über der breiten Brust, um die Regelung der
Wärme abzuwarten. Das Mädchen wurde un-
geduldig und wischte und suchte an den Scheiben
herum, um ein günstiges Guckloch ausfindig zu
machen. Endlich begann sie mit den Fingern
energisch gegen das Fenster zu trommeln. Der
Bäckermeister wandte sich und sah, den
löwenhaften Krauskopf ihr gerade zukehrend,
schars nach ihr hin, ohne jedoch einen Wink
zu tun. Ob er wusste, dass er zwischen zwei
Feuern sass und ob ihm die Ofenwärme so viel
näher lag als die lebendige draussen im Gässchen ?
Ob er die Trommlerin kannte und sie absicht-
lich stehen liess? Die Minute war ihm wichtig,
er durfte den richtigen Moment zum Einschieben
des Brotes nicht verpassen.
Das Mädchen räusperte sich. Auch dies er-
widerte er nicht. Da hob sie an mit ge-
dämpfter, aber nicht unfeiner Stimme zu singen:
„Kein Feuer, keine Kohle tut brennen so heiss,
Als heimliche Liebe, von der niemand nichts weiss“
und wiederholte mit zitterndem Herzenston:
„von der niemand nichts weiss!“
Über ihr, im ersten Stockwerk, war in-
zwischen ein Fensterssügel aufgeklappt worden.
Ein Frauenkopf mit weissem Scheitel erschien,
und eine sanst klingende Stimme liess sich ver-
nehmen:
„Bärbele, soll ich löschen helfen? Die Wasser-
ssasche hätt’ ich gleich zur Hand!“
„Herrje! Frau Bächlin,“ rief das Mädchen
zusammenfahrend, „wie haben Sie mich doch
erschreckt! Ich kam nur, um nach den frischen
Wecken zu sehen. Die Herren Offiziere werden
bald zum Frühstück kommen. Und wenn sie
kein frisches Gebäck erhalten.“
„Bärbele, Sie wissen ja, dass unsere ersten
neugebackenen Wecken sofort ins Rote Haus
wandern, und übrigens ist es Ihnen auch be-
kannt, um welche Zeit bei uns die Feigen reif
werden, es geht noch mehr als eine halbe
Stunde. Und wenn Sie noch einen brennenden
Ofen in die Gasse stellen, so nützt das gar nichts!“
Der Fensterssügel klappte wieder zu, Bärbele
griff sich an die Brust, das Herz klopfte ihr, als
wäre sie über einem stillen Verbrechen ertappt
worden. Einige Augenblicke stand sie wie an-
gewurzelt da, unschlüssig, ob sie zur Bescheini-
gung ihrer reellen Absicht, oder bloss zum Trotz
dableiben oder am Ende den Rückzug antreten
solle. Da kam von der Kaserne her, die mit
ihrer Hinterseite an diese Gasse stiess, der Stabs-
hauptmann auf dem kürzern Weg zurück, bog
in das Bäckergässchen ein und traf auf Bärbele,
das er rasch bei der Hand fing und an sich zog.
Sie sträubte sich gelinde und zog ihn mit sich
vorwärts. Da waren sie plötzlich in der tages-
hellen Hauptstrasse. Er liess sie fahren — denn
oben aus dem Balkon stand mit zornig richten-
dem Blick der Oberst, sein Vorgesetzter — und
sie ssatterte ihm voran über die Strasse und die
Gasthostreppe hinauf.
Bald hörte der Oberst an die Türe seines
Zimmers klopfen, wo er das Bureau hatte. Er
liess warten. Er überlegte sich offenbar, wie er
seinen Adjutanten abkanzeln wollte. Jetzt aber
führte ein Bauer einen vollen Jauchewagen die
holprige Strasse herauf, der bei den vielen Stössen
jeweilen von seinem übelriechenden Inhalt aus
den Spundlochfugen spritzte. Nun war es aber
stadtbekannt, dass der Herr Oberst ein feines
Geruchsorgan besass und die Düfte, welche die
„Friedenskanone“, wie man im militärisch an-
gehauchten Städtchen eben die Jauchewagen hiess,
so freigebig verbreitete, nicht ausstehen konnte.
Der ortsansässige Platzarzt hatte daher aus ihn
das witzige Wort ersonnen und in der Leute
Mund gebracht, die Nase sei halt des Obersten
Achillesferse, d. h. der einzige Punkt, an welchem
die soldatische Natur des Kommandanten ver-
wundbar sei.
Kaum kam denn auch die Friedenskanone in
Sicht, als der Herr Oberst den Balkon schleunig
verliess und hinter sich die Tür wütend ins
Schloss schmetterte. Ebenso energisch rief er
jetzt: Herein!
Der Adjutant trat ein, liess sich seine Zer-
knirschung nicht anmerken, sondern überreichte
wie gewöhnlich die Rapporte und wartete auf
weitere Befehle.
„Es ist gut!“ sagte nun der Oberst milde.
„Nun aber noch ein Wort, mein lieber Haupt-
mann!“ Dieser schlug die Augen nieder.
„Sie haben soeben Pech gehabt, Herr Adjutant!“
suhr der Oberst fort. „Allein ich möchte Ihnen
dringend raten, sich solche — Leichtfertigkeiten
ein für allemal abzugewöhnen. Abgesehen da-
von, dass es einem Offizier nicht ansteht, mit
einer Kellnerin auf offener Strasse zu schäkern,
schädigen Sie den Ruf der Truppe überhaupt und
machen Sie unsere Stellung gegenüber den Bür-
gern, die ohnehin dornig ist, noch schwieriger; —
sehen Sie, jetzt führen sie mir zum Trotz wieder
am hellen Morgen Jauche aus, obschon ich wieder-
holt dagegen protestiert und beim Militärdeparte-
ment Schritte getan habe, um diesen Übelstand
abzustellen und die Aarwyler zu zwingen, eine
Kanalisation anzulegen. Wie soll ich auf die
Bürger einen Druck ausüben können, wenn auf
unserer Seite solche — Ungehörigkeiten, gelinde
bezeichnet, vorkommen und zwar in der un-
mittelbaren Nähe meiner Person. — Herr Adjutant,
ich denke, das genügt!“
„Zu Befehl, Herr Oberst!“ Und der Haupt-
mann trat ab, um sich ins anstossende Bureau-
zimmer zu begeben und dort über das angehörte
Kapitel nachzudenken.
Indessen war Mutter Bächlin ihrem Sohne,
dem jungen Bäckermeister, beim Einschieben
des Gross- und Kleinbrotes behilflich gewesen
und lag jetzt mit dem Lehrjungen der Reinigung
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Wärme abzuwarten. Das Mädchen wurde un-
geduldig und wischte und suchte an den Scheiben
herum, um ein günstiges Guckloch ausfindig zu
machen. Endlich begann sie mit den Fingern
energisch gegen das Fenster zu trommeln. Der
Bäckermeister wandte sich und sah, den
löwenhaften Krauskopf ihr gerade zukehrend,
schars nach ihr hin, ohne jedoch einen Wink
zu tun. Ob er wusste, dass er zwischen zwei
Feuern sass und ob ihm die Ofenwärme so viel
näher lag als die lebendige draussen im Gässchen ?
Ob er die Trommlerin kannte und sie absicht-
lich stehen liess? Die Minute war ihm wichtig,
er durfte den richtigen Moment zum Einschieben
des Brotes nicht verpassen.
Das Mädchen räusperte sich. Auch dies er-
widerte er nicht. Da hob sie an mit ge-
dämpfter, aber nicht unfeiner Stimme zu singen:
„Kein Feuer, keine Kohle tut brennen so heiss,
Als heimliche Liebe, von der niemand nichts weiss“
und wiederholte mit zitterndem Herzenston:
„von der niemand nichts weiss!“
Über ihr, im ersten Stockwerk, war in-
zwischen ein Fensterssügel aufgeklappt worden.
Ein Frauenkopf mit weissem Scheitel erschien,
und eine sanst klingende Stimme liess sich ver-
nehmen:
„Bärbele, soll ich löschen helfen? Die Wasser-
ssasche hätt’ ich gleich zur Hand!“
„Herrje! Frau Bächlin,“ rief das Mädchen
zusammenfahrend, „wie haben Sie mich doch
erschreckt! Ich kam nur, um nach den frischen
Wecken zu sehen. Die Herren Offiziere werden
bald zum Frühstück kommen. Und wenn sie
kein frisches Gebäck erhalten.“
„Bärbele, Sie wissen ja, dass unsere ersten
neugebackenen Wecken sofort ins Rote Haus
wandern, und übrigens ist es Ihnen auch be-
kannt, um welche Zeit bei uns die Feigen reif
werden, es geht noch mehr als eine halbe
Stunde. Und wenn Sie noch einen brennenden
Ofen in die Gasse stellen, so nützt das gar nichts!“
Der Fensterssügel klappte wieder zu, Bärbele
griff sich an die Brust, das Herz klopfte ihr, als
wäre sie über einem stillen Verbrechen ertappt
worden. Einige Augenblicke stand sie wie an-
gewurzelt da, unschlüssig, ob sie zur Bescheini-
gung ihrer reellen Absicht, oder bloss zum Trotz
dableiben oder am Ende den Rückzug antreten
solle. Da kam von der Kaserne her, die mit
ihrer Hinterseite an diese Gasse stiess, der Stabs-
hauptmann auf dem kürzern Weg zurück, bog
in das Bäckergässchen ein und traf auf Bärbele,
das er rasch bei der Hand fing und an sich zog.
Sie sträubte sich gelinde und zog ihn mit sich
vorwärts. Da waren sie plötzlich in der tages-
hellen Hauptstrasse. Er liess sie fahren — denn
oben aus dem Balkon stand mit zornig richten-
dem Blick der Oberst, sein Vorgesetzter — und
sie ssatterte ihm voran über die Strasse und die
Gasthostreppe hinauf.
Bald hörte der Oberst an die Türe seines
Zimmers klopfen, wo er das Bureau hatte. Er
liess warten. Er überlegte sich offenbar, wie er
seinen Adjutanten abkanzeln wollte. Jetzt aber
führte ein Bauer einen vollen Jauchewagen die
holprige Strasse herauf, der bei den vielen Stössen
jeweilen von seinem übelriechenden Inhalt aus
den Spundlochfugen spritzte. Nun war es aber
stadtbekannt, dass der Herr Oberst ein feines
Geruchsorgan besass und die Düfte, welche die
„Friedenskanone“, wie man im militärisch an-
gehauchten Städtchen eben die Jauchewagen hiess,
so freigebig verbreitete, nicht ausstehen konnte.
Der ortsansässige Platzarzt hatte daher aus ihn
das witzige Wort ersonnen und in der Leute
Mund gebracht, die Nase sei halt des Obersten
Achillesferse, d. h. der einzige Punkt, an welchem
die soldatische Natur des Kommandanten ver-
wundbar sei.
Kaum kam denn auch die Friedenskanone in
Sicht, als der Herr Oberst den Balkon schleunig
verliess und hinter sich die Tür wütend ins
Schloss schmetterte. Ebenso energisch rief er
jetzt: Herein!
Der Adjutant trat ein, liess sich seine Zer-
knirschung nicht anmerken, sondern überreichte
wie gewöhnlich die Rapporte und wartete auf
weitere Befehle.
„Es ist gut!“ sagte nun der Oberst milde.
„Nun aber noch ein Wort, mein lieber Haupt-
mann!“ Dieser schlug die Augen nieder.
„Sie haben soeben Pech gehabt, Herr Adjutant!“
suhr der Oberst fort. „Allein ich möchte Ihnen
dringend raten, sich solche — Leichtfertigkeiten
ein für allemal abzugewöhnen. Abgesehen da-
von, dass es einem Offizier nicht ansteht, mit
einer Kellnerin auf offener Strasse zu schäkern,
schädigen Sie den Ruf der Truppe überhaupt und
machen Sie unsere Stellung gegenüber den Bür-
gern, die ohnehin dornig ist, noch schwieriger; —
sehen Sie, jetzt führen sie mir zum Trotz wieder
am hellen Morgen Jauche aus, obschon ich wieder-
holt dagegen protestiert und beim Militärdeparte-
ment Schritte getan habe, um diesen Übelstand
abzustellen und die Aarwyler zu zwingen, eine
Kanalisation anzulegen. Wie soll ich auf die
Bürger einen Druck ausüben können, wenn auf
unserer Seite solche — Ungehörigkeiten, gelinde
bezeichnet, vorkommen und zwar in der un-
mittelbaren Nähe meiner Person. — Herr Adjutant,
ich denke, das genügt!“
„Zu Befehl, Herr Oberst!“ Und der Haupt-
mann trat ab, um sich ins anstossende Bureau-
zimmer zu begeben und dort über das angehörte
Kapitel nachzudenken.
Indessen war Mutter Bächlin ihrem Sohne,
dem jungen Bäckermeister, beim Einschieben
des Gross- und Kleinbrotes behilflich gewesen
und lag jetzt mit dem Lehrjungen der Reinigung
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