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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

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Annette von Droste
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Am Strande.
Es ist noch leer am Strand. Die Sonne giesst
Ihr junges Licht aus sprühnden Opferschalen;
Wie ein Geheimnis ruht das graue Meer,
Und um die Felsen zucken rote Strahlen.
Zwei Möwen zerrn sich um ein Stücklein Brot
Im Ufersand. Die ersten Fischerweiber —
Dann ein paar Rangen, nackt und jugendtoll;
Und ties im Dorf das Schrein der Eseltreiber.
Ein grosser Segler streift den Horizont,
Und lärmend grüssen ihn die wilden Knaben.
Woher . . wohin? — Es schwindet seine Spur!
Im Leinwandzelte hock ich traumvergraben. —
Und eine Lenznacht geht durch meinen Sinn:
— Wir sitzen wieder heimlichfroh beisammen,
Durch deine Locken ssiesst der goldne Mond,
Die Augen glühn wie stille blaue Flammen. —
Und ringsumher kein Hauch; nur ab und zu
Die langen Gräser um den Nachen streifen;
Dann hebst du traumhaft deinen schlanken Arm:
„O, lass mich einmal in die Fluten greifen —
Die weisse Wasserrose blüht so schön . .
Und lautlos treibt dahin der dunkle Nachen-
Ich seh den Heimathimmel über uns
Und lausche wieder deinem Kinderlachen.
Theodor Herold, Düsseldorf.
Im Mai.
Wohin ich schaue, nichts als goldig Glänzen,
In heller Sonne liegt der Wiesengrund,
Die Blütenzweige drängen sich zu Kränzen,
Und unter jedem lacht ein Mädchenmund.
Des Kirschbaums Frühlingsssocken fallen nieder,
Vom Traum der Maiennacht erzählt der Bach,
Die blaue Luft ist voller Lerchenlieder,
Und selbst der kleinste Junge singt sie nach.
Und tief in mir, es ist kein Jugendschwärmen,
Und doch ist’s junge, lenzesgrüne Lust;
Zu neuem Lied die Seele zu erwärmen,
Schmiegt sich mein treues Weib an meine Brust.
Ein blondes Mädchen trippelt in das Zimmer,
Die Wanduhr tickt: das alte Einerlei,
Ich seh es heut in goldnem Sonnenschimmer
Und gehe jauchzend in den jungen Mai.
Karl Hülter, Düsseldorf.
Meine Heimat.
Aus tausend Schloten steigt ein dicker Rauch.
Der wälzt sich langsam durch die Lüfte her,
Dann sinkt er nieder dicht und schwarz und schwer
Und brütet dumpf auf Haus und Baum und Strauch.
Es lauert rings ein grosses, schwarzes Sterben,
Und alle Blätter sind so welk und grau,
Als funkelte hier nie ein Tropfen Tau.
Kein Frühling will die Strassen bunter färben.
O, wüsstet ihr, wie ich in meinen Träumen
Oft weinend rief nach einem Stückchen Wald,
Nach ein paar frischen, wipfelstolzen Bäumen,
Durch die des Sturmes helles Singen hallt,
Wie mir die Blume, die am Strassenrande
Nur schwarzbestaubt und mühsam aufgeblüht,
War wie der Gruss aus einem Märchenlande,
Wie sie mit Glück und Sonne mich durchsprüht. —
Ihr wisst es nicht, ihr könnt es nimmer wissen,
Und nimmer fühlen könnt ihr all das Leid,
Das mir die ganze Jugend hat zerrissen,
Das mich durchbebt so lange, lange Zeit — —
Nur Rauch, nur Qualm, der sich voll träger Ruh
Aus taus nd Schloten wälzt in schwarzer Masse —
Wie ich dich hasse, meine Heimat du!
Wie ich seit Kindertagen schon dich hasse!
Philipp Witkop, Gelsenkirchen.

BÜCHER.
Julius Petri.
Als seine Freunde am 20. November 1894 den sechsund-
zwanzigjährigen Westfalen in Berlin begruben, da hielt Erich
Schmidt ihm die Grabrede und er gab auch im Paetelschen
Verlag seinen Nachlass unter dem Titel „Rote Erde“ als
Buch heraus. Das gibt dem Kenner unserer Literaturverhält-
nisse schon ein Bild des Dichters: das Deutsche Rundschau-
hafte an ihm, hinwiederum das Gebildete, Feine, Talentvolle,
jedenfalls aber Ungeniale; denn dafür sind die Forscher nicht
da, dergleichen an Lebendigen zu erkennen. Und so ist Petri
in der Tat: nirgend bizarr, toll oder ringend, wo Kämpfe
in ihm sind, gehen sie gegen Kapläne, nirgend bitter oder
höhnisch, nichts, das ihn aus dem Innern heraus gefährden
könnte; vielmehr tüchtig und blond. Und das ist am be-
denklichsten: trotzdem er westfälische Stoffe behandelt, wirkt
er völlig unwestfälisch, international-protestantisch, gebildet-
germanisch. Wenn Peter Hille seinen Petrarca schreibt, ist
das ein westfälisches Stück, bei Petri schwindet selbst aus
dem westfälischen Lebensbild „Der neue Bauer“ jegliche
Landschast. Der einzige Unterschied bei ihm ist, ob die
Dinge künstlerisch gelungen sind oder nicht. Die Skizze
„Mutterlohn“ ist ihm am einfachsten und tiefsten gelungen,
sie enthält auch am meisten Heimatsgeist. Und weil wir
gar nicht überreich sind an solchen völlig gerundeten Prosa-
skizzen und weil inmitten unserer Unterhaltungs-Literatur
Erzählungsbücher von künstlerischer Haltung nicht gerade
häufig sind, kann die „Rote Erde“ wohl mit redlichem Willen
als ein Buch empfohlen werden, das jedem Genuss bereitet,
der sür den Genuss an künstlerischer Erzählung reif ist.
S.
 
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