Lettern wurden zu Silben geordnet, diese zu kurzen Worten und Sätzen
vereinigt. So erwuchs auf natürliche Art ein Schulbuch, das nicht
auf Unterhaltung ausging, aber doch seinen Anteil am Entstehen der
Unterhaltungsliteratur für die Jugend hatte. Denn schon früh war
man bestrebt, den Leseunterricht durch anschauliche Bilder zu unter-
stützen und den Anfängern mit Begriffen auf die Sprünge zu helfen.
So wurde die Fibel auch zum Vorläufer des Bilderbuchs.
An ihren kräftigen Holzschnitten, die so gut zu den grob ge-
schnitzten Fibeltexten passen, freuen wir uns heute angesichts der ge-
suchten Manier unserer Kunst ganz besonders. Da ist ein Fuhrmann,
der auf einem derben Gaul reitet. Er schwingt die Peitsche: o! o!
ist sein Ruf, den alle Kinder von der Landstraße her kennen. An der
Öffnung des Mundes ist der Buchstabe 0 leicht zu behalten. Ein
Zottelbär muß das brummende M verkörpern, die zischende Schlange
versinnbildlicht das S. Waren die Buchstaben Gedächtnisgut ge-
worden, so folgten die wuchtigen Sätze in einsilbigen Worten: „Es
end sich all Ding. Geld ist gut wers hat. Guts Muts laßt uns seyn.
Mach der Red nit viel. Pfaff lern was recht ist." Daran schlossen
sich Einmaleins, Glaubensartikel, Benedicte, Gratias und ein Gebet.
Die Fibeln, aus dem ersten Jahrhundert des gedruckten Buches
stammend, blieben sich lange Zeit ähnlich. Einfach handwerksmäßig
hergestellte Holzschnitte und ebenso kunstlos-naive Verse — natürlich
mit einer Moral versehen, denn ohne die geht's in einem Kinderbuche
so leicht nicht — finden wir noch bis in die neueste Zeit. Dürfen
wir diese Lehrbücher auch nur bedingt zur Jugendliteratur rechnen —
sie sind hier genannt, weil sie etwas Rechtes darstellen, von gutem
Schrot und Korn.
Als Lesebuch benutzte die Schule früherer Jahrhunderte Katechis-
mus, Bibel und Gesangbuch. Erst 1772 schuf ein märkischer Junker
das Lesebuch mit kurzen erzählenden Abschnitten aus dem täglichen
Leben. Es war Eberhard v. Rochow, der sich mit seinem „Kinder-
freund, zum Gebrauche in Landschulen" sehr verdient machte. Der
Menschenfreund erlöste seine kleinen Untertanen wenigstens etwas von
der ödesten Langeweile des Unterrichts. Er brachte in seinem Buche
freilich auch nur moralische Geschichten, aber er wünschte doch die
Kinder von Dingen zu unterhalten, die ihnen lieber waren als das Ge-
sangbuch. Er brachte auch praktische Regeln für die Landwirtschaft,
Wetterkunde, Hausmittel bei Unglücks- und Krankheitsfällen — kurz,
er machte ein gutes Buch, wie es der Bauernbub brauchte. Das, was
dem Werkchen von Künstlichem anhaftete — es war eben doch ein
Kind seiner Zeit —, ließ der gesunde Sinn des Landvolkes wohl gern
ungelesen.
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vereinigt. So erwuchs auf natürliche Art ein Schulbuch, das nicht
auf Unterhaltung ausging, aber doch seinen Anteil am Entstehen der
Unterhaltungsliteratur für die Jugend hatte. Denn schon früh war
man bestrebt, den Leseunterricht durch anschauliche Bilder zu unter-
stützen und den Anfängern mit Begriffen auf die Sprünge zu helfen.
So wurde die Fibel auch zum Vorläufer des Bilderbuchs.
An ihren kräftigen Holzschnitten, die so gut zu den grob ge-
schnitzten Fibeltexten passen, freuen wir uns heute angesichts der ge-
suchten Manier unserer Kunst ganz besonders. Da ist ein Fuhrmann,
der auf einem derben Gaul reitet. Er schwingt die Peitsche: o! o!
ist sein Ruf, den alle Kinder von der Landstraße her kennen. An der
Öffnung des Mundes ist der Buchstabe 0 leicht zu behalten. Ein
Zottelbär muß das brummende M verkörpern, die zischende Schlange
versinnbildlicht das S. Waren die Buchstaben Gedächtnisgut ge-
worden, so folgten die wuchtigen Sätze in einsilbigen Worten: „Es
end sich all Ding. Geld ist gut wers hat. Guts Muts laßt uns seyn.
Mach der Red nit viel. Pfaff lern was recht ist." Daran schlossen
sich Einmaleins, Glaubensartikel, Benedicte, Gratias und ein Gebet.
Die Fibeln, aus dem ersten Jahrhundert des gedruckten Buches
stammend, blieben sich lange Zeit ähnlich. Einfach handwerksmäßig
hergestellte Holzschnitte und ebenso kunstlos-naive Verse — natürlich
mit einer Moral versehen, denn ohne die geht's in einem Kinderbuche
so leicht nicht — finden wir noch bis in die neueste Zeit. Dürfen
wir diese Lehrbücher auch nur bedingt zur Jugendliteratur rechnen —
sie sind hier genannt, weil sie etwas Rechtes darstellen, von gutem
Schrot und Korn.
Als Lesebuch benutzte die Schule früherer Jahrhunderte Katechis-
mus, Bibel und Gesangbuch. Erst 1772 schuf ein märkischer Junker
das Lesebuch mit kurzen erzählenden Abschnitten aus dem täglichen
Leben. Es war Eberhard v. Rochow, der sich mit seinem „Kinder-
freund, zum Gebrauche in Landschulen" sehr verdient machte. Der
Menschenfreund erlöste seine kleinen Untertanen wenigstens etwas von
der ödesten Langeweile des Unterrichts. Er brachte in seinem Buche
freilich auch nur moralische Geschichten, aber er wünschte doch die
Kinder von Dingen zu unterhalten, die ihnen lieber waren als das Ge-
sangbuch. Er brachte auch praktische Regeln für die Landwirtschaft,
Wetterkunde, Hausmittel bei Unglücks- und Krankheitsfällen — kurz,
er machte ein gutes Buch, wie es der Bauernbub brauchte. Das, was
dem Werkchen von Künstlichem anhaftete — es war eben doch ein
Kind seiner Zeit —, ließ der gesunde Sinn des Landvolkes wohl gern
ungelesen.
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