Pathos des Verkannten übt, noch mit dem Witz des Witzes wegen. Zwanzig Jahre
lang denselben Wiener Journalisten anulken und »vernichten« und es nicht um
dessentwillen treiben (denn er lebt ja ruhig weiter), sondern, wie der Wiener
Fackelherausgeber sagt, aus artistischen Gründen, — solche Geschwollenheit ist
Mencken ganz fremd. Er ist weder ein Artist, noch ein Satiriker, noch sonst eine
Specialität, sondern ein ungemein lebendiger, herzlicher, grober und froher Mensch
von stärkstem hinreißendem Temperament. Und so ist sein Werk, der American
Mercury.
2.
THEODOR DREISER'S BOOK ABOUT MYSELF
In Europa ein Unbekannter trotz zehn oder zwölf sehr dicker Romanbücher,
hatte Dreiser in den Staaten lange unter einer skandaliösen Bekanntheit zu leiden wegen
seines ersten Buches, das als unmoralisch verboten wurde. Es ist im Sittlichen so
harmlos wie irgend ein Roman von der verstorbenen Hauschner. Aber in Amerika
war man vor fünfzehn, zwanzig Jahren entsetzlich sittlich. Hinsichtlich der Künste
natürlich. Sonst nicht sittlicher als anderswo und -wann auch. Dreiser war bis hoch
in die Dreißig ein Zeitungsmann aller Grade, auch der letzten. Das ist er nicht los
geworden bis heute, wo er über fünfzig alt ist. Ein Übersetzer des »Titan« oder
dieser sehr interessanten Autobiographie — Dreisers beste Bücher — hätte da nicht zu
cun als zu übersetzen. Er müßte ersetzen. Man hat Dreiser zolaistisch genannt. Das
ist ein Unsinn. Er ist nicht im geringsten romantisch. Er hat viel unmittelbare
Wahrhaftigkeit in seiner Darstellung von Charakteren und Situationen, verbiegt sie
nie in eine romantische oder sentimentale Voreingenommenheit. Ich gestehe für
meine Person, daß ich ihm seinen Zeitgenossen und Landsmann Cabell vorziehe, der
sicher weniger amerikanisch ist als Dreiser. Aber er ist immer eine Figur, die
interessiert. FRANZ BLEI.
164
lang denselben Wiener Journalisten anulken und »vernichten« und es nicht um
dessentwillen treiben (denn er lebt ja ruhig weiter), sondern, wie der Wiener
Fackelherausgeber sagt, aus artistischen Gründen, — solche Geschwollenheit ist
Mencken ganz fremd. Er ist weder ein Artist, noch ein Satiriker, noch sonst eine
Specialität, sondern ein ungemein lebendiger, herzlicher, grober und froher Mensch
von stärkstem hinreißendem Temperament. Und so ist sein Werk, der American
Mercury.
2.
THEODOR DREISER'S BOOK ABOUT MYSELF
In Europa ein Unbekannter trotz zehn oder zwölf sehr dicker Romanbücher,
hatte Dreiser in den Staaten lange unter einer skandaliösen Bekanntheit zu leiden wegen
seines ersten Buches, das als unmoralisch verboten wurde. Es ist im Sittlichen so
harmlos wie irgend ein Roman von der verstorbenen Hauschner. Aber in Amerika
war man vor fünfzehn, zwanzig Jahren entsetzlich sittlich. Hinsichtlich der Künste
natürlich. Sonst nicht sittlicher als anderswo und -wann auch. Dreiser war bis hoch
in die Dreißig ein Zeitungsmann aller Grade, auch der letzten. Das ist er nicht los
geworden bis heute, wo er über fünfzig alt ist. Ein Übersetzer des »Titan« oder
dieser sehr interessanten Autobiographie — Dreisers beste Bücher — hätte da nicht zu
cun als zu übersetzen. Er müßte ersetzen. Man hat Dreiser zolaistisch genannt. Das
ist ein Unsinn. Er ist nicht im geringsten romantisch. Er hat viel unmittelbare
Wahrhaftigkeit in seiner Darstellung von Charakteren und Situationen, verbiegt sie
nie in eine romantische oder sentimentale Voreingenommenheit. Ich gestehe für
meine Person, daß ich ihm seinen Zeitgenossen und Landsmann Cabell vorziehe, der
sicher weniger amerikanisch ist als Dreiser. Aber er ist immer eine Figur, die
interessiert. FRANZ BLEI.
164