt aufge-
treten wäre, oder wenn Charell weni-
ger schöne Mädchen nach weniger
guter Musik oder weniger künstle-
rischen Gesichtspunkten hätte tanzen
lassen. Sein Ballett tat mehr für
Deutschland, als Liebermann und
der Expressionismus, als Herbert
Eulenberg und Albert oder Carl
Einstein. Deutschland zeigte, daß es Erik Chareir
auch die leichtbeschwingte Muse
schützte, und machte sich durch Charell beliebter, als durch alle deutschen
Bilder und durch die Werkbund-Modeschau in Bern, die mit Worth,
Poiret und Paquin konkurrieren sollte, oder durch die deutschen Kunst-
historiker, die sich überall herumtrieben und sich durch Photographieren
von Gegenständen, die bereits auf Ansichtskarten reproduziert waren,
lächerlich machten.
Der Krieg ging zu Ende und Charell zog sich vom Ballett zurück.
In Berlin und in München, an allen Ecken und Enden, tauchten Balletts
und Tänzer und Tänzerinnen auf: rhythmische Gymnastik, Turnverein-
Freiübungen nach Beethoven und Strauß, aufgebaut auf dem Geschmack
199