js> DIE
FARBE DER
RHEINISCHEN
LANDSCHAFT
Wer gedenkt noch der Zeit, da Rheinland-
schaften gemalt wurden? Sie sind aus der Mode
— auch Bilder sind bekanntlich Modesache.
Aber wirklich, es hat eine Zeit gegeben, da sich
in den Städtchen des Mittelrheins Künstler zu
„Kolonien“ zusammenfanden, gerade so, wie sie
heute sich die weite Heide von Worpswede,
die malerische Öde des Dachauer Moors aus-
suchen. Es werden ihrer wohl keine mehr leben,
die im „goldenen Pfropfenzieher“ beim alten
D’Avis in Oberwesel, beim Posthalter Nathan in
St. Goarshausen vor Anker gingen den ganzen
schönen Sommer lang, tags hinauszogen mit
Schirm und Feldstaffelei und Abends sich zu-
sammenfanden in der Rebenlaube, um bei Becher-
klang und Gesang und allem gescheiten und un-
gescheiten Ulk das rheinische Leben in vollem
Zuge zu schlürfen. Und dann malten sie die
Bilder, die man heute noch in den Nebensälen
vergessener Galerien trifft, Bilder wie Böttchers
„Abend am Rhein“, wie Schrödters und Hasen-
clevers Genrebilder, wie Scheurens Rheinalbum.
Das waren ja grösstenteils keine Meisterwerke;
aber sie waren vollgefüllt bis an den Rahmen
mit der behaglich erzählenden Schilderung all
des Schönen und Lieben, das Einem am köst-
lichen Rheinstrom durch die Seele zieht, —
heiterer Lebensgenuss und grosse Erinnerung,
Maiweinstimmung und graue Sage.
Solche Bilder mit Inhalt will man heute
nicht mehr; man ist ernster, anspruchsvoller
geworden. Das „Kunstwerk um seiner selbst
willen“ beherrscht auch die Landschaftsmalerei.
Und weil das Rheintal so vollgestopft ist mit Ge-
danken, die sich an jeden Kirchturm, jeden Fels,
jede Trümmerburg knüpfen, so hat man es als
malerisches Objekt abgesetzt. Fragen Sie einen
Künstler; er wird Ihnen sagen, dass der Mittel-
rhein eigentlich ganz unmalerisch ist. Er wird
Ihnen sprechen von den ewig parallelen Linien
der Schieferberge, die sich mit der darüber
lagernden Hochebene zu hässlichen Trapezformen
verschneiden — von den Weinbergen, deren
parallele Zeilen die Berghänge mit unleidlichen
Schraffuren überziehen; er wird — und darin
hat er recht — seinen Unmut auslassen über
die Uferschälungen des regulierten Stroms und
die Eisenbahndämme, die rechts und links den
Vordergrund wie mit dem Lineal abschneiden.
Verschandelt ist die Rheinlandschaft! das ist
wahr. Brutaler hat die neue Zeit mit ihren
„unabweisbaren Verkehrsbedürfnissen“ wohl nir-
gends gehaust als in den traulichen Rhein-
städtchen, die man gekannt haben muss mit
ihrem malerischen Strand, von Fischernetzen,
spielenden Kindern und waschenden Frauen
belebt, mit ihren Bogengängen über den alten
Stadtmauern, auf denen zu Hochwasserzeiten
der Verkehr von Nachbar zu Nachbar ging —
mit den Türmen und Wehrbauten, die sich im
ruhig ssiessenden Strom spiegelten. Alles bis auf
geringe Reste wegrasiert vom Verkehrs-Ingenieur,
der namentlich am Nassauer Ufer seine „Trace“
just da zwischen Stadt und Strom vorbeiführen
musste, wo es was zu zerstören gab!
Aber eins hat er nicht zerstören können —
eins hat der Rheinlandschaft auch der wechselnde
Geschmack lassen müssen: das ist ihre Farbe!
— Hast du diese Farbe auf dich wirken lassen
im ersten Frühlicht, wenn die schrägen Sonnen-
strahlen über die Breite des Stromes hinschiessen,
dass leichter Dampf aufsteigt und den Fuss des
Bildes in silberne Schleier hüllt — oder im
grellen Mittagslicht des Sommertages, wenn jede
Farbe zum vollen Wert einsetzt und sich alle
doch zu einem milden Accord voll Wohlgefühl
für das Auge vereinen; oder Abends, wenn die
Sonne über den Höhen des Hunsrücks ver-
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