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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

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Sonderheft
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Schäfer, Wilhelm: Peter Hille
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Hille, Peter: Zwei Szenen aus: "Der Sohn des Platonikers"
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https://doi.org/10.11588/diglit.45537#0294

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Wir haben heute das Thema der Vatergewalt
im „Freund Hein“ von Emil Strauß. Wir hatten
es ungleich tiefer, schärfer, charaktervoller in
der Kindertragödie des Frank Wedekind. Wir
haben es für alle’ Zeit verdichtet im „Sohn
des Platonikers“. Kaum ein anderes deutsches
Drama führt so an die Shakespearesche Höhe
hinan, nicht in der brutalen Kraft, sondern in
der menschlichen Macht, wie ein Stück der
Welt aus einer Dichterseele fließt. Szene um
Szene, unbekümmert um Darstellung, und doch

Zwei Szenen aus: „Der
Drama von
Die erste Szene gibt Petrarca, wie er sich
zu seinem Freund Franzesco ins Kloster gessüchtet
hat, um hier seine durch die Anklage seines
Sohnes Giovanni erschütterte Selbstgerechtigkeit
zu stärken. Sie zeigt Hille auf einer Höhe der
Menschen- und Weltbetrachtung, die in der
modernen Kunst selten sind.
In der zweiten Szene nimmt sein Sohn Gio-
vanni Abschied von seinen deutschen Freunden.
Sie steht hier um seiner drastischen Schilderung
des Westsalentums willen.
I.
(Kartause [Certosa] bei Pavia. — Zellenhäuschen mit Brett-
Stuhl, Matratze, Tisch, Krug, in der Tür Speiseklappe. —
Andere Zellenhäuschen sichtbar, in der Mitte die grosse,
herrliche Kirche.)
Pater Bruno: Ja, Franzesco, für unsere lieben
Gäste haben wir schon noch etwas Be-
quemlichkeit und kennen kein größeres Ver-
gnügen als ihr Behagen daran. Darum
bitte, lieber Bruder, schenk dir ein, ich
freue mich, wie es dir mundet. Sieh, mir
täte der Wein nicht gut, wir haben mit
schwerer Mühe und langer Abtötung etwas
Ruhe in unser Seelenbangen gebracht. Aber
eine rote Welle würde die ganze Ruhe fort-
heben, und dann wäre die große Lebens-
arbeit wie eines Knäbleins Sandbau, den
ein Karren umstreift.
Petrarca (im Polstersessel): Und ich Gesunder
brauche euren Krankensessel!
Bruno: Freu dich doch, daß keiner ihn be-
darf. Zeichen der Gesundheit hier oben.
Petrarca (sinnend): Ja, hier oben ist reine Luft.
Hier fände auch ich wohl den Frieden. Wie
wär’s, wenn ich bei euch bliebe und den
ganzen Weltgeist hier ablegte.
Bruno: Ja, so sind die Weltleute. Da meinen
sie, das Kloster tät’s, die Mauern. Nein,
darin steckt kein Frieden. Der wohnt hier
oben ebensowenig wie unten in der Welt.
Den muß man sich schon mitbringen. Er
ist das Göttliche im Menschen. Wir können

Bild um Bild gerundet. Wir haben literarische
und Ausstattungs - Bühnen, auf denen jegliche
Dichtung zurechtgehackt oder gestreckt wird,
aber wir haben keine, die dem raschen Flug der
Shakespeareschen Szenenfolge gerecht werden
kann. Darum sind wir auch weit davon, ein
solches Drama gespielt zu sehen. Doch es ist da,
es wartet darauf, daß Schauspieler und Regisseure
bescheiden wieder der Dichtung dienen.
Wilhelm Schäfer.

Sohn des Platonikers“.
Peter Hille.
ihn nur bewahren hier. Alles muß man
mitbringen und darum nur seine Sachen
unten lassen. Wer noch Getümmel hat,
in wem’s noch schreit von Weh und Streit,
der stört hier oben nur den Frieden. Denn
hier in der Stille, in der äußeren Ruhe wird
die Unruhe erst recht lebendig und die
unbeschäftigte Seele wild und wahnsinnig,
wenn sie nicht beten kann. Und das Beten
ist so gewaltig tief und so gewaltig einfach.
Und darum ist auch nur ein so recht Gottes-
frischer für uns tauglich. Der hat noch die
Gabe großer Mannhaftigkeit. Oder so ein
ganz und gar Abgetöteter, von der Welt
Vernichteter. Aber die sind so selten! Nur
der mitgebrachte Frieden gedeiht, und dann
allerdings köstlich. Und du bedarfst auch
keinen Frieden; du bist eine Art, die sich
ärgern muß, um fröhlich zu sein. Das
machen noch die Prozesse, die Prozesse,
die in dich ausgewachsen sind. Vom Vater
her. Man muß das Kloster eben mitbringen.
Aber daß ich das dem hochwürdigen Kano-
nikus von Parma noch sagen muß! Und
deshalb, lieber Bruder, müßtest du nicht
zu hart mit unsern Brüdern sein! Es sind
zum größten Teil wohl nur Unglückliche,
die sich täuschten, und nun muß das Kloster
sie betäuben.
Petrarca: Ja, ich meinte euch doch nicht.
Mir ekelt vor der schleimigen Seele der
Lust und den Augen der Welt, die glühen
wie lüsterne Juwelen. Mir widerstrebte es,
Laster zu mästen, und bitter fand ich bald
die purpurnen Lügen der Lippen. Das alles
aber fand ich in den Klöstern; nur noch
schlimmer, entarteter. Euer Orden ist mir
immer ehrwürdig gewesen. Seine Strenge,
seine erhabene —
Bruno: Ich weiß. Sieh mal, du bist selbst so
etwas wie ein unglücklicher Mönch. Du
wolltest jungfräulich sein und fielest noch
unter die Weltleute. Du tatest unrecht an

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