Rudolf Löw.
Damenporträt.
sammen mit dem Hellblau des Kleides der heiss
ssehenden Frauengestalt des Mittelstücks und dem
dunkelgrünen Vorhang, auf den sie abgesetzt
ist — sehr wesentlich den Eindruck des Ernsten
und Feierlichen. Dass es sich um die schönste
Hoffnung der Mutter und deren grausame Nicht-
erfüllung handelt, wird die Komposition wohl
jedem sich genauer in sie Versenkenden offen-
baren. Ein unerbittlicher Realismus, der vor dem
Schrecklichen nicht zurückscheut, verbindet sich
hier mit einem zarten, innigen Idealismus zu
einem eigenartig fesselnden Ganzen. Ein Em-
pfinden, wie es unsere Totentanz-Maler und
-Zeichner erfüllte, waltet in dem Bilde, das zu-
gleich zeigen mag, wie Amiet über der wichtigen
Rolle, die bei ihm die farbige Erscheinung
spielt, — was sich auch auf der Reproduktion
in dem feinen Gegeneinanderabwägen von Hellig-
keiten und Dunkelheiten verrät —, die Form
durchaus nicht vernachlässigt. Sie spricht bei
aller dekorativen Fassung kräftig mit.
Das Bild, das für Amiets vorwärts- und auf-
wärtsstrebende Kunst bezeichnend ist, befindet
sich in Privatbesitz in Biberist bei Solothurn, wo
ein kunstsinniger Papierfabrikant, Herr O. Miller,
eine höchst individuell geartete Ge-
mäldesammlung sich angelegt hat, in
der von Schweizern neben Hodler und
Alb. Welti namentlich Amiet und der
von Segantini stark beeinssusste, dabei
aber durchaus originell veranlagte und
gestaltende Giovanni Giacometti,
ein Bündner, ausgezeichnet vertreten
sind.
Wie Hodler so erfreut sich Albert
Welti auch in den Kunstkreisen
Deutschlands eines angesehenen Na-
mens; ja man darf wohl mit Be-
stimmtheit behaupten: Weltis Name
ist in viel breitere Schichten der
Kunstfreunde gedrungen als der Hod-
lers. Das hängt damit zusammen,
dass seine Radierungen, neuerdings
auch ein Blatt wie die farbenpräch-
tige und phantasievolle Lithographie
„Das Haus der Träume“ (auch unter
dem Titel „Die Lebensalter“) überall
zu sehen waren, wo überhaupt man
Interesse für Kunst hat, und damit
gleichzeitig an den verschiedensten
Orten die Aufmerksamkeit auf diesen
reichen und eigenartigen Künstler ge-
lenkt ward. Zudem wendet sich Weltis
Malerei in ganz anderer Weise an
die gemütliche Seite im Beschauer
als die Hodlers mit ihrem Zug ins
Abstrakte und Allgemeine. Welti
wusste so innig und treuherzig, so
schalkhaft und poesievoll zu erzählen,
dass es ihm in dem Lande, das einen Ludwig
Richter und Moritz v. Schwind besessen hat, an
Verständnisvollen nicht allzu lange sehlen konnte.
Heute ist man sich darüber klar, dass der Zürcher
Albert Welti — der übrigens seit Jahren in
München bezw. in dessen Umgebung haust und
schafft — einer der deutschesten Künstler ist.
Ein einfacher und ein tiefer Mensch, ein
Träumer und ein Schalk — so ist Albert Welti.
Vor allem aber: er ist eine echte Künstlernatur.
Von Böcklin hat er einst kostbare Lehre em-
pfangen, aber in des Meisters geistige Abhängigkeit
ist er nicht gekommen; er hatte Eigenes und Ande-
res zu sagen. Auch im malerischen Vortrag hat sich
Welti nicht etwa auf Böcklins Schema fixieren
lassen. Das saftige, leuchtende, warme Kolorit, das
manche Bilder Weltis haben, ist in den letzten
Jahren wiederholt einer mehr auf eine gewisse
bunte Helligkeit angelegten Farbengebung ge-
wichen. Das Doppelporträt seiner Eltern, in dem
der ganze Welti mit seiner schlichten Natur-
wahrheit, seinem schönen Verständnis für die
Poesie des Einfachen und Intimen, seiner Freude
am beziehungsreichen Detail und Beiwerk so
köstlich anmutend heraustritt, — dieses Doppel-
porträt ist zugleich ein Beispiel für die erwähnte
hellere, schmucklosere Skala.
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