Adolf Schönnenbeck
ein westsälischer Maler.
Böcklin hatte das Recht, Leibi einen denk-
faulen Kerl zu schelten, ebenso, wie man Leibi
einräumen müßte, Böcklins Malereien „lackiertes
Blech“ zu nennen. Das malende Genie gegen
den genialen Maler. Der eine, der seinen inneren
Anschauungen zuliebe sich mit aller Malerei
Überwerfen muß, bis er trotz ihr langsam und
schwer zu seinem Ausdruck kommt, der wohl
selbständigste Malerei aber nicht eigentlich male-
risch ist, der Mann, der gar kein Maler, sondern,
wie Ibsen der Dramatiker ironisch sagt, ein
Dichter ist. Der andere, der an Dingen und
Bildern rasch malen lernt, der nie revoltiert, nur
feiner und überschars in seinen Sinnen wird, der
Maler aus Passion, wie einer Kartenspieler oder
Markensammler ist. Es gibt da noch einen dritten:
Whistler, den Dekorateur, den Genüßling seines
eigenen Geschmacks. Die Böcklins haben Kul-
tur der Seele, die Whistler Kultur des Geistes,
die Leibi brauchen beides nicht, sie sind Be-
gabungen des Auges und der Hand.
Derart ist Schönnenbeck, der Bauernjunge
aus Stenkenberg bei Halver in Westfalen. Er
brauchte kraft seiner Begabung nichts, als die
notwendigen handwerklichen Fingerzeige. Nach-
dem er die aus der Akademie zu Düsseldorf
geholt hatte, dann überssüssigerweise durch ein
Stipendium sür ein Jahr nach Italien geschickt
worden war, ging er wieder zurück zu seinen
Bauern, saß da viele Jahre malend und zeich-
nend unter ihnen, und nur in jedem Frühjahr
erschien zur Ausstellung des Kunstvereins sür
Rheinland und Westfalen ein Bild von ihm, das
meist schwärzlich und glatt wie Ofenlack war,
— ein bissiger Freund von ihm sagte einmal,
dieser Bauer sei so geizig, daß er an der Farbe
spare und nur darum gegen sein Temperament
dünn male.
Wertvoll aber und verblüffend war die Zeich-
nung, die Beobachtung und echt künstlerische
Leidenschaft, die man daraus spürte: wie kann
man das machen? Diese Handbewegung in dem
huschenden Licht? Diesen Ausdruck der einen
Sekunde? Übung macht solche Meister. Man
sagt von dem späten Leibi, wenn er eine Hand
zu malen hatte, so brauchte er auch einen Bauern,
der diese Hand vor ihn hinlegte auf den Pfosten,
tagaus, tagein, bis sie mit jeder Ader richtig
abgemalt auf seiner Leinwand stand.
So hat Schönnenbeck, der gewiß nicht viel
von Leibi gesehen hat und kaum etwas von
seiner Art und seinem Leben weiß, wie ein
Raubvogel zwischen seinen Bauermenschen da
oben gelauert, bis er vieles wußte, Eigentümlich-
keiten der Bewegung, der Kleidung, Mißbildungen
der Nase, Wellungen des Haares, spielendes
Licht im Schatten. Dadurch wurde, was er in
den Jahren malte, so etwas wie eine Natur-
geschichte dieser Leute: zwischen diesen weni-
gen Bewegungen und Ausdrücken, in diesen
engen Stuben und unter dem ssackernden Lampen-
licht hängt der Wechsel von Not zu Lustigkeit,
der ihr Dasein, ihr ganz besonderes Dasein, da
oben an der Grenze zwischen Mark und Berg
ausmacht. Einem Fremden mögen die Menschen
z. B. auf der abgebildeten Zeichnung mit den
Kartenspielern Bauern sein wie alle andern, wer
aber Menschen aus jener Gegend kennt, der
möchte jeden einzelnen mit Namen nennen. In-
sofern, nicht weil er selber besondere Charakter-
züge des Westfalen zeigt, noch weil er mit Ab-
sicht etwas von den Westfalen in seinen Bildern
aussagen wollte: sondern weil er zwischen diesen
Adolf Schönnenbeck.
Studie.
438
ein westsälischer Maler.
Böcklin hatte das Recht, Leibi einen denk-
faulen Kerl zu schelten, ebenso, wie man Leibi
einräumen müßte, Böcklins Malereien „lackiertes
Blech“ zu nennen. Das malende Genie gegen
den genialen Maler. Der eine, der seinen inneren
Anschauungen zuliebe sich mit aller Malerei
Überwerfen muß, bis er trotz ihr langsam und
schwer zu seinem Ausdruck kommt, der wohl
selbständigste Malerei aber nicht eigentlich male-
risch ist, der Mann, der gar kein Maler, sondern,
wie Ibsen der Dramatiker ironisch sagt, ein
Dichter ist. Der andere, der an Dingen und
Bildern rasch malen lernt, der nie revoltiert, nur
feiner und überschars in seinen Sinnen wird, der
Maler aus Passion, wie einer Kartenspieler oder
Markensammler ist. Es gibt da noch einen dritten:
Whistler, den Dekorateur, den Genüßling seines
eigenen Geschmacks. Die Böcklins haben Kul-
tur der Seele, die Whistler Kultur des Geistes,
die Leibi brauchen beides nicht, sie sind Be-
gabungen des Auges und der Hand.
Derart ist Schönnenbeck, der Bauernjunge
aus Stenkenberg bei Halver in Westfalen. Er
brauchte kraft seiner Begabung nichts, als die
notwendigen handwerklichen Fingerzeige. Nach-
dem er die aus der Akademie zu Düsseldorf
geholt hatte, dann überssüssigerweise durch ein
Stipendium sür ein Jahr nach Italien geschickt
worden war, ging er wieder zurück zu seinen
Bauern, saß da viele Jahre malend und zeich-
nend unter ihnen, und nur in jedem Frühjahr
erschien zur Ausstellung des Kunstvereins sür
Rheinland und Westfalen ein Bild von ihm, das
meist schwärzlich und glatt wie Ofenlack war,
— ein bissiger Freund von ihm sagte einmal,
dieser Bauer sei so geizig, daß er an der Farbe
spare und nur darum gegen sein Temperament
dünn male.
Wertvoll aber und verblüffend war die Zeich-
nung, die Beobachtung und echt künstlerische
Leidenschaft, die man daraus spürte: wie kann
man das machen? Diese Handbewegung in dem
huschenden Licht? Diesen Ausdruck der einen
Sekunde? Übung macht solche Meister. Man
sagt von dem späten Leibi, wenn er eine Hand
zu malen hatte, so brauchte er auch einen Bauern,
der diese Hand vor ihn hinlegte auf den Pfosten,
tagaus, tagein, bis sie mit jeder Ader richtig
abgemalt auf seiner Leinwand stand.
So hat Schönnenbeck, der gewiß nicht viel
von Leibi gesehen hat und kaum etwas von
seiner Art und seinem Leben weiß, wie ein
Raubvogel zwischen seinen Bauermenschen da
oben gelauert, bis er vieles wußte, Eigentümlich-
keiten der Bewegung, der Kleidung, Mißbildungen
der Nase, Wellungen des Haares, spielendes
Licht im Schatten. Dadurch wurde, was er in
den Jahren malte, so etwas wie eine Natur-
geschichte dieser Leute: zwischen diesen weni-
gen Bewegungen und Ausdrücken, in diesen
engen Stuben und unter dem ssackernden Lampen-
licht hängt der Wechsel von Not zu Lustigkeit,
der ihr Dasein, ihr ganz besonderes Dasein, da
oben an der Grenze zwischen Mark und Berg
ausmacht. Einem Fremden mögen die Menschen
z. B. auf der abgebildeten Zeichnung mit den
Kartenspielern Bauern sein wie alle andern, wer
aber Menschen aus jener Gegend kennt, der
möchte jeden einzelnen mit Namen nennen. In-
sofern, nicht weil er selber besondere Charakter-
züge des Westfalen zeigt, noch weil er mit Ab-
sicht etwas von den Westfalen in seinen Bildern
aussagen wollte: sondern weil er zwischen diesen
Adolf Schönnenbeck.
Studie.
438