PARISER VOKSBÄLLE
Von
FERNAND LEGER
rankreich hat Tänzer und Tänzerinnen, es hätte -— wollte man sich der Mühe
& unterziehen — eine französische Choreographie, doch die holt man sich weder
bei Monsieur Rouche noch im Claridge. —
Der Tanz ist, wie alle nationalen Werte, ausschließlich Domäne des Volkes.
Diese Bälle, in ihrer ursprünglichen Reinheit sind in Paris wie in
der Provinz zu finden, aber man muß es verstehen. Es ist nicht leicht.
Da sie über alle vier Enden Frankreichs und die Pariser Dudel-
sackbälle zerstreut sind, bedarf es der Beharrlichkeit und eines ge-
wissen Geschmacks für diese Dinge. Alle diese Orte sind sehr un-
zugänglich, oft gefahrvoll, man ist feindselig gegen Fremde und Zu-
schauer. Und man hat vollkommen recht, man schützt sich, ist
empfindlich für Fragen des Milieus, der Atmosphäre und der Er-
ziehung. Man hat seine eigene Erziehung, eine sehr einfache, mensch-
lich instinktsichere Erziehung. —
Die meisten Männer, die man hier trifft, sind jung und haben
die Haltung eines gepflegten Arbeiters. Das weiße Hemd ohne
Hemdkragen begrenzt die Maske in Schulterhöhe. Das schafft
Reliefwirkung. Hier allein habe ich Männerprofile zu sehen be-
kommen; die Mädchen betonen dasselbe durch die Trockenheit der
umbundenen Haare und scharf gezeichnete Augen. Beim Tanzen
heben sie sich hart von dem grell-weißen Hintergründe des Ball-
saales ab; ihre Silhouette ist von stark plastischer Wirkung. Sie
sehen gut aus, ob sie stehen, an die Wand gelehnt sind oder mit
beiden Armen aufgestützt am Tische sitzen, wie Arbeiter, die ihren
Oberkörper ausruhen.
Die Männertänze sind am sehenswertesten.
Sie tanzen Kopf gegen Kopf, in sehr gerader Haltung, die Hände
flach dem Partner an die Seite gelegt, mit angedrückten Ellenbogen.
Großen Wert legen sie auf ihre Eleganz, die sie pflegen; im
Winter klappern sie mit den Zähnen, aber ihre Koketterie erlaubt
ihnen nicht, eine Weste oder einen Ueberzieher zu tragen.
Ihre Haltung ist bestimmt, herb, wodurch die tragische und harte
Atmosphäre des Ortes entsteht.
Sie haben ihre eigene Mode und ihren eigenen Geschmack, sie
sind wählerisch in ihrem Schuhwerk und ihren Mützen, ihre Frisur
ist gesucht und gepflegt wie die der Frauen. Sie haben einen sehr
bestimmten schlichten Geschmack, sie sind kalt und skeptisch mit
fünfzehn Jahren.
Ihre Frühreife verdanken sie ihrem Milieu, es ist ganz natürlich,
daß sie mit sechzehn Jahren beginnen, die Villen der banlieue zu
E. de Fiori Zeichn, für die
„Engländerin"
»bearbeiten«, im gleichen Alter gehen sie zur Fabrik. Sie sind in einer Umgebung
aufgewachsen, in der nichts verborgen wird, in Strenge, vor der nackten Wahrheit,
sie sind Männer vor den Jahren, und dies erklärt ihre Bestimmtheit und Ziel-
sicherheit. Ihre Augen sehen von frühester Jugend alles mit an. In dieser Schule
ist man nicht lange jung.
Von
FERNAND LEGER
rankreich hat Tänzer und Tänzerinnen, es hätte -— wollte man sich der Mühe
& unterziehen — eine französische Choreographie, doch die holt man sich weder
bei Monsieur Rouche noch im Claridge. —
Der Tanz ist, wie alle nationalen Werte, ausschließlich Domäne des Volkes.
Diese Bälle, in ihrer ursprünglichen Reinheit sind in Paris wie in
der Provinz zu finden, aber man muß es verstehen. Es ist nicht leicht.
Da sie über alle vier Enden Frankreichs und die Pariser Dudel-
sackbälle zerstreut sind, bedarf es der Beharrlichkeit und eines ge-
wissen Geschmacks für diese Dinge. Alle diese Orte sind sehr un-
zugänglich, oft gefahrvoll, man ist feindselig gegen Fremde und Zu-
schauer. Und man hat vollkommen recht, man schützt sich, ist
empfindlich für Fragen des Milieus, der Atmosphäre und der Er-
ziehung. Man hat seine eigene Erziehung, eine sehr einfache, mensch-
lich instinktsichere Erziehung. —
Die meisten Männer, die man hier trifft, sind jung und haben
die Haltung eines gepflegten Arbeiters. Das weiße Hemd ohne
Hemdkragen begrenzt die Maske in Schulterhöhe. Das schafft
Reliefwirkung. Hier allein habe ich Männerprofile zu sehen be-
kommen; die Mädchen betonen dasselbe durch die Trockenheit der
umbundenen Haare und scharf gezeichnete Augen. Beim Tanzen
heben sie sich hart von dem grell-weißen Hintergründe des Ball-
saales ab; ihre Silhouette ist von stark plastischer Wirkung. Sie
sehen gut aus, ob sie stehen, an die Wand gelehnt sind oder mit
beiden Armen aufgestützt am Tische sitzen, wie Arbeiter, die ihren
Oberkörper ausruhen.
Die Männertänze sind am sehenswertesten.
Sie tanzen Kopf gegen Kopf, in sehr gerader Haltung, die Hände
flach dem Partner an die Seite gelegt, mit angedrückten Ellenbogen.
Großen Wert legen sie auf ihre Eleganz, die sie pflegen; im
Winter klappern sie mit den Zähnen, aber ihre Koketterie erlaubt
ihnen nicht, eine Weste oder einen Ueberzieher zu tragen.
Ihre Haltung ist bestimmt, herb, wodurch die tragische und harte
Atmosphäre des Ortes entsteht.
Sie haben ihre eigene Mode und ihren eigenen Geschmack, sie
sind wählerisch in ihrem Schuhwerk und ihren Mützen, ihre Frisur
ist gesucht und gepflegt wie die der Frauen. Sie haben einen sehr
bestimmten schlichten Geschmack, sie sind kalt und skeptisch mit
fünfzehn Jahren.
Ihre Frühreife verdanken sie ihrem Milieu, es ist ganz natürlich,
daß sie mit sechzehn Jahren beginnen, die Villen der banlieue zu
E. de Fiori Zeichn, für die
„Engländerin"
»bearbeiten«, im gleichen Alter gehen sie zur Fabrik. Sie sind in einer Umgebung
aufgewachsen, in der nichts verborgen wird, in Strenge, vor der nackten Wahrheit,
sie sind Männer vor den Jahren, und dies erklärt ihre Bestimmtheit und Ziel-
sicherheit. Ihre Augen sehen von frühester Jugend alles mit an. In dieser Schule
ist man nicht lange jung.