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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

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Heft 9
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Hermanns, Heinrich: Niederländische Kunst: Betrachtungen eines niederdeutschen Malers
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https://doi.org/10.11588/diglit.45537#0152

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George H. Breitner, Amsterdam.
Japanisches Mädchen. Ölgemälde.
der zeichnerischen und der malerischen Qualitäten
wird wohl stets fortbestehen. Jedoch glaube
ich, dass sich das Übergewicht wohl zu Gunsten
der letzteren verschieben wird, da doch schon
unsere Erziehungsmethode eine andere geworden
ist, als vor Jahren. Begann früher das Kind
seinen Unterricht mit der Übung eines einzelnen
Buchstabens, so wird es jetzt mitten in den An-
schauungsunterricht hineinversetzt, es lernt so-
fort Begriffe. Und ebenso wie ein akademischer
Lehrgang jetzt glücklich den Beginn des Unter-
richts mit einem sogenannten Einteilungskopf
aufgegeben hat, so werden auch hierbei grosse
Wandlungen vor sich gehen und andere Er-
gebnisse uns zeitigen.
Zurückgreifend auf meine eingangs aufgestellte
Behauptung, dass gerade einem kleineren, unab-
hängigen Volke ein Aufblühen einer nationalen
Kunst viel leichter wird, finden wir bei unserem
Nachbarn, dem Holländer, bestätigt. Die grosse
ruhmreiche Tradition dieses Landes mit ihren
festgelegten, unwandelbaren Werten in ihren
Kunstschöpfungen, müssen notwendig Jahrhun-
derte nachklingen. Während hier in Deutsch-

land Kämpfe um die Wahrheit allein
richtig anzuerkennender Anschauun-
gen toben, — Kämpfe, welche in Wirk-
lichkeit auf kleinliche Sektenstreitig-
keiten hinauslaufen, wobei die ehr-
liche Liebe und Inbrunst zur Kunst,
welche uns alle umfassen sollte, ver-
gessen werden —, hält man dort in
konservativer Gesinnung an den festen
Normen eines historisch geläuterten
Geschmacks fest. Schon der breit und
behäbig angelegte Charakter des Nie-
derländers lässt ein stürmisches Wech-
seln der Gesinnung mit ihren Folge-
rungen nicht zu. Die Wandlungen,
durch die unsere Kunst in letzten
Jahrzehnten durchgepeitscht wurde,
sind dort nicht möglich und denkbar.
Gerade wie seine Kunst selbst der
Ausssuss eines vollen und gesunden
Charakters ist, so ist auch die ange-
wandte Kunst, wenn auch entschieden
fortschrittlicher als jene, ebenso ein
Produkt dieses Geistes: ohne Übertrei-
bung bietet sie uns stabile, sichere
Formen, die, wenn auch auf der ur-
wüchsigen Kraft seines kolonialen
Tochterlandes fussend, uns den mo-
dernen Gedanken voll und bewusst zum
Ausdruck bringen.
Diese niederländische Kunst musste
eben auf die benachbarte niederdeut-
sche Kunststadt Düsseldorf unbedingt
ihren Einssuss ausüben. Nach den
Zeiten einer öden klassizistischen
Kunst, von der selbst Holland nicht verschont
blieb, mussten doch wieder die Nationaltugenden
dieses Landes zum Durchbruch kommen und
durch die eigene satte Kraft neue Blüten treiben.
Und so strömte auch von dort der erfrischende
Hauch einer vollen Brise nach Düsseldorf her-
über, der in seinen Wirkungen bis auf den
heutigen Tag sich nachfühlen lässt. Und so ist
es fast selbstverständlich, dass der niederdeutsche
Maler, vor allem der Landschafter, gerade dorthin
pilgert, wo er das in höherem Masse findet,
was er in seiner Heimat schon schätzt und
liebt: die weiche malerische Wirkung einer
feuchten Atmosphäre auf eine in ihren Lokal-
farben satte Landschaft, wodurch alles zu einem
feingestimmten Klang vereinigt wird. Aus diesen
Gründen ist gerade die Düsseldorfer Landschafts-
malerei mit der Kunst des ssachen Landes in
Verbindung getreten und hierzu ist streng ge-
nommen nicht allein Holland, sondern auch
Belgien zu zählen. Wenn auch beide Lande
politisch getrennt, so haben sie doch so viel
gemeinsames, kulturgeschichtlich Verbindendes,
dass sie als ein verwandtes Land in künst-
lerischer Beziehung wohl zu betrachten sind.
Nachdem wir die Fäden, die uns mit unten

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