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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

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Lübke, Wilhelm: Westfälische Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.45537#0266

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und dichten Wallhecken umzogen grenzen sich die Besitzungen
voneinander ab; eine Menge solcher Höfe wird unter dem
Namen einer Bauerschaft zusammengefaßt. Ihnen gegenüber
ist die Zahl der Dörfer und Städte gering. Überall also ein
starkes Betonen des Individuellen, das eine Menge selbstän-
diger Richtungen nebeneinander erzeugt, während es dem
Aufkommen einer fest geschlossenen, streng dominierenden
Schule, wie wir sie anderwärts finden, hemmend entgegen-
steht. So tritt uns der Charakter des Volkes und des Landes
als Prototyp deutschen Wesens entgegen; ja nirgends vielleicht
erscheint dieses in so scharfer Ausprägung, wie gerade hier.
Daher spiegeln sich denn auch in Westfalens Kunst die Eigen-
tümlichkeiten deutscher Nationalität mit all ihren Vorzügen
und Nachteilen. Besonders wird dies erkannt, wenn man
einen vergleichenden Blick auf die Bewohner des Rheinufers
wirst. Dort der bewegliche, nach außen gewandte, äußerst
empfängliche Geist, in leichter Aufwallung schnell für ein
Neues, Fremdes gewonnen, dieses sodann mit glänzender Be-
gabung ergreifend und ins Leben hineinbildend. Hier der
schwerfälligere, dem Fremden abholde, nach innen gekehrte,
in eigenem Wesen stark, tief, selbst hartnäckig wurzelnde
Sinn, der minder leicht sich für ein ihm Zugetragenes be-
geistert, deshalb minder Glänzendes und Großes vollführt, im
kleinen dagegen auf seinen eigentümlichen Bahnen eine Welt
mannigfaltig bewegten Lebens schafft. Und wie es meistens
der Fall zu sein pssegt, daß entschiedene Gegensätze hart an-
einander gedrängt sind, so schiebt sich Westfalen mit seiner
ureigentümlichen deutschen Physiognomie unmittelbar an die
rheinischen Gaue, die von Anfang an Vertreter fränkischer
Sitte und Charakterbildung waren, und wohl mag dieser nah
liegende Kontrast jene Selbständigkeit zu einer gewissen Schroff-
heit entwickelt haben.
Je mehr aber der Sinn eines Volkes nach innen gerichtet
ist, desto weniger wird er in seinen Äußerungen zu Über-
treibungen hinneigen, desto mehr im Gegenteil eine besonnene,
mehr nüchterne, in allem bescheidene und maßhaltende Rich-
tung einschlagen. Wenn dies im allgemeinen schon von
Deutschland im Gegensatz zu anderen Nationen gilt; wenn
namentlich die Werke altdeutscher Kunst weit entfernt sind
von der zierlichen Pracht der italienischen, dem ritterlichen
Glanz der französischen, der fast wunderlich grotesken Phan-
tastik der englischen: so gilt dies wiederum am meisten
vielleicht von der westsälischen Kunst. Mäßig und bescheiden
in allem, weiß sie weniger durch jene sremden Eigenschaften
weithin zu blenden, als vielmehr durch originelle Konzep-
tionen, durch den schlichten Zauber größerer Innerlichkeit
den näher Forschenden zu fesseln. Daher in der Architektur
ein Festhalten am romanischen Stil, der namentlich in der
Übergangszeit sich in lebendigster Weise nicht nur mannig-
faltig und eigentümlich gestaltet, sondern sogar eine wesent-
liche Umwandlung erfahren muß, die später den gotischen Stil
zu einem ganz andern umschafft, als sein westliches Mutter-
land ihn gebar; daher eine srühzeitige, hohe Ausbildung der
Malerei, die hier eine so lange Entwicklungsreihe durchmacht,
wie kaum anderswo in gleich bedeutsamer Weise; daher
selbst eine Unterordnung der Skulptur unter die malerischen
Gesetze, die schon in romanischer Epoche zu einem Streben
nach seelenhaftem, innerlichem Ausdruck, nach dramatischer
Bewegung und Leidenschaft hintreibt; daher endlich im all-
gemeinen ein Verzögern in dem ganzen Kunstgange dieser
Provinz, die hinter den günstiger gelegenen Westländern um

Domturm, Paderborn.
Aufnahme A. Köppelmann, Paderborn.

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