Heinrich Deiters.
Landschast an der Werse.
Wanderung in Westfalen.
gr-ilN Westfalen, sagt Heinrich Heine, ist
nicht alles tot, was begraben ist. Es
ist dort ein geheimnisvolles Gewebe
j von Sage, Geschichte und älterem
_SU Mythus erhalten geblieben, das sich
über die Höhen spinnt und ein Netz über die
Fluren breitet und immer wieder wie ein Nebel
aus den Schluchten der Bergwälder hervortritt.
Ist das zu verwundern in einem Lande, wo
hinter vergessenen Jahrhunderten noch die großen
Heldenkämpfe Germaniens gegen die römischen
Heere aus der Vorzeit herüberschimmern, wo
das Volk in stetem Ringen gegen die, lippe-
aufwärts dringenden, Heere Roms und der
Franken schließlich dem großen Karl und dem
Christentum unterliegen mußte? Aus solcher
dunklen Zeit hat sich noch so manches in der
Phantasie des Volkes erhalten, das sonst so
praktisch mit dem Leben sich zu stellen gewußt
hat. Trotz dieser gemeinsamen und geheimnis-
vollen Erinnerungen aus der Vorzeit sind aber
die Stämme untereinander verschieden in ihrer
Art geblieben. Und das liegt an den verschie-
denen Regierungen und Verwaltungsformen der
einzelnen Länder, in welche das gesamte West-
falenland sich schied. Von drei geistlichen Fürsten-
tümern, Minden, Münster und Paderborn, bewahr-
ten die zwei letzten ihren konservativ-geistlichen
Charakter bis zur Wende des 18. Jahrhunderts.
Das Herzogtum Westfalen, obgleich im Besitze
des geistlichen Kurfürstentums Köln, hatte eine
mehr weltliche Regierung. Dazwischen schiebt
sich, vom Anfang des 17. Jahrhunderts an, die
Macht Brandenburgs durch die Ererbung der
srüher zum Herzogtum Kleve-Berg gekommenen
alten Grafschaften von Ravensberg und von der
Mark bezw. Altena. Der brandenburgische Ein-
ssuß ist in seiner Verbindung mit dem Besitze
des rechts- und linksrheinischen Kleve srühzeitig
zu erkennen durch die Ausbreitung von Handel
und Industrie, die in den geistlichen Fürsten-
tümern zurückblieb. Die eigenartigsten Teile des
Landes, die ihren Charakter am ausgiebigsten
bewahrt haben, sind der nördlichste und süd-
lichste, das ssache Münsterland und das Herzog-
tum Westfalen, das Süder- oder Sauerland. Das
Münsterland lehnt sich im Westen an das Herzog-
tum Kleve, das Süderland trennt die Wasser-
scheide von dem Lande der Sieg und der Agger.
Aus dem Quellgebiete, von wo diese beiden dem
Rheine zueilen, ssießen auf der andern Seite
nach Osten die Bigge und die Olpe der Lenne
zu. Ein dichter stattlicher Wald bekrönt nicht
nur die Höhen, sondern steigt herab in die tief
eingeschnittenen Täler. Roms Heere haben diese
Gegend gewiß nie betreten. Dazu war der Wald
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