Domschenke in Minden.
Westfälische Baukunst.
(Aus Wilhelm Lübke: „Die mittelalterliche Kunst in Westfalen. Leipzig, T. O. Weigel, 1853.“)
Vergleicht man die Gestalt und Lage West-
falens mit der seiner für die Kunstbetrachtung
wichtigsten Nachbarländer, des Rheingebiets
und Niedersachsens, so springt ein aufsallender
Gegensatz in die Augen. Das erstere besitzt
an seinem mächtigen Strom eine Hauptpulsader
des Lebens, die schon früh die Verbindung mit
dem Norden und Süden vermittelte, lebhaften
Handelsverkehr erzeugte, einen vielfachen Ideen-
umtausch begünstigte. Dazu kam von Anfang
an die innige Verbindung mit dem Frankenreiche,
seiner Kultur, seinen Einrichtungen, seiner Kunst;
später die Grenznachbarschaft mit Flandern und
Nordfrankreich, den beiden Hauptherden der
Kunstentwicklung, mit welchen stets ein reger
Wechselverkehr stattfand. Endlich erhob schon
früh das uralte Köln sich zum Brennpunkt des
geistigen und materiellen Lebens am Nieder-
rhein und wurde in der Folge kraft seines Reich-
tums und seiner Kunstblüte der tonangebende
Mittelpunkt für das weite Gebiet.
In Niedersachsen dagegen, wo allerdings ein
solcher Vorort nicht erstand, gruppierte sich
doch die Entwicklung um einen geographischen
Punkt. Wie nämlich vom Harz aus das Land
nach allen Seiten terrassenartig sich abdacht,
so bot es auch der Entfaltung eines höheren
Lebens, zumal der Kunst ein zusammenhängen-
des Terrain dar, während zugleich die Elbe einen
regen Verkehr mit anderen Gebieten, wenn auch
nicht mit so künstlerisch hervorragenden, wie
die, auf welche der Rhein hinwies, vermittelte.
Ganz anders Westfalen. Hier gab es keinen
länderverbindenden Strom; denn die Weser, die
nach Osten die Grenze bildet, war hier für
Schiffahrt und Handelsverkehr unbedeutend; kein
geschichtlich bevorzugter Hauptort kam zu einer
solchen Stellung, daß er ein Mittelpunkt des ge-
samten geistigen Lebens geworden wäre; selbst
die geographische Gestaltung des Landes ver-
hinderte ein solches Centralisieren, begünstigte
vielmehr, ja bedingte sogar die Sonderung des
weiten Gebietes in viele Einzelgruppen. Die
Flußtäler seiner Hauptströme durchschneiden
das Land in ganzer Breite und weisen auf den
Rhein hin, von woher denn auch die erste Kul-
tur und das Christentum den Bewohnern zuge-
tragen wurde. Der Haardtrücken trennt den
südlichen gebirgigen Teil, das Sauerland, von
dem nördlich gelegenen Flachlande, und selbst
dieses wird wieder durch den Teutoburger Wald,
der in langer Diagonale von der unteren Ems
zur mittleren Weser streicht, von den nordöst-
lichen Distrikten geschieden. Diese Zerrissen-
heit erstreckt sich sogar auf die geognostische
Gliederung des Landes, so daß kaum ein anderer
Teil Deutschlands sich hierin mit Westfalen
messen kann.
Denselben Grundzug erkennen wir im Cha-
rakter der Bewohner. Jeder einzelne findet in
der Isolierung von den übrigen die sicherste
Garantie für seine Unabhängigkeit und Selb-
ständigkeit. Jene uraltgermanische Scheu vor
dem Zusammenwohnen in gemeinsamen Nieder-
lassungen ist nirgends so stark ausgeprägt, wie
in Westfalen. Ja, bis auf den heutigen Tag
trifft man in dem Teile des Landes, der am
ungetrübtesten seine Eigentümlichkeiten bewahrt
hat, im Münsterlande, die alte Anlage der ver-
einzelten Gehöfte überall an; von tiefen Gräben
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