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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

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Heft 9
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Hauser, Otto: Die holländische Lyrik unserer Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.45537#0141

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dischen Wesens bedingte, dass die neue Be-
wegung ihrer Hauptrichtung nach eine lyrische
war und blieb. Man hat sich zwar gewöhnt,
die Holländer als das prosaischste, erznüchternste
Volk der Erde zu betrachten, aber wen es noch
nicht die seelenvollen, warmen Augen auf Rem-
brandts Bildern, die sanften Landschaften eines
Jakob Ruisdael, die zarten Blumenstücke eines
van Huysum gelehrt haben, der wird aus den
Dichtungen der jüngsten Zeit, die ja erst der
holländischen Seele ihre Stimme gab, deutlich
ersehen, dass diese Seele in der Tat eine lyrische
ist. Ihr kräftiger Wirklichkeitssinn anderseits,
der sich einst in gewaltigen Handelsunterneh-
mungen kundgab, hat sie vor dem zerssossenen
Lyrismus bewahrt, der eben heute so manchen
als einzige Lyrik gilt, während er doch nur ihr
-ismus ist.
Am Beginne der grossen lyrischen Bewegung
von 1880 bis 1890 — denn diese Zeit umfasst
sie in ihrem höchsten Wellenschläge — steht
Jacques Perk (185g—1881), einer jener früh dahin-
gegangenen Dichter, von denen die Nachwelt
eine grosse Zukunft erträumen zu dürfen glaubt,
vieles, vieles, was hätte werden können und
was traurig stimmt, weil es nicht ward. Sie
liebt sie darum zärtlicher als jene, die ihre
Träume erfüllten, und so gab ihnen, was ihnen
die Zeit an Ruhm geraubt, der frühe Tod an
Liebe unter den Menschen. In Perks Gedichten,
die zuletzt Willem Kloos mit hie und da ange-
brachten Retouchen herausgegeben hat, findet
sich neben stark beeinssussten Stücken, die das
Studium fremder, namentlich deutscher Lyriker
verraten, schon ganz Vollendetes. Seine Sonette
inaugurieren eine Sonettendichtung in den Nieder-
landen, die jener italienischen der Frührenaissance
und jener der Engländer zu Shakespeares Zeit
an Bedeutung nicht nachsteht. Ein Feind aller
konventionellen Wendungen, suchte Perk immer
den treffendsten Ausdruck zu finden, mochte er
auch im Anfänge etwas befremden. So wenn
er einen regnerischen Himmel schildert:
Die Wölbung, deren rote Gluten blenden,
Ist rauh von starren Kerben grau und blass —
Die weinen, weinen ohne Unterlass,
Weinen bis hunderttausend Jahre enden . . .
Aus Versen wie diesen erkennt man in Perk
den Vorläufer des Impressionismus. Seine Natur-

Willem C. Brouwer, Leiderdorp.
Irdene Gefässe.
Schilderungen sind die ersten in Holland, die
in voller Stärke das innige Naturgefühl aus-
sprechen, das vielleicht nirgends mächtiger ist
als dort, wo ein grauvioletter Himmel sich endlos
über endlose rotbraune Heide dehnt, das leuch-
tendste Frühlingsblau auf die buntesten Tulpen-
gärten herniederlachen kann und ein Meer mit
all seinem Wechsel von Sturm und Ruhe ewig
bedrohlich nahe ist. Und ebenso sprach er in
seinen Mathilde-Sonetten zum erstenmal in
Holland wieder die Sprache der Liebe. Nicht
dass man keine Liebesgedichte gemacht hätte, —
nein, mehr als zu viel —, aber die „Bürgerlich-
keit der Masse“, wie sich ein Kritiker ausdrückt,
hätte zu grossen Anstoss genommen an einer
Erotik, die nicht in den altväterlichen Schranken
blieb, so dass sich geringere Dichter willig in
sie einzwängen liessen, ohne vielleicht je ihren
Zwang zu fühlen. Diese Schranken völlig brechen
sollte aber erst eine Dichterin, die nach Perk
kam: Helene Swarth (geb. 1859). Wie jener
vom Deutschen, kam sie vom Französischen,
ja sie hatte sogar — zwar in Holland geboren,
doch in Brüssel sranzösisch erzogen — anfangs
französisch gedichtet, bis sie Pol de Mont, der
Enthusiast für das Niederdeutsche und selbst
unter den Vlamen einer der hervorragendsten
Dichter, für ihre Muttersprache zurückgewann.
Pol de Mont verwies sie auf die deutsche Lyrik,
von der man einige Spuren in ihren Gedichten
findet; die reine, feingeschliffene Form aber hat sie
von den Parnassianern, denen sie als französische
Dichterin gefolgt war, und die niederländische
Poesie aller Zeiten kennt keine vollendeteren
Verse, als wie Helene Swarth sie schreibt.
Jedoch nicht darin liegt ihr Vorzug, sondern in
der Fülle von Empfindung, die ihre Worte ganz
von Wärme glühen macht, so dass sie nicht
mehr tote Lettern, sondern Tropfen ihres Herzens-
blutes scheinen. Dies war Rossettis Forderung.
Sie berührt sich auch noch weiter mit ihm:
wie er, Maler und Dichter zugleich, gestaltet
auch sie ihre bildlichen Worte zu wahren Bildern
und dies verleiht ihren Gedichten einen noch
grösseren, gewiss augenfälligeren Reiz. Wie Perk
bedient sich auch Helene Swarth mit Vorliebe
der Form des Sonettes. Am ergreifendsten
jedoch sind jene schlichten Lieder und Gedichte,
in denen sie erzählt, wie Stolz und Liebe in

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