Genin Photo Fritz Gurlitt
SSAWINKOW
Aus dem Leben einesrussischen Terroristen
Von
G. WITINSKIJ
„Der nicht zu erfassende, unversöhnliche, rabiateste, entschlossenste
Feind der Bolschewisten ist zusammengebrochen." (Leitartikel der „Nach-
richten" des Zentral- Vollzugskomitees des UdSSR vom 29. August 1924.)
Im Jahre 1901 veröffentlichte die russische Zeitschrift „Saria", das damals im
Auslande erscheinende Organ der russischen Sozial-Demokraten, die durch ihr
künstlerisches Niveau auffallende halbbelletristische Korrespondenz: „Auf dem
Schub". Ihr Autor war Boris Ssawinkow, ein Petersburger Student, der wegen
studentischer Aufwiegeleien nach dem Dorfe Kem am Ufer des nördlichen Eismeeres
verschickt worden war. Der unternehmungslustige Jüngling, dem es offenbar in
dem von Gott und den Menschen vergessenen Polarwinkel nicht gefiel, setzte sich
eines Tages in ein Fischerboot, rollte die Segel auf und fuhr auf den Ozean hinaus.
Kurze Zeit darauf erscheint Ssawinkow in Norwegen und bald danach in Frank-
reich, dem Zentrum der russischen revolutionären Emigration.
Das war zu der Zeit, als der Aufschwung der russischen Revolution deutlich
wurde und die sozial-revolutionäre Partei die politische Arena betrat, mit
der Erklärung, daß sie die Nachfolger der „Volksbefreier" („Narodowoljzy") seien.
Die „Narodowoljzy" sind in der Geschichte fixiert als die Partei der terroristischen
Akte (deren bekanntester die Ermordung Alexanders II. im Jahre 1881 war), und
ihre Nachfolger sind entschlossen, diesem Beispiel zu folgen. Die zu jener Zeit
schon bedeutende sozial - demokratische Partei kämpft mit aller Macht gegen
diese für die politische Rückständigkeit Rußlands so charakteristischen Tendenzen,
aber nichtsdestoweniger neigt sich die Sympathie weiter Kreise der russischen demo-
kratischen Intelligenz und der sogenannten liberalen Gesellschaft den heldischen
Terroristen zu, die in ihren tragischen Einzelkämpfen gegen den selbstherrlichen
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