Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

DOI Heft:
Heft 7
DOI Heft:
[Gedichte]
DOI Artikel:
Schwann, Mathieu: Von der Waldaffe bis zum Wisper
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.45537#0017

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
A. v. Wille.
Der Rhein bei Rüdesheim.


Von der Waldaffe bis zur Wisper.
Von Dr. Mathieu Schwann.

er heute zur Sommerszeit den Rheingau
besucht, dem prägt sich ein Bild in
die Seele von Glanz und goldener
Herrlichkeit. Der Strom im Tale, die
Städtchen und Dörfer und Landhäuser
an seinem Ufer, die schmucken Dampfer mit
ihren fröhlichen Passagieren, die sich drängenden
Schleppboote mit ihren schweren Lasten, die
hinter den Ufern aufsteigenden Rebgelände und
weiter hinauf die waldgekrönten Bergrücken —
es ist ein so harmonisches Bild von segnender
Natur, von tüchtiger Menschenarbeit und auf-
wallender Freude, wie es uns nur in ganz be-
gnadeten Gefilden wieder begegnet. Man mag
es sagen: der Himmel tat hieran das Beste, denn
heute noch fühlen wir die Kraft der Sonne, dringt
uns die Helle der Luft in die Augen und be-
glückt unsern Blick und unser Herz, heute noch
genau so, wie es seit je den Menschen geschah,
die hier wohnten. Indes all diese sich uns
bietende Schönheit ist trotz alledem ein Werk
der Menschenkraft. Viele — viele Generationen
bauten daran im Laufe der Zeiten, und hätte die
Sonne, hätte die Himmelshelle keine Menschen
hier gefunden, deren Augen und Herzen fähig
waren und immer fähiger wurden, die weckenden
Himmelsstrahlen zu empfangen und zu „ver-
stehen“, die Wildnis, in der einst dieser Erd-
strich schlummerte, wäre nicht gebannt worden
und über Sümpfe und Moore und dunkle Wald-
unheimlichkeiten würde heute noch der Sonnen-

strahl zitternd und scheu dahingleiten, wie er es
vor zweitausend Jahren tat. Auf diese Menschen-
kraft, auf ihr Werk, auf das Geschlecht, das hier
sass und hauste, will ich darum hier einen kurzen
Blick zurückwerfen.
Hört einer heute das Wörtlein „Pferdedieb-
stahl“, so denkt er wohl an Amerika oder an
die Leute weit drüben im Osten, wo die Steppe
sich dehnt, aber dass vor wenigen Jahrhunderten
noch im Rheingau „ein Recht von Pferden und
anderem vihe“ existierte, daran denkt er kaum.
Und wer heute die von Frieden und Arbeit und
Freude gesegneten Fluren mit glücklichem Blicke
betrachtet, der denkt nicht daran, dass hier ein-
mal Mann für Mann sein Recht erkämpfen und
hüten musste, dass es auch hier einmal galt, ein-
zustehen mit Tat und Leben für das eigene
Recht und für das eigene Leben. „Wer auch
in dem Rheingaue sitzet, es sei Mann, Burg-
mann, Dienstmann oder Hobismann (Hufner,
Hübner), der verkürzt wäre von Herrn oder von
Städten oder von jemand anders, wer der oder
die wären, den die Sache angeht, der soll reiten
zu unserm Herrn von Mainz, wenn er in dem
Lande ist, oder wenn er nicht in dem Lande
ist, zu seinem obersten Amtmann, der zu der
Zeit in dem Lande ist, und soll ihm das rügen.
Der soll dann den Herrn ,verboden' (= Botschaft
geben), der ihm unrecht tut, mit seinem Briefe,
dass er ihm gelegentlich den Tag bescheide, und
lasse ihm Recht widerfahren. Beschiede er ihm


243
 
Annotationen