allen Formen des Maßwerks noch ein gewisses
Gefühl für architektonische Gesetzmäßigkeit; und
auch vor den ungeschlachten Dimensionen, zu
denen man sich in andern Gegenden öfter ver-
leitet sah, bewahrte sich die westfälische Bau-
kunst.
Dagegen brachte der im Menschen nimmer
rastende bildnerische Trieb, da er durch die Un-
gunst des Materials und vielleicht auch durch den
Sinn des Volkes sich von der Ausschmückung
der großen Werke ausgeschlossen sah, eine
Menge kleinerer Schöpfungen in Stein und Holz,
als Lettner, Chorschranken, Tabernakel und Altar-
schreine hervor, die an Reichtum der Erfindung
und Zierlichkeit der Ausführung oft von erster
Schönheit sind. Von jenen filigranartig durch-
brochenen Pyramiden, die neben den Altären
als Tabernakel fungierten, habe ich in West-
falen sechzig gefunden, darunter Werke erster
Größe und Schönheit. Von holzgeschnitzten
Altären sind mir vierunddreißig bekannt gewor-
den, großenteils von vorzüglicher Arbeit. Nur
das Sauerland kennt diese Kunstwerke nicht.
Die Profan-Architektur schloß sich den Formen
des Steinbaues an, die sie in der auch ander-
wärts gebräuchlichen Weise für ihre Zwecke um-
zugestalten wußte. Von mittelalterlicher Holz-
architektur ist in Westfalen dagegen nichts er-
halten. Wahrscheinlich machte diese Art des
Baues in gotischer Zeit allgemein dem Stein-
baue Platz. Daß die Architektur Westfalens bis
in die zweite Hälfte des XVI. Jahrhunderts noch
den Prinzipien mittelalterlicher Kunst treu blieb,
wurde schon erwähnt. Wir haben auch darin
das zähe Festhalten am Gegebenen, historisch
Überlieferten zu erkennen.
Kreuzgang am Dom zu Paderborn.
Aufnahme Baurat Ludorsf.
Die westfälische Dialektdichtung.
Von Ludwig Schröder, Iserlohn.
In seinem ausgezeichneten Werke über die
Soester Mundart hat der Kieler Professor Dr.
Ferdinand Holthausen schon nachdrücklich be-
tont, daß es keine festen Dialektgrenzen gibt,
sondern nur stets ineinandergreifende Kreise von
besonderen lautlichen, formellen oder lexika-
lischen Erscheinungen. Und selbst in diesem
so begrenzten Gebiete ist die angenommene
Gleichheit und Einheit nur eine ideelle, weil
jedes Dorf, jeder Stand, jedes Alter, ja schließ-
lich jede einzelne Person ihren spezifischen
Sprachtypus aufweist. Gutes und reines Platt-
deutsch hört man immer seltener. Durch die
Schule, das Militär, die Industrie und den Eisen-
bahnverkehr dringt das Hochdeutsche immer
mächtiger ein und wird die Sprache der Väter
in nicht allzuferner Zeit sicher verdrängt haben.
Viele Kinder lernen gar nicht mehr oder nur
höchst mangelhaft niederdeutsch reden, viele
Leute verstehen wohl Platt, sprechen es aber
selbst niemals. Bei den meisten ist die alte
Muttersprache einer ganz unverdienten Verach-
tung verfallen. Landleute, die daheim auf ihren
Höfen und Kämpen noch unverfälscht die er-
erbte Zunge reden, wollen hochdeutsch ange-
redet sein und antworten auch so, wenn sie in
der Stadt verkehren; in den Städten wird nur
noch von den unteren Ständen plattdeutsch ge-
sprochen. Trotz alledem ist die Zahl der Dichter,
die sich fast ausschließlich der plattdeutschen
Sprache bedienen, noch verhältnismäßig groß,
und einigen unter ihnen hat auch der äußere
Erfolg nicht gefehlt. Die Dichter haben eben
herausgefühlt, daß der alten niedersächsischen
Sprache große Vorzüge eigen sind, unter denen
der in erster Linie steht, daß sie die Eigentüm-
lichkeit des niedersächsischen Volkes tresfend
ausprägt. Ihre Laute sind treuherzig, kraftvoll,
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Gefühl für architektonische Gesetzmäßigkeit; und
auch vor den ungeschlachten Dimensionen, zu
denen man sich in andern Gegenden öfter ver-
leitet sah, bewahrte sich die westfälische Bau-
kunst.
Dagegen brachte der im Menschen nimmer
rastende bildnerische Trieb, da er durch die Un-
gunst des Materials und vielleicht auch durch den
Sinn des Volkes sich von der Ausschmückung
der großen Werke ausgeschlossen sah, eine
Menge kleinerer Schöpfungen in Stein und Holz,
als Lettner, Chorschranken, Tabernakel und Altar-
schreine hervor, die an Reichtum der Erfindung
und Zierlichkeit der Ausführung oft von erster
Schönheit sind. Von jenen filigranartig durch-
brochenen Pyramiden, die neben den Altären
als Tabernakel fungierten, habe ich in West-
falen sechzig gefunden, darunter Werke erster
Größe und Schönheit. Von holzgeschnitzten
Altären sind mir vierunddreißig bekannt gewor-
den, großenteils von vorzüglicher Arbeit. Nur
das Sauerland kennt diese Kunstwerke nicht.
Die Profan-Architektur schloß sich den Formen
des Steinbaues an, die sie in der auch ander-
wärts gebräuchlichen Weise für ihre Zwecke um-
zugestalten wußte. Von mittelalterlicher Holz-
architektur ist in Westfalen dagegen nichts er-
halten. Wahrscheinlich machte diese Art des
Baues in gotischer Zeit allgemein dem Stein-
baue Platz. Daß die Architektur Westfalens bis
in die zweite Hälfte des XVI. Jahrhunderts noch
den Prinzipien mittelalterlicher Kunst treu blieb,
wurde schon erwähnt. Wir haben auch darin
das zähe Festhalten am Gegebenen, historisch
Überlieferten zu erkennen.
Kreuzgang am Dom zu Paderborn.
Aufnahme Baurat Ludorsf.
Die westfälische Dialektdichtung.
Von Ludwig Schröder, Iserlohn.
In seinem ausgezeichneten Werke über die
Soester Mundart hat der Kieler Professor Dr.
Ferdinand Holthausen schon nachdrücklich be-
tont, daß es keine festen Dialektgrenzen gibt,
sondern nur stets ineinandergreifende Kreise von
besonderen lautlichen, formellen oder lexika-
lischen Erscheinungen. Und selbst in diesem
so begrenzten Gebiete ist die angenommene
Gleichheit und Einheit nur eine ideelle, weil
jedes Dorf, jeder Stand, jedes Alter, ja schließ-
lich jede einzelne Person ihren spezifischen
Sprachtypus aufweist. Gutes und reines Platt-
deutsch hört man immer seltener. Durch die
Schule, das Militär, die Industrie und den Eisen-
bahnverkehr dringt das Hochdeutsche immer
mächtiger ein und wird die Sprache der Väter
in nicht allzuferner Zeit sicher verdrängt haben.
Viele Kinder lernen gar nicht mehr oder nur
höchst mangelhaft niederdeutsch reden, viele
Leute verstehen wohl Platt, sprechen es aber
selbst niemals. Bei den meisten ist die alte
Muttersprache einer ganz unverdienten Verach-
tung verfallen. Landleute, die daheim auf ihren
Höfen und Kämpen noch unverfälscht die er-
erbte Zunge reden, wollen hochdeutsch ange-
redet sein und antworten auch so, wenn sie in
der Stadt verkehren; in den Städten wird nur
noch von den unteren Ständen plattdeutsch ge-
sprochen. Trotz alledem ist die Zahl der Dichter,
die sich fast ausschließlich der plattdeutschen
Sprache bedienen, noch verhältnismäßig groß,
und einigen unter ihnen hat auch der äußere
Erfolg nicht gefehlt. Die Dichter haben eben
herausgefühlt, daß der alten niedersächsischen
Sprache große Vorzüge eigen sind, unter denen
der in erster Linie steht, daß sie die Eigentüm-
lichkeit des niedersächsischen Volkes tresfend
ausprägt. Ihre Laute sind treuherzig, kraftvoll,
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