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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

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Sonderheft
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Annette von Droste
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https://doi.org/10.11588/diglit.45537#0299

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Rüschhaus, Wohnhaus der Annette von Droste-Hülshoff.
Nach einer Zeichnung von August Schlüter.
Aus den ausgewählten Dichtungen (Gütersloh, C. Bertelsmann).

Annette von Droste.
Eine Auswahl aus ihren Gedichten mit einer
Charakteristik der Dichterin, herausgegeben
von Wilhelm von Scholz. Buchschmuck
von Robert Engels. Verlegt bei Eugen
Diederichs, Leipzig 1901.
Man nennt Annette von Droste gern die
größte deutsche Dichterin; aber obwohl wir in
einer Zeit leben, wo den Frauen alle möglichen
Fähigkeiten eifrigst zugesprochen werden, denkt
kaum einer dabei, sie in Vergleich zu unseren
größten Dichtern zu stellen — und das eben ist
es, was wir müßten. Auf ihr ruht nicht die
Weiterentwicklung des Geisteslebens wie auf
Goethe, aber sie ist maßgebend für die Dicht-
kunst nach ihr; nicht in jenen Dingen, von
denen wir so gern sprechen, in der Art der
Weltanschauung, im Kreis des Gefühls oder in
der Wahl des Stoffes: sondern in der Form,
also im eigentlichen der Kunst. Mehr als jeder
andere ist sie die Mutter der modernen deutschen
Lyrik. Während wir Goethes Klang überall,
wo wir ihn bei Modernen spüren, auch mit
einem deutlichen Mißbehagen begleiten, müssen
wir mit Staunen finden, daß vieles, was wir in
modernen Dichtungen als eigene Kühnheit emp-
finden, nur ein Erbe der Droste ist. So finden
wir für das Schönste und Glänzendste in Lilien-
crons Poggfred-Kantussen Vorklänge über Vor-
klänge in der Annette, und zwar nicht nur als
Andeutung, sondern glattweg als Vollendung.
Man lese daraufhin einmal: „Die Krähen“ oder
„Ein Sommertagstraum“ oder „Die Mergelgrube“
oder „Die Stubenburschen“.
Von dieser Lebendigkeit der Droste spricht
Wilhelm von Scholz sehr schön in seinem Vor-

wort, nur hätte er das unglückliche — wenn
auch richtige — Wort von der Impressionistin
wohl besser vermieden. Wir haben sür dieses
Kampfwort einen Begriff sozusagen im Instinkt,
der sich mit dem Wesen und der Kunstart der
Annette doch nicht deckt. Jedenfalls hat ihn
diese Modernität der Dichterin bewogen, nach
dem trefflichen Vorbild des Hartlebenschen
Goethe-Breviers auch eine Droste-Auswahl zu
geben, die nur ihre lebendigen Dinge enthielte.
Diese Auswahl ist ihm gelungen. Mir ist kein
Gedicht aufgefallen, das ich hätte ausmerzen
mögen. Nur ein Dichter kann solche Arbeit
leisten; denn nur in ihm ist die Kunst lebendig,
also noch der Wissenschaft unzugänglich, nur
er kann es wagen, aus dem Gewirr von Ge-
storbenem das Lebendige herauszuholen.
Das Arbeitsamste an dem Buch sind die An-
merkungen zu den einzelnen Gedichten. Scholz
hätte sich nicht scheuen sollen, dem Beispiel
Hartlebens in seinem Goethe-Brevier folgend,
die Notizen gleichsam als Kopfleiste über den
Gedichten herlaufen zu lassen. Es ist ein köst-
licher Weg, solchen Bemerkungen auch Wirkung
zu geben.
Robert Engels hat einige zum Teil nicht glück-
liche Vollbilder in Schwarzdruck gezeichnet,
aber für die Schrift eine Umrahmung geschaffen,
die, violett gedruckt, zu der braunschwarzen
Schrift auf dem gerippten Büttenpapier ein Satz-
bild gibt von ganz modernem und doch intimem
Reiz. Einzig allein das große Format ist dieser
Ausgabe hinderlich, daß sie ein rechtes Haus-
buch werde; denn im übrigen fangen wir an,
einen Widerwillen vor jenen nach schlechter
Druckfarbe riechenden holzpapierenen Klassikern
zu bekommen.

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