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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 4.1924

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Heft 5
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Zimmer, Heinrich Robert: Winke für Katzenzucht
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Jawitsch, A.: Im Norden Russlands
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https://doi.org/10.11588/diglit.62257#0535

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Harta Zeichnung

IM NORDEN RUSSLANDS
Von
A. JA WITSCH
Sagte ich was? Nein — nichts. Das verfluchte Heulen, scheint's äfft meine
Stimme nach —", mein Reisegefährte schwieg und trat an die Tür.
Langsam schaukelnd bewegte sich der Zug vorwärts; die Räder schienen
im meterhohen Schnee steckenzubleiben, als hätte sich das Geleise in der
Schneewüste verloren, — ein langes, heftiges Knirschen im unendlichen Ge-
filde des Nordens.
Wer rief da zu Hilfe?! Ich sprang auf und merkte am bleichen Gesicht
meines Gefährten — auch er hatte es gehört.
„Da... hinter'm Fenster spricht wer", sagte mein Gefährte, „hören Sie?"
Ich höre nichts.
„Es ist der Wind", gebe ich leise zur Antwort.
„Teufel... Teufel..." •— zweimal wurde das Wort wiederholt und die
Kupeetür flog auf.
Der Norden hat mich betrogen; ich dachte, er habe nur eine Stimme und nur
eine Zunge. Er ist aber tausendstimmig und hat noch mehr als tausend Zungen.
In dieser Nacht sang er, schluchzte und stöhnte er, und man hörte ihn heulen mit
der Stimme des Schneesturmes, mit der Zunge des Schneetreibens.
Am Abend hatte irgendwer über die abertausend Kilometer weite Schneewüste
hingeschrien und war verstummt. Die lange Stille währte bis an die Nacht. In der
Nacht aber, als wir von der Station „Polarkreis" abfuhren, lauerte uns auf halbem
Wege der Schrei vom Tage auf. Er hatte sich versteckt und wartete nun. Horch
— jetzt begann er wieder voll und gezogen zu tönen... hielt mit dem Schnee-
wirbel gleichen Schritt... Der Schnee stürzte in dicken, weißen Säulen nieder —

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