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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

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Sonderheft
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Schäfer, Wilhelm: Peter Hille
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https://doi.org/10.11588/diglit.45537#0293

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Peter Hille.
Nach einer Ausnahme von A. Hertwig
Peter Hille.
Ich wüßte keinen Lebenden von gleich
genialischer Anlage zu nennen, nicht zum
wenigsten auch in dem Sinn, daß er vor lauter
Einsicht ins Leben hilflos darin steht. Mit der
unverstellten Lauterkeit des Kindes, so daß man
nicht fragt: welche typischen Züge des West-
falen finden sich in ihm, sondern: was sagt er,
der Westfale, über seinen Volksstamm aus?
Ich sagte mit Absicht genialisch; denn ein
Genie, von dem die Werke zeugen, ist er nicht.
Man verunglückt leicht, wenn man mit seinen
Büchern in der Hand daherkommt, um über ihn
zu sprechen. Sie sind keine fertig gemachten
Kunstwerke, sie sind wie manche Bäche seiner
westfälischen Heimat: irgendwo versiegt das
lebendige Wasser, man schreitet minutenlang in
trockenem Kalkgeröll, bis auf einmal unmerklich
die Quellen wieder zu einem starken Wasser
zusammenrieseln. Einen ganzen Eindruck geben
seine Dichtungen nur dem, der den Menschen
kennt und seinen Blick, der eben noch mit kind-
lichem Wohlgefallen an einem blanken Käfer
hängen und dann nach innen versinken kann in
Seelentiefen.
Von seinem Leben weiß eigentlich keiner
mehr, als daß er lebt wie eine Blume auf dem
Felde. Irgendwo taucht er auf mit dem gütigen
Gesicht und den wundervoll schlanken Händen,
ein Wesen fast wie jener Pilger in dem Gorki-
schen Drama, nur nicht evangelistisch predigend
wie dieser, sondern, wo er auch sei, beglückt
von der Welt und in einem ungetrübten Zustand
inneren Genießens; nicht beunruhigt durch das
moderne Leben, ein Sohn der Großstadt und
ein Kind seiner westfälischen Wälder zugleich.
Nichts, das ihm zu ärmlich wäre, davon zu
sprechen, und nichts so gering, daß es in seinen

Händen nicht ein Edelstein würde. Als Gestalter
seiner Schicksale ein törichtes Kind, als Herr
seines Lebens ein Fürst sondergleichen. Nie-
mand vermag königlicher zu tafeln als er, und
es ist selten sein Tisch, an dem er sitzt; nie-
mand vermag schalkhafter zu schäkern als er,
und es sind alle Traurigkeiten des Lebens über
ihn weggestürmt; niemand spricht gütiger als
er von Menschen und Dingen, und es ist doch
eine Schärfe des Geistes und eine Schneidigkeit
des Wortes in ihm, die dem größten Satiriker
gerecht würde: ein Menschenwunder an Güte
und Fröhlichkeit, und nicht nur als Dichter, ein
„Meerwunder der Erfolglosigkeit“, wie er sich
selbst genannt hat.
Seit einiger Zeit gibt es zwar gedruckte
Bücher von ihm, die im Buchhandel zu haben
sind — nicht in würdiger Art —, auch lebt in
Berlin eine Gemeinde, die ihm als ihrem Apostel
ein lautes Gefolge leistet, seine Dramen aufführt,
seine Sachen durch ihn vorlesen läßt und für
seines Leibes Notdurft sorgt. Aber Hille ist
kein Apostel: er wird mit Wohlbehagen alle
Liebe spüren, die so um ihn sorgt, er wird auch
schöne Träume haben von der stillen Macht
des Dichterwortes, von glänzender Pracht des
Bühnenbildes, — doch um die Rolle des
Paradedichters zu spielen, dazu fehlt ihm so
viel Eitelkeit und kluge Absicht, wie sie nur
einem Heiligen fehlen kann.
Diese unbestechliche lautere Ruhe der Seele,
dieses „Reich Gottes in uns“ ist das erste, was
er von seinem westfälischen Volksstamm be-
zeugt. Dann aber ist er ein Bruder des bekannten
Zentrums-Abgeordneten und also westfälischer
Katholik. Ich weiß nicht, ob die Kirche zu-
frieden ist mit diesem Heiligen: aber wer jene
Sache, die sich deutscher Katholizismus nennt,
verehren lernen will, der muß Peter Hille über
religiöse Dinge sprechen hören. Dann steigen
jene Welten auf, die in den Schriften der deut-
schen Mystiker uns so gedanklich fremd und
doch im Gefühl so heimisch berühren, aus denen
die Wunderdome germanischer Kunst wuchsen.
Ein Heiliger mit moderner Bildung, ein
Denker, der alles durchdacht hat, was an Neuem
auf uns eingebrochen ist, in dem die kühnsten
Zukunftsträume ihre Wolkenberge bauen, ein
Gelehrter sondergleichen an historischem Wissen
und ein Trunkener in der Sicherheit seines

*

Gefühls: ein
sein Haupt
Königreiche
schenkt.

Mann, der nicht weiß, wohin er
am Abend hinlegt und der alle
der Welt mit gütiger Hand ver-
* *

Und ein Werk hat er geschrieben, das als
teures Besitztum gehütet werden wird, wenn
seine Gestalt längst sagenhaft geworden ist. Es
ist ein Trauerspiel und nennt sich „Der Sohn
des Platonikers“. Giovanni, der menschliche Sohn
des unmenschlichen selbstgerechten Petrarca.

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