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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

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Heft 8
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[Berichte / Mitteilungen]
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Mutter Landstrasse.
Die „Freie literarische Vereinigung“ zu Düsseldorf
gibt in jedem Frühjahr drei Aufführungen dramatischer
Dichtungen. Meist sind es jene Stücke, denen sich das
Interesse der literarischen Welt längst zugewandt hat,
die aber aus irgendwelchen Gründen im Stadttheater
nicht gespielt werden. Manchmal läuft die Uraufführung
eines unbekannten Werkes mit unter und von diesen
verdient bisher keins eine so eindringliche und allgemeine
Beachtung wie die „Mutter Landstraße“ des Rheinländers
Wilhe 1 m Schmidt. Nicht weil das Drama sonderlichen
Eindruck gemacht hätte, dafür war die Darstellung zu
minderwertig, sondern weil darin endlich wieder eine
echt dramatische Begabung ihren ersten sichern Schritt tut.
Wilhelm Schmidt ist durch seine „Uferleute“ als
Erzähler rasch bekannt geworden, obwohl er — wenigstens
in diesem der Viebig ziemlich nachgeschriebenen Buch —
gar kein Erzähler, sondern ein heißköpfiger Schilderer ist,
dem manchmal so starke Landschaftsbilder wie der hier
abgedruckte (Aprilheft 1903) „Eisgang“ gelingen, der aber
in epischen Dingen nicht über ein Stammeln hinaus-
kommt. Ich würde seine „Geschichten vom unteren
Rhein“ — so lautet der Untertitel des Buches (Verlag
F. Fontane & Co.) — ziemlich geärgert beiseite gelegt
haben, wenn ich nicht lange vorher aus seiner im Selbst-
verläge gedruckten (jetzt ebenfalls bei Fontane erschienenen)
„Mutter Landstraße“ die große und eigene Begabung
meines rheinischen Landsmannes gekannt hätte. Ich
rate allen Lesern der „Uferleute“, sich das schmale
dramatische Bändchen zu verschasfen, namentlich aber
täten die Hörer der trübseligen Aufführung gut daran.
Ich will versuchen, die dramatischen Vorzüge dieser
Dichtung anzudeuten: Sie beginnt mit einem ziemlich
verfehlten Akt, dessen Art ich lyrisch-dekorativ nennen
möchte, und schließt in einer kläglichen Wirrnis. Da-
zwischen aber folgen zwei Akte in einer dramatischen
Gangart, wie sie nur den Meistern der hohen Schule
eigen ist; nicht etwa in der glänzenden Wortkunst der
„Leidenschaft“ meines anderen rheinischen Landsmanns
Eulenberg, vielmehr unbeholfen im einzelnen Ausdruck
und nur durch den lyrischen Drang äußerlich wirksam,
zwingen sie in den Kampf zwischen Vater und Sohn
hinein, daß wir rasch aus Zuschauern zu Mitkämpfern
werden. Weil die einzelnen Gänge des Kampfes, dieses
Auf und Ab zwischen Hoffnung und Furcht, in einer
Sicherheit gegeben wird, die für ein Jugendwerk selten
und in der modernen Dramatik kaum zu finden ist. In
dem Drama eines gereiften Mannes müßten wir eine
solche Sicherheit als die Wirkung künstlerischer Selbst-
zucht bewundern, hier in dem ungestümen Werk des
Jünglings geben sie die Gewähr eines urtümlich drama-
tischen Talents; zumal wir auch nicht einen Augenblick
zweifeln, daß persönliche Erlebnisse und Leiden des
Dichters sich entladen.
Jemand hat diese beiden Akte mit dem Wagnerschen
Tristan verglichen und damit die zähe Kraft, mit der
hier ein Motiv nicht ausgesponnen, sondern entwickelt
wird, sehr glücklich angedeutet. So offenbart sich der
eigentliche Dramatiker: er faßt nicht den Reichtum der
Erscheinungen romanhaft zusammen, sondern drängt in
ein Schicksal, eine Entwicklung den Reichtum seiner
Seele hinein. Gerade diesen dramatischen Gang hatte
die Regie nicht erfaßt und so spielten uns die Schau-
spieler eine Reihe von Rührseligkeiten vor.
Am Schluß des Dramas sind dem Dichter die Hände
erlahmt, er konnte die letzte Krönung nicht aufsetzen,
das Drama nicht schließen. Wenn ihm das gelungen
wäre, stände ein Meisterwerk der dramatischen Literatur
vor uns, aber wir haben wahrhaftig Grund, auch schon
an einem so prachtvollen Fragment froh zu werden. S.
Die Berliner Sezession.
Am 5. April eröffnete diese Künstler-Vereinigung ihre
VII. Ausstellung. Einen Monat früher wie in den Vor-

jahren fiel der Termin, da man die Ausstellung um drei
ganze Monate eher schließen will. Es hat dies seinen
Grund darin, daß man regelmäßige Winter-Ausstellungen
der zeichnenden Künste abzuhalten gedenkt, und deren
Beginn dem Schluß der vorgehenden sonst allzubald folgen
würde. — Der erste Vorsitzende der Vereinigung, Professor
Max Liebermann, sprach wie üblich ein paar Einleitungs-
worte, deren Wesen hinreichend durch die Art dieses
Mannes gekennzeichnet ist, und als sich die Geladenen
durch die Räume verteilten, glaubte man sich bald einig
zu sein, die Ausstellung übertreffe an Qualität ihre Vor-
gängerinnen. Eine junge Dame von Adel sagte: „Die
Ausstellung ist herzlos aber schneidig.“ — Der diesjäh-
rigen Veranstaltung ging bekanntlich ein unerquicklicher
Zwist mit München voraus. Ich glaube, man geht mit der
Annahme nicht fehl, daß gewisse Parteilichkeiten sich aus
keiner Seite im Ausstellungswesen vermeiden lassen, und
man wird sich erinnern, daß dieselben Klagen, die heute
von München gen Berlin erschallen, vor einem Jahrzehnt
von manch anderem gegen München gerichtet wurden.
Das behagte den Isar-Männern freilich mehr. Es liegt im
Wesen aller Kulturentwicklung, daß einer nur im Augen-
blick die Tete einnehmen kann, und warum sollten wir
zur Zeit diesen angenehmen Vorzug nicht den Berlinern
gönnen, wird doch auch von ihnen eine notwendige Kunst-
bereicherung nicht ausbleiben, die dem im Augenblick
etwas kalt Gestellten doch auch in erster Linie am Herzen
liegen sollte, meinetwegen neben dem nicht ohne Schaden-
freude im Erwerbsleben süßen Trost, daß auch dort not-
wendig eine Baisse folgen muß. Und dies ist das Un-
erquicklichste an jedem Künstlerstreit; aber wie selten
sind jene, denen jener Aspekt fremd ist, man wird sie
wie Diogenes am hellen Tage mit der Laterne suchen
müssen. Vielleicht, daß neben wenigen anderen einem
Thoma und Steinhausen solche Regungen den klaren Blick
nicht trübten. In der Kunst sollte ja in erster Linie die
Begabung entscheidend sein, und von diesem Standpunkt
aus scheint der Vorwurf gegen München auf den ersten
Blick ungerecht, denn es steckt dort noch recht viel Be-
gabung. Ein anderer Standpunkt aber lehrt uns, daß die
schönsten Begabungen durch einen allzu einseitigen Korps-
geist in eine Sackgasse geraten können. Und dies scheint
auch dem gänzlich unparteiischen Betrachter an Münchens
augenblicklicher Lage nichts wegzudisputieren. Der Geist
des alternden Lenbach und müden Stuck ist nicht mehr
zum Führergeist berufen. Daß man in München selbst
weiß, wie es um diese Dinge steht, erhellt nichts klarer,
wie der Ton, mit dem man den Vorwurf abwehrt. Videant
consules.
Die Meinung, die Ausstellung der Sezession übertreffe
ihre Vorgängerinnen, kann ich nicht teilen. Man hat, um
die Scharte, die der Streit mit München schlug, auszu-
wetzen, möglichst streng jurieren zu müssen geglaubt,
wovon die Folge, daß zwar weniger Bilder auf den Wänden
hängen, jedoch durchaus nicht bessere. Dieses ruhige,
vornehme Arrangement trug nicht wenig zum günstigen
Eindruck der Ausstellung bei, indem auf diese Weise die
von einem ziemlich einheitlichen Standpunkt gewählten
Werke unbehindert zur Wirkung gelangten. Dabei ist die
Anordnung nicht etwa mit fremden Prunkstücken durch-
schossen, vielmehr sind die Gruppen möglichst gesondert,
sodaß das Wesen jeder aus sich selbst wirkt und leicht
an dem der andern gemessen werden kann. Und bei
diesem ehrlichen Wettstreit kommt Berlin nicht zu kurz.
— Den stärksten Eindruck der Ausstellung erhalten wir
gleich im Eintrittssaal vom Lebenswerke eines großen
Toten: Giovanni Segantinis Triptychon übt eine geradezu
erhaben seierliche Weihe. Diese Werke sind neben denen
Böcklins die größte Naturoffenbarung des letzten Jahr-
hunderts, freilich ganz anderer Art, mit ganz anderen
Mitteln erreicht. Ich kann mich hier leider nicht in eine
eingehende Charakteristik dieses großen Künstlers ein-
lassen, so verführerisch die Gelegenheit auch wäre, zumal
bei Keller & Reiner noch eine umfangreiche Kollektion
zu sehen ist, ich werde mich demnächst in einer Sonder-
arbeit mit ihm auseinandersetzen. Auf eins nur möchte

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