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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

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Heft 8
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Wygodzinski, Willy: Über künstlerische Kultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.45537#0112

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Th. Schüz.
Studie zu den „Abendglocken“.
Über künstlerische Kultur.
Am 14. März d. J. las Hugo v. Hosfmannsthal
zu Bonn auf Einladung der „Dramatischen Ge-
sellschaft“ einige seiner Dichtungen vor, das
Vorspiel zum „Tod des Tizian“, ein paar Ge-
dichte, den ersten Akt des unveröffentlichten
Schauspiels „Das Bergwerk von Falun“. Es
begab sich dabei etwas Ungewöhnliches; ein
Teil des Publikums verliess während der Vor-
lesung — nicht etwa in den Pausen — mehr
oder minder demonstrativ den Saal, und der
Kritiker der gelesensten Bonner Tageszeitung
erklärte am nächsten Tage den Beifall Anders-
denkender für den Ausdruck reiner Höflichkeit.
Setzen wir der Kontrastwirkung halber hinzu,
dass, als vor einigen Wochen Max Halbe seine
„Frau Meseck“ vorlas, das gleiche Publikum in
einmütiger Begeisterung dem Vorleser seine Auf-
merksamkeit durch ermüdende pausenlose andert-
halb Stunden schenkte.
Wer Hoffmannsthal und wer Halbe als Dichter
sind, weiss man: Halbe ein frisches Talent, dessen
„Jugend“ grosse Hoffnungen erweckte, die bis
jetzt nicht ganz erfüllt worden sind, kräftig, ein-
fache Probleme einfach, etwas formlos behan-

delnd ; Hoffmannsthal eine der vornehmsten,
reinsten und in ihrem Können harmonischsten
Begabungen nicht nur der Gegenwart. Dem ent-
sprach, was sie an diesen Abenden gaben. Halbe
versuchte, ein tägliches Schicksal von Alltags-
menschen in grosszügiger Freskomalerei zu schil-
dern und blieb leider, während der Charakter
der Hauptperson einen Bruch in der Mitte seiner
Entwicklung zeigt, in naturalistischer interesse-
loser Detailmalerei stecken; Hoffmannsthal stieg
in die Tiefe des Menschenherzens und zeigte
uns dort Bilder von einer sanftverschleierten
Glut der Farben, von einer unendlichen Rein-
heit der Zeichnung, von »einer stillen Grösse der
Empfindung, wie sie in unserer unruhigen Zeit
nur wenigen gegeben ist.
Endlich der Unterschied im Vortrag: Halbe
liest gut, eindringlich, unterstreicht die Pointen,
Hoffmannsthal ssieht jede äussere Wirkung, liest
ganz schlicht, aber mit höchster Beseelung
des Vortrages, nuanciert bis in die leisesten
Fasern der Empfindung; Halbe teilt die Dichtung
mit, Hoffmannsthal macht sie lebendig.
Es würde sich nicht lohnen, auf die Frage
näher einzugehen, wenn hier ein einzelner Fall
vorläge; man könnte sagen, dass hier vielleicht
ein Zufall, eine unglückliche Stimmung an dem
Abend schuld war. Aber so ist es nicht. Dass
im Theater die albernsten Possen auch in Bonn
den grössten Beifall finden, will auch nicht viel
sagen; bedenklicher ist schon, wenn von den
ernst zu nehmenden Stücken dieses Winters
die „Tote Stadt“ d’Annunzios den aufrichtigsten
Beifall fand. Dabei kann man sich immer noch
mit der berühmten „breiten Masse“ decken,
welche das Theaterpublikum bildet. Aber das
Publikum der „Dramatischen Gesellschaft“ ist
die Auslese der Musenstadt, zum mindesten die-
jenigen, welche die regste Teilnahme an künst-
lerischen Genüssen öffentlich bekunden; wenn
aber Ludwig Fulda von seiner Nippesware das
Allergleichgültigste präsentiert, ist helle Freude;
wenn d’Annunzios „Gioconda“ vorgetragen wird,
wächst die Freude zur Begeisterung über dieses
Schauer drama, und wenn jemand aus Maupassants
Novellen gerade das blutrünstigste Stück aus-
wählt, das den feinen Künstler nicht einmal
ahnen lässt, erhebt sich dagegen keine Stimme
des Widerspruchs. Kaum anders steht es mit
dem Verhältnis zur bildenden Kunst. Man sieht
sich wohl die hübschen Ausstellungen an, welche
die Dramatische Gesellschaft erfreulicherweise
seit einiger Zeit veranstaltet; aber die Drama-
tische Gesellschaft wie der beteiligte Kunst-
händler klagen nach wie vor, dass in dieser
reichsten Stadt Deutschlands Kunstwerke nicht
gekauft werden. Es sei hier davon abgesehen,
dass auch aus anderen rheinischen Städten ge-
klagt wird, die Musik und der Karneval — oder
der Karneval und die Musik — verdrängten
jedes andere Interesse; es genüge als Ausgangs-

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