Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

DOI Heft:
Heft 10
DOI Artikel:
's Sunntigskind
DOI Artikel:
Aus Lyrikbüchern Schweizer Dichter
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.45537#0229

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
„Das isch vor hundert Johr scho ko,*
Und hitten isch’s, und ’s blybt eso:
So lang e Herz no blieje ka,
So lang e Gmiet will Fride ha,
So lang ’s e Mensch in d’Rueh verlangt,
So lang men uf der Sunntig blangt,
So lang e Strahl vom Himmel lacht,
So lang ich d’Liebi glicklig macht . . .
So lang wird ’s Hebels Lied ich lehre,
Im Lebe ’s Sunntigsglick z’vermehre.'

Hebels „Alemannische Gedichte*

— Drum, Sunntig, bisch so guet und lieb,
Drum macht di hit kai Wilkli trieb!
Und wär au ’s Wetter dusse grau,
De Herzen isch der Himmel blau;
Voll Sunnegold und Friehligsduft
Isch hitten unsri Lebesluft:
E jedes gspyrt’s, und ’s blybt au wohr;
Drum wird no iber hundert Johr
Sich ’s Menscheherz am zähte Maie
An unserm Sunntigskind ko fraie.
Albert Geßler.

sind 1803 erschienen, das diesjährige Hebelfest war also auch ein Jubiläum.

Aus Lyrikbüchern Schweizer Dichter.

Der Pförtner.
Im Alpenland liegt ein verlornes Tal.
Zersprengte Rudel grauer Blöcke lagern
An Trümmergürteln tiefgerissner Runsen
Und in dem Magergras der Haldenstürze.
Der Saumpfad zwängt sich durchs Geröll empor
Und ssüchtet unter schwarze Felsenstaufen.
Dort schliesst das Tal ein schmaler Marmortempel,
Auf leichten Säulen schwebt der weisse Giebel,
Und fensterlos streckt sich die ernste Wand.
Zu Schattenkammern führt ein offnes Tor.
Entschlummert lehnt der Pförtner an dem Pfosten,
Das müde Kinn zur Brust herabgesunken.
Auf seinen weichgeschwungnen Brauen träumt
Der leise Dämmer sanfter Traurigkeit.
Im dürftgen Grase liegt der Hüterstab.
Adolf Frey.
Nacht am Rheinfall.
Zornig die Gewässer stürzen
Nieder von dem Felsenstrande,
Und die grünen Nixen schürzen
Kreischend ihre Schaumgewande.
Wildes Wirbeln, Toben, Drängen
In des Strombetts kluftgen Engen,
Eine Welle schlingt der andern
Weg den Raum zum Weiterwandern;
Durch das Tosen, Zischen, Brausen
Donnert des Geschickes Grausen;
Kaum geboren, wird zunichte,
Was empor sich rang zum Lichte.
Aus der Schmiede, nah dem Strande,
Schallt zum lauten Wogenbrande
Schwerer Hämmer dumpfer Schlag,
Und aus glühnden Fensteraugen
Glotzt es wie ein lauernd Schicksal.
Schwarze Männer dorten schmieden,
Was der Erdenwelt beschieden:
Eisen, das die Härte zwingt
Und das weiche Herz durchdringt,
Das den Frieden sucht hienieden.
Prasselnd aus den russgen Essen,
Mit dem Qualme düsterrot,
Steigen ssüchtge Funkengarben —
Sterne, die im Werden starben —
Auf zu Bäumen, unvermessen,
Wo die ewge Flamme loht.
Kaum entssohn der Stromesschnelle,
Rinnt beruhigt Well an Welle
Unter seliger Sterne Schreiten.
Und der Mond, der stille, bleiche,
Sieht aus seinem Totenreiche,
Vor des Lebens Trug gefeit,
Träumerisch die Welle gleiten
In das Meer Unendlichkeit.
Arnold Ott.

Vaterwunsch.
Nur noch eine kleine Strecke
Möcht ich mit den Kindern gehn,
Hand in Hand aus kühlem Tale
Zu den lichten, warmen Höhn.
Lange noch in mildem Glanze
Liegt dort eine schöne Welt,
Fernhin sühren goldne Strassen,
Von dem Abendschein erhellt.
Tochter, sieh, es ssiegt dein Krieger
Siegbekränzt dort auf dich zu;
Sohn, geh hin und werd ein Sieger
Mit des Geistes Waffen du!
Nur noch eine kleine Weile
Folg ich dann dem jungen Glück;
Kehre, seinen Glanz im Auge,
Gern ins dunkle Tal zurück.
Ad. Vögtlin.
Pan, der Richter.*
Pan, der schöne Götterjüngling, steigt herab die Welt zu
richten,
Nymphen küssen ihm die Lippen, ehe sie das Urteil dichten.
Brünstig beten Tier und Menschen vor dem strengen
Göttersohne,
Tod bedeutet seine Strafe, Hochzeit spendet er zum Lohne.
Sieh, da nahn erhobnen Hauptes die Gerechten und die
Weisen,
Bringen dar Verdienst und Werke, ihre Tugend zu beweisen.
Doch der heilge Knabe spottet: „Was ist Weisheit? Was ist
Tugend ?
Schönheit ist das Ziel der Erde, und der Wert des Lebens
Jugend.
Alle Sünden sind erlässlich im Gesetzbuch der Natur
Dem, der in Gestalt und Antlitz trägt der Gottheit edle Spur.
Aber wenn der Quell nicht ssutet, der den Spruch des Lebens
spricht,
Wenn der Mut nicht übermutet, diese Schuld vergeb ich
nicht.“
Sprach’s und winkte seinem Schergen Thanatos, dem Welten-
henker,
Überliefert’ ihm zum Tode das verwelkte Volk der Denker.
Führte dann zum Born die Knaben und die Mägdlein zu den
Rosen,
Lehrte sie das süsse Urteil: Liebeslust und Kuss und Kosen.
Karl Spitteier.
* Aus: Balladen von Karl Spitteier, Albert Müllers Verlag, Zürich 1896.

411
 
Annotationen