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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 4.1924

DOI issue:
Heft 3
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Marcus, B.: George Antheil
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https://doi.org/10.11588/diglit.62257#0333

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GEORGE ANTHEIL
von
B. MARCUS


s ist nicht interessant, die Kunst von heute zu betrachten; das einzige, was von
Interesse sein kann, ist die Kunst von morgen. Daß sie für ein zeitgenössisches
Publikum nicht verständlich ist, darf nicht abschrecken, wird eher ein Maßstab ihres
zukünftigen Wertes sein. Was morgen als ernst angesehen wird, dient heute der
Welt zum Spott. Das ist richtig so. Je mehr Aufsehen eine moderne Kunst machen
kann und je breitere Massen Ärgernis an ihr nehmen,
desto besser für den Künstler, denn er muß schon etwas
bedeuten, wenn ein volles Haus im »Champs Elysees« in
eine solche Extase gerät, in die keine der wirklich be-
deutenden Leistungen einer anerkannten Größe es je hat
bringen können. Das Publikum ist immer in der größten
Aufregung, wenn es etwas in Abrede stellen soll, d. h.
wenn ihm einige seiner eingebürgerten Ideen, die bequem
und erprobt sind, weggenommen werden. Und noch größer
ist die Enttäuschung, wenn man ihm noch dazu etwas
Neues geben will.
Deshalb ist es nur verständlich, daß George Antheil den
größten Skandal und die größte Aufregung in den letzten
Jahren verursacht hatte, weil er nicht nur wegnimmt, wie
die meisten modernen Künstler, sondern etwas absolut
Neues und Positives gibt; einen neuen Mechanismus der
Musik, der um so neuer ist, weil er rhythmisch ein bar-
barischer, primitiver Mechanismus ist.
Im weiteren Sinne ist ein Mechanismus nichts anderes Suzanne Roger


als eine richtige elementare Organisation. Antheil strebt

(Gliche Galerie Simon)
in seiner Musik nicht die Nachahmung einer Maschine, sondern die mechanische und
mathematische Organisation der Urelemente an, die musikalisch greifbar sind, die
man also hören kann. Elementar in der Musik ist der Rhythmus, weil er Bewegung
ist; die Harmonie ist nur sekundär, weil sie eine Tönung, eine Nuance ist. Deshalb
hat die rhythmisch-mechanische Musik auch die größte Revolution auf dem bisherigen
musikalischen Gebiet hervorgerufen. Seine musikalischen Rhythmen sind hart und
so klar und rein physikalisch, daß sie durchsichtig sind wie weiße Kristalle. Und
wenn er doch Farben hat, so sind es die gegensätzlichsten und in ihrem Kontrast
die reinsten: schwarz und weiß.
Antheils Musik kann man ihrer Organisation nach in zwei Gruppen einteilen. Die
eine Gruppe ist die absolut barbarisch-rhythmische, die andere die abstrakte Mechanik
einer auf ganz neuer Grundlage aufgebauten Welt, die Synthese, die allein Amerika
gibt. Seine Kunst ist aber immer Synthese, weil sie nicht naturgetreu nachahmt,
sondern die Elemente ordnet, nicht wie sie in Wirklichkeit sind, sondern wie sie
künstlerisch sein könnten und sein müßten.
Die barbarische Musik Antheils ist eine neue Primitivität, die sich keineswegs an
die alten anlehnt, sondern aus sich selbst herauskommt, sich natürlich entwickelt.
Man hat das Gefühl, als ob Urmassen sich in gesetzmäßiger Unterbewußtheit be-
wegen. Diese Musik ist primitiv und barbarisch, weil sie hart ist und nur physikalisch
aufgebaut wird, nichts anderes als Voraussetzung hat, als was ein Kind auch wissen

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