Rollen und Schleifen, dann wieder ein Gurgeln
und kurzes Aufbrausen kam immer näher.
Einzelne Schollen zeigten sich, weiss, mit
wässerigem Schnee bedeckt, lang und eckig, wie
mit Messern abgeschnitten, in den sonderbarsten
Umrissen, gross wie kleine Stadtplätze. Sie trugen
ganze Berge von kleinen Schollen auf sich und
trieben majestätisch in dem Wirrwar der tausen-
den kleinen dahin. Immer neue Schollen, die vor
ihnen daherssüchteten, nahmen sie, wie ein Teller
sich darunter schiebend, auf sich, oder drückten
sie mit ihrem mächtigen Gewicht unter sich ins
Wasser und liessen sie hinter sich wieder auf-
steigen. Wie schleppentragende Dienerinnen
hingen die Kleinen sich dann an den Saum der
Königin an.
Das Rheineis kam!
Der kleinen schwarzen Schollen wurden
immer weniger, der riesigen weissen immer
mehr. Das helle Klingen war von dem dumpfen,
riesenhaften Hallen längst verschluckt worden.
Der ganze Strom geriet in Aufregung — ein
unablässiges, ungeheures Treiben, keine Sekunde
ein Stillstand, ein immer und immer Sichver-
ändern, ein einziger hastender, verzweifelter,
knirschender, schreiender Kampf. Ein Drauflos-
stürmen und Sichwehren, ein Aufbäumen, ein
Bersten und Zertrümmern überall, ein wütendes
Kämpfen einzelner und ganzer Massen. Das
waren keine Stücke erstarrten Wassers mehr,
das waren beseelte Wesen, die von einem über-
mächtigen Schicksal dahingetrieben wurden, die
miteinander rangen um einen Platz an der Ober-
ssäche, die sich nachjagten, sich ersehnend und
sich hassend, die sich packten, festbissen und
würgten, die sangen und jauchzten, die müde
wurden, verzweifelten und starben.
Und den Menschen am Ufer teilte sich die
Aufregung dieses Lebens zu ihren Füssen mit.
Sie sahen auf den wandernden Strom hinaus,
wie in ihr eigenes Leben. Schweigend, atem-
los, in einem unerklärlichen Grauen standen sie
da, dicke, schwarze Scharen, von dem gelben,
immer tiefer sich auf ihre Schultern herab-
senkenden Abend eingehüllt. Nur selten ssog ein
Scherzwort auf, das keinen Widerhall fand.
Die Nacht kam schnell. Der Strom ging mit
seinem Weiss in den Schnee des ssachen, end-
los ansteigenden andern Ufers über, ohne dass
noch eine Grenze zu sehen war. Wie die Riesen-
finger im Schnee Begrabener starrten noch die
einsamen Fabrikschlote drüben schwarz aus dem
Weiss heraus. Die sieben Berge oben hatten sich
schon in den dicken, dunklen Himmel aufgelöst.
Rm Rhein/
sange Schatten werfen bie Pappeln über ben grünen
Abhang summenber Wiesen; ben hoben Wegranb
säumen bunkle Brombeergebüsche; an ben Wilbrosensträüchern
glänzen bie roten fjagebutten. mit oollen Wipfeln
brausen bie Cinben an ber Burgwanb. —
Durch bie Pforte trat ich unb sctjntt über ben weiten Rasenhof
über bes büschegefüllten Erabens Brücke
an ben Derliesen oorbei, burch zerfallene Sänge
burch öbe Säle, wo berstcnb grinsen bie Wappensteine,
in ben Innern Fjof, ben Woos unb Blumenwasen beckt.
Efeu umhängt bie Diel geschartete Brüstung,
bis zur höchsten 3inne spann er sich auf.
Dort schau ich hinab.
Weithin, nom hell glitzernben Fluß geteilt,
prangt sctjwellenb bas frohe sanb.
Drüben, auf oieltäligen. lieblich gebreiteten Rebenhügeln
ragen auf Felsen aus Büschen unb hohen Bäumen
graue Türme unb Erker stattlicher Burgen.
Bunt belebt ist bes Stromes schiffetragenbe
breite Straße. Rn seinen Ufern bie beiben Stäbtcßen
wimmeln unb rauchen unb grüßen sich-
Rn ihren Dächern Dorbei über Brückenbogen
bonnem bie Eisenzüge. —
- - Tief ba unten wanbclt umher ber ßerr Pfarrer
im scßmucksten Sarten; im Schatten bes Rebenlaubgangs,
oor reichbetjangnen Spalieren, oor hübscßen Blumenrabatten
bleibt er manchmal stehen.
Bm Bbenb, wenn in ber kühlen Dunkelbämmerung
im fjafen bie leßten Baker rasseln,
erhebt sich bas weithin tönenbe sieb in ben Bergen
unb weckt aus ben Felsen, klar unb ruhig
fünffältiges Echo. —
Eine Woche noch, Bachbar,
bann feiern bie Kinber bas Schulfest,
unb im Dergißmeinnicht=Tälchen
um bie Wette sollen ste laufen unb ringen.
Bis bann noch, unb wir stecken früh nachts hier am User
bie mächtigen Reiserhaufen in Branb,
unb bie Jungen tanzen barum.
Dann scheinen bie fjäuser, bie Bäume wie rot nor Freube,
bie Böller krachen, Raketen pfeifen, unb welch ein särm;
unb fjeine, ber Schneiber,
unb Salles, ber Felljub,
unb Tünn, ber bicke 6erber mit bem eisernen Kreuz
erzählen jebem bie große Eesctjichte non Seban.
* Wir können uns nicht nersagen, um ihrer seinen Canbscßaft willen in biesem 3usammenhang noch einmal bie Derse non
Bifons Paquet einzufügen, bie wir im Bonemberhest 1901 zuerst neröfsentlichten. Die Reb.
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und kurzes Aufbrausen kam immer näher.
Einzelne Schollen zeigten sich, weiss, mit
wässerigem Schnee bedeckt, lang und eckig, wie
mit Messern abgeschnitten, in den sonderbarsten
Umrissen, gross wie kleine Stadtplätze. Sie trugen
ganze Berge von kleinen Schollen auf sich und
trieben majestätisch in dem Wirrwar der tausen-
den kleinen dahin. Immer neue Schollen, die vor
ihnen daherssüchteten, nahmen sie, wie ein Teller
sich darunter schiebend, auf sich, oder drückten
sie mit ihrem mächtigen Gewicht unter sich ins
Wasser und liessen sie hinter sich wieder auf-
steigen. Wie schleppentragende Dienerinnen
hingen die Kleinen sich dann an den Saum der
Königin an.
Das Rheineis kam!
Der kleinen schwarzen Schollen wurden
immer weniger, der riesigen weissen immer
mehr. Das helle Klingen war von dem dumpfen,
riesenhaften Hallen längst verschluckt worden.
Der ganze Strom geriet in Aufregung — ein
unablässiges, ungeheures Treiben, keine Sekunde
ein Stillstand, ein immer und immer Sichver-
ändern, ein einziger hastender, verzweifelter,
knirschender, schreiender Kampf. Ein Drauflos-
stürmen und Sichwehren, ein Aufbäumen, ein
Bersten und Zertrümmern überall, ein wütendes
Kämpfen einzelner und ganzer Massen. Das
waren keine Stücke erstarrten Wassers mehr,
das waren beseelte Wesen, die von einem über-
mächtigen Schicksal dahingetrieben wurden, die
miteinander rangen um einen Platz an der Ober-
ssäche, die sich nachjagten, sich ersehnend und
sich hassend, die sich packten, festbissen und
würgten, die sangen und jauchzten, die müde
wurden, verzweifelten und starben.
Und den Menschen am Ufer teilte sich die
Aufregung dieses Lebens zu ihren Füssen mit.
Sie sahen auf den wandernden Strom hinaus,
wie in ihr eigenes Leben. Schweigend, atem-
los, in einem unerklärlichen Grauen standen sie
da, dicke, schwarze Scharen, von dem gelben,
immer tiefer sich auf ihre Schultern herab-
senkenden Abend eingehüllt. Nur selten ssog ein
Scherzwort auf, das keinen Widerhall fand.
Die Nacht kam schnell. Der Strom ging mit
seinem Weiss in den Schnee des ssachen, end-
los ansteigenden andern Ufers über, ohne dass
noch eine Grenze zu sehen war. Wie die Riesen-
finger im Schnee Begrabener starrten noch die
einsamen Fabrikschlote drüben schwarz aus dem
Weiss heraus. Die sieben Berge oben hatten sich
schon in den dicken, dunklen Himmel aufgelöst.
Rm Rhein/
sange Schatten werfen bie Pappeln über ben grünen
Abhang summenber Wiesen; ben hoben Wegranb
säumen bunkle Brombeergebüsche; an ben Wilbrosensträüchern
glänzen bie roten fjagebutten. mit oollen Wipfeln
brausen bie Cinben an ber Burgwanb. —
Durch bie Pforte trat ich unb sctjntt über ben weiten Rasenhof
über bes büschegefüllten Erabens Brücke
an ben Derliesen oorbei, burch zerfallene Sänge
burch öbe Säle, wo berstcnb grinsen bie Wappensteine,
in ben Innern Fjof, ben Woos unb Blumenwasen beckt.
Efeu umhängt bie Diel geschartete Brüstung,
bis zur höchsten 3inne spann er sich auf.
Dort schau ich hinab.
Weithin, nom hell glitzernben Fluß geteilt,
prangt sctjwellenb bas frohe sanb.
Drüben, auf oieltäligen. lieblich gebreiteten Rebenhügeln
ragen auf Felsen aus Büschen unb hohen Bäumen
graue Türme unb Erker stattlicher Burgen.
Bunt belebt ist bes Stromes schiffetragenbe
breite Straße. Rn seinen Ufern bie beiben Stäbtcßen
wimmeln unb rauchen unb grüßen sich-
Rn ihren Dächern Dorbei über Brückenbogen
bonnem bie Eisenzüge. —
- - Tief ba unten wanbclt umher ber ßerr Pfarrer
im scßmucksten Sarten; im Schatten bes Rebenlaubgangs,
oor reichbetjangnen Spalieren, oor hübscßen Blumenrabatten
bleibt er manchmal stehen.
Bm Bbenb, wenn in ber kühlen Dunkelbämmerung
im fjafen bie leßten Baker rasseln,
erhebt sich bas weithin tönenbe sieb in ben Bergen
unb weckt aus ben Felsen, klar unb ruhig
fünffältiges Echo. —
Eine Woche noch, Bachbar,
bann feiern bie Kinber bas Schulfest,
unb im Dergißmeinnicht=Tälchen
um bie Wette sollen ste laufen unb ringen.
Bis bann noch, unb wir stecken früh nachts hier am User
bie mächtigen Reiserhaufen in Branb,
unb bie Jungen tanzen barum.
Dann scheinen bie fjäuser, bie Bäume wie rot nor Freube,
bie Böller krachen, Raketen pfeifen, unb welch ein särm;
unb fjeine, ber Schneiber,
unb Salles, ber Felljub,
unb Tünn, ber bicke 6erber mit bem eisernen Kreuz
erzählen jebem bie große Eesctjichte non Seban.
* Wir können uns nicht nersagen, um ihrer seinen Canbscßaft willen in biesem 3usammenhang noch einmal bie Derse non
Bifons Paquet einzufügen, bie wir im Bonemberhest 1901 zuerst neröfsentlichten. Die Reb.
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