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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 4.1924

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Heft 3
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Blei, Franz: Der Clown Valentin
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https://doi.org/10.11588/diglit.62257#0357

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DER CLOWN VALENTIN

FRANZ BLEI
Vor zwanzig Jahren sah ich ihn, von Th. Th. Heine geführt, zum erstenmal. Auf
dem Podium eines Wirtshauses in einer Münchener Vorstadt, wo er zu Hause
ist, mimte, sprach, sang und konzertierte dieser überaus magere, seine Spindeldürre
kostümlich noch übertreibende Mensch — »Blödsinn«, wie er es selber nannte.
Dadaismus, wie mans gestern genannt haben würde, wenn man den tieferen Sinn
ignorierte, der diesem Blödsinn die Bedeutung gab und stärkere Wirkung als auf die
eingeborenen Stammgäste. Diese nannten den blassen, nie lachenden, kaum lächeln-
den, fast nur in Nuancen andeutenden Valentin ein »Viech«. Das ist ein Kosewort
für einen immer lustigen Kerl, der sich nicht unterkriegen läßt und den man gern
hat. Das Wort ist eine Sympathieerklärung, nichts weiter.
Aber auch was man diesen ganz eigenartigen Menschen sonst nennen könnte aus
der fachlichen Terminologie der Bühne, würde ihn nicht definieren. Er ist weniger
als ein Schauspieler, denn er spielt keine Rollen. Er ist mehr als ein Schauspieler,
denn er ist das, was er »spielt«, immer selber, nicht in Einfühlung, sondern in Natur.
Er kennt und benutzt alle schauspielerischen Mittel, aber er hat kein darstellerisches
Ziel, wie es die Schauspieler haben. Rasch eingeordnet ist er ein Komiker, aber er ist
eigentlich gar nicht komisch, sondern tragisch. Seine Tragik hat nur so ungewöhnlich
komische Ausdrucksformen. Man lacht über das Einzelne, aber das Ganze ist auf-
regend nachdenklich. Alle diese Lazzi haben immer einen pathetischen Hintergrund.
Alle diese tollen Späße und närrischen Einfälle bilden ein Seil, an dem er und der
Zuhörer über einem jähen Absturz hängen. Die Tragik des Lebens bringt dieser
Mensch in rückenreibende Nähe zum Absurden. Der Clown: diese Bezeichnung
kommt vielleicht am nächsten. Aber auch nicht sehr weit. Das Mienenspiel dieses
Valentin: es ist fast unmerklich, so zart, so delikat, so diskret ist es. So unbeteiligt
möchte er an dieser tragischen Komik seines Falles erscheinen, so ganz nur Opfer.
Er spricht und darstellt in seinen Szenen, allein oder mit seiner kongenial ihn
begleitenden Partnerin Liesl Karlstadt, keine Texte oder Einfälle anderer Leute.
Es genügt ihm sein eigenes unheimliches Thema für die unendliche Reihe seiner
Variationen. Ich sagte schon, daß er nie Rollen »darstellt«, sondern sich selber. Er
ist das erleidende Schlachtfeld des Kampfes zwischen Logik und Sprache. Mit einer
obstinaten Vorliebe für die Logik, auch wenn sie ins sprachlich Absurde führt.
Aber er lächelt wie ein Spitzbub, wenn er logisch rechtbehält gegen die Sprache.
Oder ist erschüttert, wenn die Sprache rechtbehält gegen seine Logik. Da versteht
er die Welt nicht mehr. Und stellt sie, weils gleich ist, auf den Kopf. Er ist der
entsetzlich geplagte Mensch, von Tücken umgeben, mit Tücken parierend oder mit
dem Sela des selbstvernichtenden Verzichtes. Er hat endlose Plage mit dem Leben,
denn das Wort stellt so geschickte Fallen. Man muß immer auf der Hut sein.
Das zwingt zu grotesken Verrenkungen und Sprüngen. Alles wäre in so schöner
Ordnung, wenn man ohne Worte denken könnte. So aber ist alles Mißverständnis
und Verwirrung. Der Kapellmeister ruft ihm, der mit der Trompete einen Takt

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