A. v. Wille.
Turm in Rüdesheim.
den Tag nicht, so mag dann der, den die Sache
angeht, ausser dem Rheingaue ziehen und dazu
kriegen, rauben, brennen, und wie er sich wehren
mag, so lange, bis dass ihm sein volles Recht
wird“ (sin volle geschieht). Also es gab ein
Fehderecht für gewisse Fälle, ein Recht der
Selbstwehr im Rheingau, wie das Weistum über
das Mainzer Marschallamt aus dem 14. oder
15. Jahrhundert bekundet. Und ein anderes Weis-
tum, das Eltviller vom Jahre 1383, das ausser
den Verfassungsrechten des Rheingaues das
Kriminalrecht enthält, belehrt uns über die Frevel,
gegen die man mit den härtesten Strafen vor-
zugehen für nötig fand: der Mörder soll zum
Rad verurteilt werden, der Dieb zum Galgen,
der Fälscher zum Kessel, „in dar inne zu sieden“,
den Notzüchter aber verurteilte man zum Pfahl,
„ihm den durch den Buch zu slahen“, und den
Verräter soll man vierteilen . . . ., den Räuber
aber soll man richten mit dem Schwert, oder
wie es das Gericht mit dem Gerichtsamtmann
beschliesst.
Wir sehen, allzu zärtlich gings damals im
Rheingau noch nicht zu. Man wehrte sich um
Recht und Gut. Wohl war der Erzbischof von
Mainz nun auch weltlicher Landesherr geworden
hier, und das alte Rheingrafenamt, das die welt-
liche Verwaltung und Ordnung umschloss, war
an ihn übergegangen, aber aus der alten Zeit
der Markgenossenschaft und Markverfassung
ragte noch manch stolzer Pfeiler in die neu
werdende Zeit der fürstlichen Territorialität her-
ein, und Bauer, Bürger und Ritter wussten noch,
was ihres Rechtes war, und hielten fest daran.
Die Sonne leuchtete. Und sie leuchtete auch
über diese Zeit, die so mannhaft und wehrhaft
bei ihrem Rechte stand. Man muss nach der Seite
des Kunstschaffens blicken, um zu erkennen,
welch helle Blüten aus diesem klotzig gefügten
sozialen Unterbau schon emporzuspriessen be-
gannen. Aus dem 13., 14. und 15. Jahrhundert
stammen die meisten der Prachtbauten des
Klosters Eberbach, das Konversenhaus, die Klau-
sur, das Hospital, aus dieser Zeit die Um- und
Neubauten der Kirchen zu Eltville, Rüdesheim,
Lorch, Geisenheim und nicht zu vergessen die
Bauten in Kiedrich, die Pfarrkirche, die wunder-
volle Michaelskapelle; aus jener Zeit stammen
die Bildwerke zu Lorch und Eltville und die
Golgathagruppe zu Kiedrich, aus jener Zeit die
Altäre von Lorch, die Sakramentshäuschen zu
Lorch und Kiedrich, die Chorgestühle u. s. w.
Das blühte empor aus echt deutschem, mann-
haft frommem Sinn; Altar um Altar wird den
Kirchen gestiftet und mit dem Altar die irdische
Notwendigkeit für den neuen Geistlichen, der
ihn bedienen soll. 17 Altäre gab es im 15. Jahr-
hundert in Lorch z. B., und in die zwanzig Geist-
liche zur Bedienung dieser Altäre. Für die Be-
wirtung und Bekleidung der Armen ssiessen die
Legate sort. Und nicht selten steigt die fromme
Gesinnung schon empor zu jenen höchsten
Spitzen mystischer Sehnsucht und Weltentsagung,
wie wir sie bei dem Herrn zu Vollraths, einem
Friedrich von Greiffenklau, im 15. Jahrhundert
erkennen. Die Gattin starb ihm, die Töchter
waren verheiratet, da überliess er seinen Söhnen
sein Erbe und begab sich auf die Reise. Zuerst
noch mit grossem herrschaftlichem Gefolge, aber
in Como sandte er es nach Hause. Von einem
Diener begleitet kam er nach Jerusalem. In den
Franziskanerorden einzutreten war sein Wunsch.
In Jerusalem verwirklichte er sich noch nicht.
Dann aber im Kloster Taxa bei Ragusa an der
dalmatinischen Küste trat er als Laienbruder ein.
Seinen Söhnen teilte er 1456 seinen Entschluss
mit und begründete ihn: „Denn es gibt hernach
ein ewig Leben; besser ist mit Vorsicht von der
Welt geschieden, als am letzten Ende vielleicht
mit Unvorsichtigkeit.“ Und er ermahnt seine
Kinder: „Seht, dass ihr den armen Leuten gnädig
und freundlich seid und euren Untertanen, und
haltet und suchet den Frieden und folget ihm,
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